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Die EU-Kommission sucht neue Wege, um die Marktmacht von IT-Giganten wie Google zu brechen.

Foto: Reuters / Arnd Wiegmann

Das Internet vor 20 Jahren: Amazon verkauft ausschließlich Bücher und eröffnet den heute so mächtigen Marketplace gerade erst. Google ist zwei Jahre alt und Underdog gegen Yahoo oder MSN. Bis zur Gründung von Facebook vergehen noch vier Jahre, bis zum Apple iPhone sogar neun. In diesem Kontext tritt im Jahr 2000 die E-Commerce-Richtlinie der EU in Kraft. Sie gilt bis heute und ist die Grundlage des modernen elektronischen Handels in Europa.

Ein umfassendes Update für den Handel zwischen Unternehmen und Endkunden (B2C), besonders aber den Business-to-Business-Bereich (B2B) möchte nun die EU-Kommission entwickeln.

Das Legislativpaket über digitale Dienste (Digital Services Act) und das neue Wettbewerbsinstrument (New Competition Tool) sollen die E-Commerce-Richtlinie ersetzen und das europäische Wettbewerbsrecht tiefgreifend ändern. Der aktuell populäre Kampf gegen Tech-Giganten dient der EU-Kommission und Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager als Leitmotiv für beide Instrumente.

New Competition Tool

Worauf müssen sich Unternehmen beim New Competition Tool einstellen? Bisher wurden Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht von der Kommission oder in Österreich von Kartellgericht und Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) aufgedeckt und abgestellt. Auf die Feststellung eines Verstoßes folgen Bußgelder oder sonstige Abhilfemaßnahmen – Verhaltensauflagen oder Änderungen der Unternehmensstruktur bis zur Zerschlagung.

Mit dem New Competition Tool soll die Kommission solche Maßnahmen verhängen dürfen, auch wenn kein Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht festgestellt wird. Das betrifft oligopolistische Märkte, bestimmte Verhaltensweisen nicht marktbeherrschender Unternehmen oder Märkte, denen ein "Kippen" ("tipping") droht.

Dieser Begriff beschreibt ein Phänomen, bei dem ein Unternehmen vor allem aufgrund indirekter und daher schwer messbarer Netzwerkeffekte eine herausragende Stellung gewinnt – etwa Google in der Internetsuche oder Facebook bei sozialen Netzwerken. Das Instrument soll strukturelle Wettbewerbsprobleme lösen, die mit jetzigen Vorschriften – Artikel 101 und 102 des EU-Vertrags (AEUV) – nicht beseitigt werden können.

Konkrete Textvorschläge für den Digital Services Act und das New Competition Tool sollen noch dieses Jahr oder Anfang 2021 vorgelegt werden. Dabei ist noch nicht gesichert, ob diese beiden Instrumente in einem Rechtsakt zusammengefasst werden oder separat bleiben.

Auflagen ohne Rechtsbruch

Dass Unternehmen eine Einschränkung ihrer Tätigkeiten akzeptieren müssen, obwohl ihnen kein Verstoß gegen geltendes Recht vorgeworfen werden kann, ist zumindest ungewöhnlich. Die Kommission wird in jedem einzelnen Fall genau begründen müssen, warum eine verhängte Maßnahme angemessen ist. Doch kann eine dem Unternehmen Aufwand und Kosten verursachende Abhilfemaßnahme überhaupt angemessen sein, wenn keine Rechtswidrigkeit vorliegt?

Aus Österreich erhält eine Verschärfung des Wettbewerbsrechts jedenfalls Unterstützung. Die BWB schlug in einem Thesenpapier zu "Digitalisierung und Wettbewerb" überhaupt eine Beweislastumkehr vor. Unternehmen, denen ein Verstoß vorgeworfen wird, müssten sich dann erst freibeweisen. Für diese grundrechtskonform schwierig, aber nicht unmöglich zu verwirklichende Idee erhielt die Behörde international Aufmerksamkeit.

KMUs sehen sich gegenüber großen Unternehmen oft im Hintertreffen. Die Durchsetzung auch berechtigter Ansprüche ist gegen riesige Rechtsabteilungen nicht leicht. Bestehende Möglichkeiten, gegen Wettbewerbsverstöße vorzugehen, werden daher selten genutzt. Daran wird das New Competition Tool jedoch nichts ändern.

Es wird sich nicht auf Artikel 101 oder 102 AEUV stützen, auf denen unter anderem Abstellungsbegehren gegen Wettbewerbsverstöße beruhen. Unternehmen, die Wettbewerbsprobleme am Markt wahrnehmen, die unter der Schwelle des bestehenden Rechts liegen, bleibt dann nur die Möglichkeit, sich an die EU-Kommission zu wenden, damit diese ein Verfahren nach dem neuen Instrument einleitet – mit ungewissem Ausgang.

Wenig Nutzen für KMUs

Den Wettbewerb einschränkendes Verhalten zwischen verschiedenen Unternehmen wie Kartelle und andere Absprachen oder Missbrauch durch ein einzelnes, marktbeherrschendes Unternehmen soll unterbunden werden.

Das New Competition Tool könnte zentrale Prinzipien dieses Rechtsgebietes aufweichen. Davon profitieren kleine und mittlere Unternehmen aber nur indirekt. Um direkt gegen wettbewerbswidriges Verhalten vorzugehen, müssen sie auf bestehende Instrumente zurückgreifen: Abstellungsanträge beim Kartellgericht oder Schadenersatzklagen.

Besser als Umbauten am Fundament des Wettbewerbsrechts wären daher Änderungen, die Verfahren beschleunigen und kleinen und ressourcenärmeren Antragstellerinnen die juristische und ökonomische Scheu vor der Konfrontation zur Stärkung der Wettbewerbsgerechtigkeit am Markt zu nehmen. (Florian Prischl, 16.11.2020)