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In Little Havana in Miami drückte die kubanische Community vornehmlich Donald Trump die Daumen.

Foto: AP / Wilfredo Lee

Am Wahltag hatte Robert*, einer meiner Lauffreunde, alle Hände voll zu tun. Via SMS hatte er nämlich zuvor die Leute in unserer Laufgruppe aufgefordert, Wetten abzuschließen, wer nun wohl Präsident wird. Die Regeln waren einfach: Sollte am Dienstag schon eine Wahlentscheidung getroffen werden, gibt's gleiche Gewinnchancen und die Verlierer zahlen den Gewinnern ein Bier. Aber weil wir wahrscheinlich noch nicht wissen würden, wer gewonnen hat, gab es auch die Variante mit doppeltem Einsatz: Trump-Fans zahlen zwei Bier, sollte Joe Biden noch vor dem Ende der Woche gewinnen. Und die Biden-Fans zahlen doppelt, sollte der Oberste Gerichtshof die Wahl zugunsten Trumps entscheiden, obwohl er die Wahl verloren hat.

Am Wahltag mussten dann alle selbst zahlen. Und auch eine Woche später war immer noch nicht wirklich klar, wer Präsident wird. Wir wissen, dass Joe Biden die Wahl gewonnen hat, aber auch, dass Nochpräsident Trump alle möglichen Spielchen spielt, um an der Macht zu bleiben. Biden scheint dieses Verhalten nicht sehr ernst zu nehmen – auch deshalb, weil er über fünf Millionen Stimmen mehr bekommen hat als Trump. Die Wahl war auch deshalb faszinierend, weil wieder einmal klar wurde, wie wenig wir eigentlich voneinander wissen. Die wahrhaft interessante Geschichte hinter den Zahlen ist die, dass, wie bereits 2016, auch heuer wieder weiße Amerikanerinnen und Amerikaner mehrheitlich Trump gewählt haben und dass die Wahl durch die erhöhte Anzahl von Latinos und afroamerikanischen Wählern entschieden wurde.

Keine "selbstverständlichen Wähler"

Viele Mainstream-Medien weisen dennoch darauf hin, dass die Sache ein bisschen differenzierter zu betrachten ist. Jennifer Mandina von der "New York Times" hat etwa der Biden-Kampagne vorgeworfen, die Latino-Wähler, immerhin die zweitgrößte Wählergruppe in den USA, in vielerlei Hinsicht als selbstverständliche demokratische Wähler verstanden zu haben. Die Medien haben das Phänomen der Trump-Wähler aus den Reihen der Latinos sowohl in Florida als auch in Texas sehr klar aufgezeichnet. Brittny Mejia von der "Los Angeles Times" erklärt auch, dass viele Latino-Wähler es satt hatten, von den Demokraten automatisch als deren Wähler angesehen zu werden.

So hat ein Teil der Latino-Wähler nun doch Trump gewählt, trotz seiner unglaublich rassistischen Politik gegenüber Migranten, trotz der tausenden Familientrennungen an der südlichen Grenze und der mehr als 500 Kinder, deren Eltern deportiert wurden und die nun allein in den "Zentren" der Einwanderungs- und Zollbehörde ICE (Immigration and Customs Enforcement) dahinvegetieren – und trotz der Mauer, die das Markenzeichen dieses Präsidenten wurde. Viel wurde darüber spekuliert, ob religiöse Gründe oder auch ein erfolgreicher Werbefeldzug in Florida während der Sommermonate dafür verantwortlich sei. So gab der Marketingchef von Trumps Wahlkampagne, Kaelan Dorr, an, dass sein Team während der Sommermonate jeweils sechs Millionen Dollar an Werbung im spanischsprachigen Kabel-TV und im Radio investiert hat – hauptsächlich, um Biden als Sozialisten darzustellen.

George Soros und der "Deep State"

Im Onlinemagazin "Politico" stellten Sabrina Rodriguez und Marc Caputo fest, dass in Florida die Gerüchte vor allem in den sozialen Medien in der Vorwahlzeit außer Rand und Band geraten sind. Zum Beispiel sei der aus Ungarn stammende US-amerikanische Milliardär und Philanthrop George Soros derjenige, der den "Deep State" kontrolliere, und würde Joe Biden die Wahl gewinnen, würde er Amerika unter die Kontrolle der Juden und Schwarzen bringen. Die bekannteste dieser Fake-News-Storys ist wohl die via Facebook und Whatsapp verbreitete Geschichte, dass Nicolás Maduros sozialistische Partei in Venezuela und die amerikanische kommunistische Partei Joe Biden unterstützen und das Land daher sozialistisch werden würde, sollte Biden gewinnen.

Das sind natürlich nur Fantasien, aber Augusta Saravia und Robbie Gramer erklärten in "Foreign Policy", dass bei vielen Wählern, die ursprünglich aus Nicaragua, Venezuela und Kuba kamen, die Angst, mit Biden womöglich die radikale Linke zu wählen, sehr wohl eine Rolle spielen würde. Wie gesagt, die Zeitungen sind voll mit diesen Geschichten. Laut Arelis Hernández und Brittney Martin in der "Washington Post" sei die Latino-Bevölkerung in Südtexas zudem sehr divers. Dass einige Bezirke wie etwa Zapata County Trump gewählt haben, zeige, dass die demokratische Partei tiefere Beziehungen zu den Wählern in dieser Gegend kultivieren müsse.

Neue Jobs an der Südgrenze

Was nicht in diesem und in ähnlichen Artikeln erwähnt wird, ist, dass das Rio Grande Valley sich in den vergangenen vier Jahren sehr verändert hat. Es war immer eine kulturell konservative, ländliche Gegend, die jedoch in den Trump-Jahren hohes Jobwachstum erfahren hat. Vor allem die Militarisierung der Grenze hat Tausende von neuen Jobs im Bereich der Grenzüberwachung (Border Patrol), in ICE-Zentren und im Bausektor (für Arbeiter, die für Privatfirmen die Mauer bauen) gebracht. Das Tal ist jetzt auch das Epizentrum illegaler Migranten, die hier die Grenze überqueren. Für viele stellt dies das Versagen der US-Migrationspolitik dar. All das hat viele der Bewohner des Tals für Trump stimmen lassen.

Tatsache ist jedenfalls, dass 2020 die Zahl von Latinos, die Trump gewählt haben, um drei Prozentpunkte angestiegen ist. Das sind 618.000 von 20,6 Millionen Latinos, die heuer gewählt haben. Das heißt auch, dass heuer 64 Prozent der 32 Millionen Latinos zur Wahl gegangen sind. Laut Juan González von Democracy Now haben 2020 etwa acht Millionen mehr Latinos gewählt als bei früheren Wahlen.

Das kleine schmutzige Geheimnis

González erklärte auch, dass die Zahl der Stimmen der Schwarzen sich um knapp 20 Prozent erhöht habe, die der Asian-Americans um 16 Prozent und die der Weißen um etwa sechs Prozent. Die Demokratische Partei wird zunehmend zu einer Partei der braunen und schwarzen Bevölkerung, die vorläufig noch demografische Minderheiten darstellen. Und die Republikanische Partei wird weiterhin eine Partei der Weißen bleiben. Etwa 58 Prozent der weißen Amerikaner haben 2020 Donald Trump gewählt. Noch unverständlicher ist, dass 55 Prozent der weißen Frauen Trump gewählt haben. Das ist das "dirty little secret", das kleine, schmutzige Geheimnis, das von der hiesigen Medienwelt kaum aufgegriffen worden ist.

New Jersey, wo ich lebe, hat dieses Mal sehr blau, also demokratisch gewählt. Sogar ein oder zwei meiner republikanischen Lauffreunde haben dieses Mal nicht für ihre Partei gestimmt. Alle meine Lauffreunde sind im Übrigen weiß. In New Jersey hat es anscheinend wirklich eine starke blaue Welle gegeben, in Counties wie Morris County haben Wähler fast durch die Bank für die Demokratische Partei gestimmt.

Aus der Perspektive eines New Jersians ist es schwierig zu verstehen, dass so viele Amerikaner nach wie vor für Trump gestimmt haben, obwohl seine vierjährige Präsidentschaft wirklich gescheitert ist. Aber ganz anders wie in vielen anderen Gegenden, wo Menschen nicht mehr mit ihren Verwandten und Freunden sprechen, weil sie die andere Partei unterstützen, ist das hier in New Jersey nicht der Fall: Wir laufen und trinken nach wie vor Bier miteinander. (Barbara Franz aus Morristown, 19.11.2020)

* Name von der Redaktion geändert

Barbara Franz studierte Publizistik und Kommunikationswissenschaft in Wien und Politikwissenschaft und Geschichte in New York. Sie ist Professorin für Politikwissenschaft an der Rider University in New Jersey und forscht unter anderem im Feld der Immigrations- und Flüchtlingspolitik. Franz ist Kärntnerin und Amerikanerin.
Foto: Privat