Die Rapperin Junglepussy pflegt einen klaren Umgang mit Sex. Dafür bedarf es keines Segens von Sittenwächtern.

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Standhaftigkeit und Ausdauer, das sind fast immer und überall erwünschte Eigenschaften. Auch für Shayna McHayle. Ihr Song Stamina wirkt diesbezüglich wie ein Forderungskatalog, und der bezieht sich auf Sex. Sie formuliert ihre Bedürfnisse eher nüchtern, kein Sabber, aber wahrlich kein Blatt vorm Mund. Stamina ist einer von vielen Songs zum Thema, die sie als Junglepussy schreibt. Sie liegt damit voll im Trend.

Die Rapperin aus New York ist 29 und hat eben ihr Album JP4 veröffentlicht. Junglepussy, man ahnt es, ist ein programmatischer Alias, mit dem sie Terrain wettmacht, das im Rap lange den Männern und ihren Fantasien vorbehalten war.

Das lag nicht an weiblicher Scheu, die Dinge beim Namen zu nennen, es gab nur viel weniger Frauen im Hip-Hop. Und ein bisschen wollten diese sich wohl von den elenden Zipfelmessern abgrenzen. Doch das hat sich längst geändert, und mit der Vervielfachung des Frauenanteils im Rap ist die weibliche Behandlung des (Aller-)Weltthemas Sex deutlich deutlicher geworden.

Junglepussy - Topic

Das Zwischenmenschliche ist das bestimmende Thema fast jeder Musik. Rap hat es zu neuen Höhen und Tiefen geführt. Da herrscht mittlerweile Geschlechterparität – wenn auch nur in dem Sinne, dass da wie dort keine Tabus überlebt haben.

Auf die Dosierung kommt es an

Sorgten N.W.A. 1990 mit dem Blasmusik-Track Just Don’t Bite It noch für einen Skandal, überschritt die Rapperin CupcaKKe 2016 in ihrem Song Deepthroat die Grenzen zwischen verbal, oral und anal, ohne größere Wellen zu schlagen. Derlei Offenheit geht zwar auf Kosten der Subtilität, andererseits besitzt diese Direktheit etwas Heiteres – wie Brachialhumor. Da wie dort kommt es auf die Dosierung an.

Aus dem weiten Feld des Gesellschaftstrends der Awareness wird für derlei libidinös gesteuerte Bekenntnisse immer öfter das Gütesiegel "sex-positive" vergeben. Das ist so notwendig wie der Hinweis, dass Wasser nass sei. Und schon die gewählte Nomenklatur zeigt die Anmaßung, festlegen zu wollen, was zulässig ist und was pfuigack.

Der Amtsweg zum Sex

"Sex-positive" hat seine nachvollziehbaren Wurzeln in der Psychologie eines Sigmund Freud oder Wilhelm Reich, deren Theorien und Lehren in der sexuellen Revolution der 1960er und 1970er teilweise aufgegangen sind und gesellschaftsfähig wurden. Aber keine Freiheit kommt ohne Regelwerk aus. Selbst für sogenannte Sex-positive-Partys werden heute Motivationsschreiben verlangt, Geilheit allein reicht nicht, sie muss schon politisch korrekt sein und den Amtsweg gehen, sonst gibt es auf die Finger.

Die Kunst selbst belastet sich mit derlei Kram kaum. Hip-Hop berichtet aus dem Leben, nicht aus dem Proseminar. Und im Leben ist das Mojo recht gleichmäßig verteilt. Heuer veröffentlichte die New Yorker Rapperin Cardi B mit ihrer Kollegin Megan Thee Stallion die Beckenbodenübung WAP. Musikalisch eher tiefbegabt, aber in seiner Darstellung ein Manifest feucht-forscher Lebensfreude.

Rekordbefleckung

WAP steht für "Wet Ass Pussy" und ist mit einer Reichweite von fast 300 Millionen Youtube-Befleckungen der aktuelle Höhepunkt einer langen Geschichte: Diese reicht zurück zu den Hokums der 1910er-Jahre. Ein Hokum ist ein Blues-Song, der besonders schlüpfrig und übertrieben formuliert ist, quasi ein Urahn des Dirty Hip-Hop, und lässt sich bis ins frühe 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Männer wie Frauen ergingen sich gleichermaßen in Liedern über den Spaß an der Freud südlich der Gürtelschnalle.

Cardi B

Aufseiten der zugeknöpften weißen Mehrheit galt derlei Liedgut als weiterer Beleg für die "animalische Natur" der Schwarzen. Ein Vorurteil, das bis in die weißen Kirchen reicht. In manchen Orden gilt die ekstatische Leidenschaft afroamerikanischer Messen bis heute als antiintellektuell, als heidnisches Erbe und ihre Hingabe als anzüglich: Stocksteif und schuldig geboren, so hat man eine Messe zu empfangen. Amen.

Zucker in der Schüssel

Die Befreiungstheologie nahm dessen ungeachtet Fahrt auf: Bessie Smith schmachtete sich durch I Need a Little Sugar in My Bowl, Dinah Washington sang den Salty Papa Blues, Dorothy Ellis Drill Daddy Drill.

Im Rock ’n’ Roll sprachen Frauen ebenfalls Klartext: "You ain’t nothin’ but a hound dog / Quit snoopin’ ’round my door / You can wag your tail / But I ain’t gonna feed you no more", sang Big Mama Thornton 1953 in Hound Dog – und wer dabei an ein lästiges Hündchen denkt, glaubt auch an die Unbefleckte Empfängnis. Elvis Presley verbreitete die Sauerei mit seiner Coverversion drei Jahre später in Millionen Haushalte weltweit.

yxyoic

Im Soul und im Funk klopften Damen wie Millie Jackson auf den Busch: Die Karriere der als Rap-Pionierin geltenden Jackson (Love Doctor, It Hurts So Good ...) ist eine einzige Anzüglichkeit. Betty Davis machte zu hartem Funk klar, was sie will, im Disco stöhnte sich Donna Summer fast 17 Minuten lang durch Love to Love You Baby, und Grace Jones gab mit Pull Up to the Bumper Frontalunterricht.

Unschärfen – who cares?

Das Holz übernahmen selbstbewusste Rapperinnen wie Missy Elliott (One Minute Man), Foxy Brown (Big Bad Mama) oder Lil’ Kim (How Many Licks?) oder jetzt Junglepussy – immer mehr oder weniger direkt. Die Grenzen zwischen "sex, sexy, sexi(e)st" verlaufen fließend, Unschärfen werden in Kauf genommen, solange es scharf bleibt. Ein falsch scharf gibt es nicht.

Die handelnden Personen trauen ihrem Publikum schon zu, zwischen Entertainment und Alltag unterscheiden zu können. Deshalb besitzt das moralinsaure Urteil "sex-positive" bei so einer ausgelassenen und in jeder Hinsicht scharfzüngigen Kunst den Beigeschmack der Sittenwächterei. Derlei Bevormundung sollte sie sich verbieten. (Karl Fluch, 16.11.2020)