Für Außenstehende ist die Islamische Glaubensgemeinschaft vor allem eines: eine große Unbekannte.

Foto: IGGÖ

Die Lage ist für die IGGÖ wieder einmal verzwickt. Ein Rückblick auf vergangenen Freitag: Für die Regierung muss es plötzlich ganz schnell gehen. Innenminister Karl Nehammer und Kultusministerin Susanne Raab (beide ÖVP) wollen sich mit einem Schlag gegen salafistische Moscheen in Szene setzen. Eines der Gebetshäuser, die Tewhid-Moschee in Wien-Meidling, ist seit 2016 bei der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) registriert. Dort soll auch der Attentäter ein und ausgegangen sein.

Die IGGÖ könnte sich querlegen, gegen einzelne Moscheegemeinden kann die Regierung nämlich gesetzlich ohne ihr Mitwirken nicht vorgehen. Doch der politische Druck ist groß, die Ministerin argumentiert mit Gefahr im Verzug, und die IGGÖ-Vertreter beugen sich. Als Blockierer wollen sie nicht dastehen und als Verteidiger des Jihadismus schon gar nicht.

Bei den Betreibern der Moschee kommt die Auflösung freilich nicht gut an, und als sich die Wogen eine Woche später etwas glätten, beginnt auch die IGGÖ Zweifel an der Maßnahme zu säen. Tenor: Die Regierung habe bis heute keine konkreten Vorwürfe gegen die Moschee vorgebracht, eine Aufhebung der Auflösung bei einem internen IGGÖ-Schiedsgericht habe daher gute Chancen. Was die jüngsten Razzien hinsichtlich der Muslimbruderschaft anlangt, die auch die Stiftung eines Ex-Präsidenten und etwa eine Person aus dem Dunstkreis der IGGÖ betreffen, steht man auf dem Standpunkt: Sanktioniert werden Handlungen, keine Gesinnungen. Doch wer verbirgt sich eigentlich hinter dieser Organisation, die sich in ihrer Geschichte sowohl mit Kritik von innen als auch von außen eher schwertat?

Macht im Schurarat

Historisch lässt sich sagen, dass ihr Entwicklungsweg seit der Gründung 1979 mit der Zeit nicht aus sich heraus, sondern von außen geformt wurde. Sie ist personell, religiös und weltanschaulich ein Potpourri transnationaler Verbände, die die Gremien der IGGÖ besetzten. "Das sind Organisationen, die zwar physisch hier sind, ihre geistigen Wurzeln aber im Ausland haben. Dementsprechend bekommen sie ihre Anweisungen auch von dort", sagte der Islamwissenschafter Ednan Aslan in einem Kurier-Interview. "Wir haben diese Verhältnisse im Übrigen teilweise auch durch die eigene Politik produziert. Wir haben die Muslime immer als Teil der Türkei oder eines anderen Landes betrachtet. Und wenn man selbst nichts macht, dann wird eben jemand anders aktiv."

Und sie wurden aktiv. Nach den ersten beiden Präsidenten Ahmad Abelrahimsai und Anas Schakfeh, ein Afghane und ein Syrer, stellen in der IGGÖ seit 2011 die türkischen Verbände die Präsidenten. Die Machtverhältnisse richten sich nach der Zahl der Kultusgemeinden, die jeweils aus mindestens zehn Moscheen bestehen müssen. Nach diesem Schlüssel wird auch der einflussreiche Schurarat beschickt, der die Linie der Glaubensgemeinschaft vorgibt.

Erdoğan, Millî-Görüş, Graue Wölfe

Die tonangebenden Verbände sind eng mit politischen Gruppen in der Türkei verbandelt. Die Atib als größte Gruppe gilt als Vertreterin der Partei AKP des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, mit enger Anbindung an die Religionsbehörde in Ankara. Dahinter kommt größenmäßig jener Verband, der den aktuellen Präsidenten Ümit Vural stellt: Die Islamische Föderation, ein Ableger der islamistischen Millî-Görüş-Bewegung. Auch die rechtsextremen türkischen Grauen Wölfe stellen in Gestalt der Türkischen Föderation zwei Kultusgemeinden. Die zweitstärkste nationale Fraktion in der IGGÖ wird von den bosnischen Gemeinden gebildet; die albanischen, arabischen, oder asiatischen Gemeinden haben praktisch nichts zu melden.

Auch Frauen spielen in der Führungsetage keine Rolle. Im Sommer trat mit Fatma Akay-Türker gar die eigene Frauensprecherin aus der IGGÖ zurück. Die Religionslehrerin saß bis dahin auf einem Ticket der Türkischen Föderation im Obersten Rat. Akay-Türker erklärte ihren Rückzug mit einer "institutionalisierten Abwertung der Frau" innerhalb der Organisation. Angesichts der dort gepflegten männerdominierten Theologie habe sie keinerlei Chance für eine Reform des islamischen Frauenbilds in Österreich bekommen, sagte die Philosophin und Religionslehrerin. IGGÖ-Präsident Vural kündigte daraufhin auf gut österreichisch an, eine "unabhängige Kommission" einzusetzen, um das Bewusstsein für Gleichbehandlung in der IGGÖ zu schärfen. Ob das Früchte trägt, ist noch nicht absehbar.

Alleiniger Vertretungsanspruch

Ihre herausgehobene Stellung in der österreichischen Gesellschaft verdankt die IGGÖ nicht zuletzt dem Islamgesetz der rot-schwarzen Regierung aus dem Jahr 2015. Demnach obliegt es der IGGÖ als staatlich anerkannter Religionsgesellschaft, islamische Kultusgemeinden und Moscheegemeinden – mit Ausnahme jener der Aleviten – zu genehmigen und zu vertreten. "Dadurch wurde die IGGÖ zur einzig offiziellen Repräsentantin der österreichischen Muslime gemacht und ihren Entscheidungsträgern zusätzlicher Einfluss verschafft", erklärt die Politologin Nina Scholz.

Keine Bedenken zu Meidlinger Moschee

Die IGGÖ hätte es mit dem neuen Islamgesetz auch in der Hand, Moscheen die Akzeptanz zu versagen, in denen radikale Ideologie verbreitet wird. "Das passiert aber nicht, die IGGÖ lässt das einfach laufen", sagt Scholz und verweist darauf, dass die Meidlinger Tewhid-Moschee längst als Hort des Salafismus bekannt war. Auch die Grünen-Politikerin Berîvan Aslan vermisst einen ehrlichen Umgang der Religionsgesellschaft mit extremistischem Gedankengut in den eigenen Reihen. "Die IGGÖ ist immer zur Stelle, um antimuslimischen Rassismus zu kritisieren, aber bei islamistischen Tendenzen in Moscheen schweigt sie."

Aus dem Kultusamt des Bundeskanzleramtes heißt, dass die IGGÖ in den vergangenen Jahren "keine spezifizierten Berichte" über fragwürdige Vorgänge in der Tehwid-Moschee übermittelt habe. Die IGGÖ sagt dazu, es seien in der Tehwid-Moschee nie strafrechtlich relevante oder verfassungswidrige Handlungen festgestellt worden. Man habe den Behörden aber immer wieder Hinweise auf andere Hinterhofverstecke und Vereine geliefert, in denen extremistisches Gedankengut vermutet wurde.

Antiwestliche Töne

Trotz des Islamgesetzes, das dies verhindern sollte, ist der Auslandseinfluss auf die Gebarung von Kultusgemeinden und Moscheen weiter ein Thema. Die Auslandsfinanzierung ist über Stiftungskonstruktionen weiterhin möglich. Auch die Imame kommen nach wie vor aus den jeweiligen Herkunftsländern der Vebände, können oft weder die Sprache noch die Lebenswirklichkeit der Muslime hierzulande nachvollziehen und abbilden, lautet die Kritik. Eine – von der IGGÖ wegen des kleinen Samples – heftig attackierte Studie des Islamismusexperten Heiko Heinisch und des Juristen Imet Mehmedi für den Integrationsfonds im Jahre 2017 befand zudem, dass auch in einigen Moscheen der türkischen Verbände regelmäßig antiwestliche Töne geschwungen werden und ein "Wir gegen die anderen"-Gefühl gepredigt werde.

Doch wie ließe sich das ändern? Experten plädieren dafür, das noch junge Hochschulstudium in Islamischer Theologie um eine Art "Priesterseminar" zu erweitern, um Imame in Österreich auszubilden. Auch die IGGÖ sieht hier Handlungsbedarf: Man sei bemüht, einheitliche Standards für die Ausbildung von Imamen in Österreich festzulegen. In Zukunft sollen zudem mehr Imame von der IGGÖ selbst angestellt werden, anstatt das den Verbänden zu überlassen. So könne man Imamen auch eine bessere berufliche Absicherung bieten. Wobei die IGGÖ hinzufügt: "Am Ende ist das natürlich eine Frage der Finanzierbarkeit."

Reformvorschläge werden laut

Für die Politologin Scholz ist der im Islamgesetz fixierte Status der IGGÖ als Alleinvertreterin der Muslime noch aus einem anderen Grund problematisch. Denn man wisse gar nicht, wie viele der Gläubigen sich überhaupt mit der Organisation identifizieren, der tatsächliche Anteil der Mitglieder liege im Dunkeln. Schätzungen gehen von 10 bis 20 Prozent der hiesigen Muslime aus, die Rolle der IGGÖ für die Glaubenspraxis des Einzelnen sei jedenfalls als gering einzustufen.

An Reformvorschlägen für die IGGÖ mangelt es nicht. Grün-Politikerin Aslan plädiert dafür, dass die Organisation aktiv Initiativen für mehr Jugend- und Burschenarbeit in ihren Einrichtungen setzt, um das Abdriften in islamistische Kreise zu verhindern. Sie fordert von den hohen IGGÖ-Funktionären auch ein nachdrückliches Auftreten gegen den (vor allem türkischen) Rechtsextremismus in Verbänden ein. Die IGGÖ erwidert: Man stelle bereits jetzt ein reichhaltiges Angebot an Workshops zu Jugendarbeit, interreligiösem Dialog und interkultureller Sensibilität an Moscheen bereit. Und sie nimmt die Politik in die Pflicht, ihr hierfür mehr Ressourcen zur Verfügung zu stellen.

Moscheensteuer für mehr Autonomie

Eine weitere Reformidee hat der Islamtheologe Mouhanad Khorchide parat. Er regt an, dass sich die IGGÖ beim Finanzierungsmodell etwas von der Kirche abschaut. Eine "Moscheensteuer" könne dafür sorgen, dass die Abhängigkeit von ausländischem Geld und Imam-Personal geringer wird. Im Gegenzug könnten die Mitglieder über ihre Beiträge mehr Einfluss auf die Entwicklung des österreichischen Islams nehmen, meint Khorchide. (Theo Anders, Jan Michael Marchart, 14.11.2020)