Ein Genius abseits herkömmlicher Zeitempfindungen und Tempi: Thelonious Monk.

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Thelonious Sphere Monk war der Erdenbürger mit dem speziellen Zeitgefühl – nicht nur musikalisch. Eine Stunde hatte für ihn einfach mehr als 60 Minuten, ein Tag mehr als 24 Stunden. Anders waren Monks Konflikte mit der Pünktlichkeit schwer zu erklären. Selbst ein wohlwollender Arbeitgeber wie der Trompeter Dizzy Gillespie schmiss Monk aus der Band wegen der subjektiven Definition des Begriffspaares "einzuhaltende Termine". Wenn möglich, wäre Monk wohl noch zu seinem eigenen Begräbnis zu spät erschienen – er starb am 17. Februar 1982 mit 64 Jahren.

Insofern ein Wunder, dass dieses nun veröffentlichte Konzert Palo Alto (Impulse!) am 27. Oktober 1968 tatsächlich stattfand. Kaum ein halbes Jahr zuvor war Martin Luther King ermordet worden; die Stimmung war aufgeheizt. Der 16-jährige Möchtegernveranstalter und Monk-Fan Danny Scher jedoch wollte in der kalifornischen Uni-Stadt Palo Alto mit einem Konzert ein Zeichen setzen.

Man wartet

Über Umwege kam er an Monks Telefonnummer und seine Zusage. Zwecks Plakatierens geht er – obwohl gewarnt – auch in den Ostteil Palo Altos, wo die afroamerikanische Bevölkerung die Stadt gerade auf Nairobi umtaufen will. Schließlich versammeln sich zahlreiche Interessierte am Konzertort; Tickets jedoch kaufen sie keine. Man wartet.

Es überwiegt die Skepsis, ob der Star unter den Unzuverlässigen tatsächlich die Highschool beehren würde. Erst als Monk aus dem Wagen von Schers Bruder steigt, werden an die 350 Tickets verkauft. Es kann losgehen. Die sechs Kompositionen, im Quartett erspielt, zeigen die exzentrische Ikone zwischen Routine und schräger Eigenwilligkeit.

Thelonious Monk - Topic

Umgeben von einer eher stromlinienförmigen Band fehlt Monk zwar die Prägnanz früherer Jahre, die ihn 1964 sogar aufs Cover des Time Magazine brachte. Nach wie vor ist Monk jedoch er selbst. Nach dem Motto: Keiner kann spielen wie er, aber keiner darf auch so spielen wie er.

Unerwartete Pausen

Palo Alto wirkt wie das Dokument einer fragilen Persönlichkeit, deren anarchische Pointiertheit punktuell aufblitzt; etwa in der spontanen Coda zu Ephistophy. Unzerstörbar war ebendieses Zeitgefühl, das im Verbund mit der Verwendung dissonanter Harmoniefarben den Monk-Stil prägte. Da wären diese unerwarteten Pausen in den Soli, die aufmüpfig sich querlegenden Phrasen.

Da wäre das abrupte Stoppen von stakkatoartig hingetupften Wendungen oder Einzelnoten als überraschend logische Rufzeichen. Unweigerlich ist an den Monk-Sager zu denken, wonach "das Klavier keine falschen Noten" habe.

Allerdings gilt auch: Monk litt an einer bipolaren Störung und war 1968 zwar noch er selbst, jedoch nicht mehr der stärkste Monk, der er sein konnte. Der Griff zu älteren Aufnahmen bleibt unerlässlich. Es reicht aber, Kompositionen wie Well, You Needn’t –von wem auch immer interpretiert – zu hören, in denen diese exzentrische Kunst unbeschadet fortlebt. (Ljubiša Tošić, 16.11.2020)