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Israel habe der strenge Lockdown Mitte September viel gebracht, darum mache man das jetzt auch in Österreich so, erklärte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Samstag im ORF-Interview. Am Sonntag berichtete Kurz dann noch von einem "guten Telefonat" mit Israels Premierminister Benjamin Netanjahu "zum Thema, wie man am besten mit der zweiten Welle von Covid-19 zurecht kommt". Fakt ist, dass Israel von einem Rekordwert von über 9000 Neuinfektionen pro Tag – bei ähnlich großer Bevölkerung wie Österreich – binnen vier Wochen auf unter 1000 neue Ansteckungen pro Tag rasselte. Wie schnell dieser neue Lockdown griff, überraschte selbst manche Epidemiologen.

Allerdings war der zweite Lockdown in Israel auch noch strenger als jener in Österreich: Es gab eine Ausgangssperre bis 1000 Meter rund um das Wohnhaus. Jenseits dieses Radius war auch das Spazieren und Besuchen von Bezugspersonen nicht erlaubt, und auch innerhalb dieses Kreises gab es wenig zu tun: Das Abholen von Speisen war gestrichen, nur Lieferservice war gestattet. Alle Schulen und Kindergärten bis auf sonderpädagogische Einrichtungen waren geschlossen. Unternehmen, die Kundenverkehr haben, durften nicht aufsperren, ausgenommen waren Geschäfte für den täglichen Bedarf, Banken und Apotheken. Öffis fuhren in loseren Takten und mit Personenhöchstbeschränkungen, und bis heute darf ohne Zugreservierung niemand den Bahnhof betreten.

Strenge Regeln

Israelis durften Auslandsreisen nur antreten, wenn sie diese vor Lockdown-Beginn gebucht hatten, ausländische Touristen durften sowieso nicht ins Land – nur wenige Länder ausgenommen. Auch religiöse Feiern und Begräbnisse durften in Innenräumen nur mit maximal zehn Personen abgehalten werden, und auch im Freien waren nur höchstens zwanzig Personen erlaubt. Und das Abstandsgebot liegt in Israel seit Beginn der Pandemie nicht nur bei einem Meter, sondern bei zwei.

Nun ist der Lockdown zwar zu Ende, Beschränkungen gelten aber weiterhin: Nur die Volksschulen sind geöffnet, die höheren Stufen lernen von zu Hause via Zoom. Einkaufszentren, Kultureinrichtungen und Fitnesscenter sind immer noch zu, ebenso die Gastronomie. Masken sind im öffentlichen Bereich nach wie vor überall Pflicht. Und von Aufatmen kann auch sonst keine Rede sein: Der effektive Reproduktionswert R liegt aktuell trotz all dieser Maßnahmen wieder über der wichtigen Marke von eins – zum ersten Mal seit dem zweiten Lockdown, der Mitte Oktober endete.

Als Wurzel allen Übels werden derzeit in der Regierung die sogenannten "Piratenhochzeiten" präsentiert. Viele israelische Araber nutzen die letzten schönen Herbstwochen, um die im Lockdown verschobenen Hochzeitsfeiern nachzuholen. Die Temperaturen sind mit 23 Grad noch mild, es regnet nur sporadisch – beste Bedingungen für Vermählungsfeiern und Fotoshootings vor Traumkulisse.

"Piratenhochzeit" als Übel

Nicht alle beschränken sich auf den engsten Kreis der Angehörigen. So kommt es zu ominösen Anmietungen versteckter Hallen oder Dachterrassen in der Peripherie, andere verlegen die Hochzeitsparty mit 300 Gästen in den Wald.

Wachleute werden engagiert, um die Hochzeitsgäste in Verstecke zu lotsen, falls die Polizei aufkreuzt, und Eventveranstalter kassieren zusätzlich zur Saalmiete einen Aufschlag, der auch gleich die Verwaltungsstrafe von rund 1000 Euro inkludiert. Aber es sind nicht nur die Araber. Auch in der jüdischen Bevölkerungsmehrheit gibt es jene, die sich die Partys nicht madig machen lassen. Bars, Restaurants und Clubs sind zwar weiterhin geschlossen, Kultureinrichtungen detto – aber gegen Wohnzimmerpartys hat die Polizei keinerlei Mittel in der Hand.

Eine nächtliche Ausgangssperre steht deshalb im Raum, doch dieser Vorschlag sorgt für massiven öffentlichen Unmut: Man solle doch lieber öfter kontrollieren und strenger bestrafen, als wegen ein paar Regelverstößlern gleich die gesamte Bevölkerung einzusperren, murren viele.

Netanjahu gibt sich trotz all dieser Probleme aber zuversichtlich, dass der Frust bald ein Ende hat. Der Covid-19-Impfstoff des Pharmakonzerns Pfizer, für den Israel sich eine unverbindliche Lieferzusage ausbedungen hat, sei vergleichbar mit der Normandie-Landung im Zweiten Weltkrieg, erklärte Netanjahu. Licht am Ende des Tunnels, quasi. (Maria Sterkl aus Tel Aviv, 15.11.2020)