Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) und Neos-Chef Christoph Wiederkehr haben sich geeinigt und präsentierten am Montag erste Projekte.

Foto: APA/HERBERT NEUBAUER
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"Die Fortschrittskoalition für Wien" wird das fünfseitige Papier genannt, in dem die Schwerpunkte des rot-pinken Koalitionsabkommens zusammenfassend aufgelistet sind. Das Wort "Fortschrittskoalition" hatte Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) jedenfalls bereits zum Start der Gespräche zwischen der SPÖ und den Neos am 27. Oktober in den Mund genommen. Am Montagvormittag wurden die Eckpunkte gemeinsam von Ludwig und Neos-Chef Christoph Wiederkehr im Rathaus vorgestellt.

Dort stellte Ludwig in einem Nebensatz klar, was bisher noch nicht ausgesprochen wurde: "Ich übergebe das Wort an den designierten Vizebürgermeister", sagte Ludwig. Bisher war noch offen, ob Wiederkehr diesen Posten tatsächlich besetzen wird. Nach dem Wahlergebnis stehen nämlich der SPÖ beide Vizestadtchefs zu. Sie verzichtet damit für die Neos auf einen der beiden Stellvertreterposten.

Das vollständige Übereinkommen wird nach Angaben beider Parteien erst am Dienstagabend um 19 Uhr offiziell von Ludwig und Wiederkehr präsentiert. Davor muss der Pakt noch von den Gremien der SPÖ und der Neos akzeptiert werden – was aber als Formsache gilt.

Klargestellt hat Ludwig am Montag, dass Wien angesichts der Corona-Pandemie "vor großen Herausforderungen steht". Zurückhaltung wird in dem Papier von den Parteien aber dann nicht geübt: Die erste rot-pinke Koalition auf Landesebene werde "durch diese Krise führen, genauso wie durch den Klimawandel, und die Lebensqualität aller Wienerinnen und Wiener nachhaltig verbessern". Der Fokus richtet sich auf folgende inhaltliche Punkte:

Arbeit und Wirtschaft: Herausforderungen durch Arbeitslosigkeit

Die "Joboffensive 50 plus" für Arbeitslose wird wie angekündigt ausgebaut. Auch vorerst nicht weiter präzisierte Qualifizierungsmaßnahmen soll es geben. Große Herausforderungen gibt es vor allem aufgrund der gestiegenen Arbeitslosigkeit. Einpersonen- und Klein- sowie Familienunternehmen stehen "im Mittelpunkt". Die Wiener Wirtschaftsförderungen sollen durch Entbürokratisierung leichter zugänglich werden.

Bildung: Schulpsychologen werden "massiv aufgestockt"

Diesen Herbst wurde an 70 Standorten die Gratis-Ganztagsschule etabliert. In diesem Segment sollen "bis zu zehn weitere Standorte" pro Jahr dazukommen. Die Zahl der Schulpsychologen wird "massiv aufgestockt", Zahlen werden in dem Papier nicht konkret genannt. Laut Wiederkehr wird die Anzahl der Sprachförderkräfte im Kindergarten von derzeit 300 auf 500 erhöht.

Zudem wird an jeder Pflichtschule eine zusätzliche Verwaltungskraft zur Unterstützung eingesetzt. Die Angebote der Kinder- und Jugendhilfe sollen ausgebaut werden. Erinnert wird in dem Papier auch daran, dass Wien vor mehr als zehn Jahren den Gratiskindergarten eingeführt hat. Im Bereich Wissenschaft soll Wien "auch in Zukunft als führende europäische Forschungs- und Innovationsmetropole" positioniert werden.

Klima: Neues Klimaschutzgesetz

Ein neues Wiener Klimaschutzgesetz wird von Rot-Pink angekündigt. Das war auch eine Forderung der Neos. Hier sollen "Zielsetzungen, Werkzeuge und Gremien" gebündelt werden. Erneuerbare Energien sollen ausgebaut, Parks und Grünflächen errichtet werden. In diesem Bereich sind auch Abfallvermeidung, Baumpflanzungen sowie Begrünungs- und Kühlungsmaßnahmen Thema. Wien wird spätestens 2040 CO2-neutral, wird angekündigt. "Bis 2040 erfolgt der Ausstieg aus fossilen Energieträgern für Heizung, Kühlung und Warmwasserbereitung." Im Verkehrssektor sollen die CO2-Emissionen bis 2030 um mehr als 50 Prozent reduziert werden. Ähnliche Punkte sind bereits in der noch von Rot-Grün ausgehandelten aktuellen Smart-City-Rahmenstrategie der Stadt fixiert worden. Zudem soll der Anteil der Pkw-Pendler nach Wien bis 2030 halbiert werden. Das stand auch so im Wahlprogramm der SPÖ. "Der Klimaschutz hat einen großen Stellenwert in dieser Koalition", betonte am Montag Wiederkehr.

Integration: "Herausforderungen für das Zusammenleben"

Im rot-pinken Papier wird festgeschrieben, dass die kulturelle Vielfalt der Stadt "auch zu Herausforderungen für das Zusammenleben" führt. Im Mittelpunkt einer Integrationspolitik stehe aber immer "ein friedliches Zusammenleben aller Menschen in Wien". Grätzel sollen aufgewertet werden. Durch welche Initiativen genau, wird im vorliegenden Papier nicht ausgeführt. Die Gleichstellung der Geschlechter soll gefördert werden, gegen "jegliche Form der Diskriminierung" werde angekämpft.

Wohnen: 1.500 neue Gemeindebauwohnungen

Der geförderte Wohnbau soll weiter ausgebaut werden. 1.500 neue Gemeindebauwohnungen und tausende weitere geförderte Wohnungen sollen in den kommenden fünf Jahren auf den Weg gebracht werden. Zudem findet sich eine Sanierungsoffensive im Programm. Bestehende Gemeindebauten sollen auf den neuesten Stand gebracht werden.

Zudem soll an den Vergaberichtlinien geschraubt werden, heißt es in dem Übereinkommen. Ausgeschlossen hatte Ludwig bereits eine Deutschpflicht als Voraussetzung für den Erhalt einer Gemeindebauwohnung, wie sie im Wahlkampf die ÖVP gefordert hatte. Den Ausbau des von ihm damals noch als Wohnbaustadtrat eingeführten Wien-Bonus kann sich Ludwig allerdings vorstellen.

Zusätzlich findet sich im Bereich Wohnen ein Punkt der Neos: Auch private Eigentümer sollen "beim Bau und der Modernisierung von Wohnraum bestmöglich unterstützt und beraten werden", heißt es. Um den Klimawandel und seine Auswirkungen einzudämmen, setzt die Koalition auf "nachhaltiges Bauen und Modernisieren" sowie auf Maßnahmen, die "an Hitzetagen für Abkühlung sorgen".

Mobilität: Öffis und E-Mobilität werden ausgebaut

Die Koalition will die Mobilität und den Verkehr "umfassend weiterentwickeln". Unter anderem durch den weiteren Ausbau der Öffis und der E-Mobilität. Zudem soll es Investitionen in den Ausbau der Straßeninfrastruktur und den Ausbau des Radewegnetzes geben. Wiederkehr kündigte an, dass das Budget für den Radwege-Ausbau vervierfacht wird. Zuletzt betrug das Budget für die Radinfrastruktur in Wien rund sieben Millionen Euro. Zudem soll es neue Straßenbahnen in den Außenbezirken geben.

Der aktuelle Modal Split weißt einen Anteil von 25 Prozent aus, die das Auto nutzen, 38 Prozent fahren Öffis, sieben Prozent mit dem Rad. Der Rest geht zu Fuß. Letztere drei Verkehrsmittel, der sogenannte Umweltverbund, wollte die rot-grüne Koalition in den kommenden Jahren auf 80 Prozent steigern, das bedeutet, dass nur noch 20 Prozent das Auto nutzen sollten. Eine genaue Zahl, wie sich der Modal Split in den kommenden Jahren unter Rot-Pink verändern soll, ist in der Punktation nicht zu finden.

Hinzu kommen ein neues System des Parkraummanagements und verkehrsberuhigende Maßnahmen. Dieses Projekt war noch eines der amtierenden Stadträtin Birgit Hebein (Grüne) – sie wollte den "Fleckerlteppich" in Bezug auf das Parkpickerl angehen. Mit den Bezirksvorstehern gab es dazu bereits Gespräche, allerdings noch kein Ergebnis. Ob es – wie noch von Hebein angekündigt – ein einheitliches Zonen- und Tarifmodell für ein Wien-weites Parkpickerl geben wird, wird noch nicht näher erläutert.

Soziales: Gesundheitsportal soll geschaffen werden

In der Corona-Krise habe sich gezeigt, wie wichtig eine leistungsstarke öffentliche Gesundheitsversorgung ist, deshalb wolle man sowohl den niedergelassenen als auch den Spitalsbereich "in seiner Serviceorientierung und seiner Ausrichtung anhand der sich verändernden Bedürfnisse der Wienerinnen und Wiener weiterentwickeln", heißt es. Dafür werde es zusätzlich "umfassend neue digitale Angebote" geben. Etwa werde man das Wiener Gesundheitsportal schaffen.

Im Wahlkampf hatte Ludwig bereits eine Pflegegarantie für alle, die eine Pflegestelle benötigen, versprochen. Zudem werden laut Ludwig die Primärversorgungszentren (PVZ) ausgebaut.

Digitalisierung: Datenstrategie soll etabliert werden

Wien soll zur Digitalisierungshauptstadt werden. Das kündigte Ludwig bereits bei seinem Antritt als Bürgermeister an. 2018 war es eines seiner "Leuchtturmprojekte", wie er es nannte.

Zu den wichtigsten Projekten zählen laut dem Papier die Etablierung einer Datenstrategie für Wien, mehr Datensicherheit, die weitere Digitalisierung der Stadtverwaltung sowie die Verbesserung der bisher "analogen" Versorgungsinfrastruktur und von Bildungs- und Wissenschaftsangeboten.

Transparenz: Kontrollrechte werden gestärkt

Ein wichtiger Eckpunkt des Papiers sind die Themen Transparenz, Kontrolle und Nachvollziehbarkeit – besonders weil dieser Punkt und dessen Gewichtung ein deutliches Zugeständnis der SPÖ an die Neos ist. Die Bereiche seien "zentrale Bestandteile einer lebendigen Demokratie", heißt es in der Punktation.

Die Koalition will den offenen Zugang zu Datenbanken und Studien ausbauen – genauso wie die Kontrollrechte des Gemeinderats und des Stadtrechnungshofs im Bereich der Parteifinanzen. Hier wolle man "alle Chancen nutzen, die uns die Digitalisierung bietet, um die Politik weiter zu öffnen", heißt es. Zur Korruptionsprävention und -bekämpfung will die Koalition eine weisungsungebundene Wiener Antikorruptions-Ombudsstelle einrichten. Auch die Stelle eines Informationsfreiheitsbeauftragten wird eingerichtet, kündigte Wiederkehr am Montag an.

Auch die Untersuchungskommissionen sollen reformiert werden. Insgesamt sollen Gemeinderat und Landtag transparenter und bürgernäher werden. Für faire und sparsame Wahlkämpfe soll ein "klares und verbindliches Regelwerk" ausgearbeitet werden. Die Halbierung der Parteienförderung, wie die Neos sie im Wahlkampf gefordert haben, hat vorerst keinen Einzug gefunden. Auch die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger in puncto Demokratie und Bürgerbeteiligung soll ausgebaut werden.

Mehr Details am Dienstag

Die Details der rot-pinken Vorhaben sollen dann erst am Dienstag nach der Zustimmung der Parteigremien zum Pakt näher erläutert werden. Fragen waren bei der Pressekonferenz am Montag nicht zugelassen. Ludwig zeigte sich überzeugt davon, dass die erste rot-pinke Zusammenarbeit auf Landesebene politische "Nachahmer finden" wird. Ludwig sprach von einem "sehr modernen, guten Programm", Wiederkehr nannte es einen "großen Wurf". Besiegelt wurde die Zusammenarbeit mit einem Corona-adäquaten "Fistbump" vor den Fotografen. (Oona Kroisleitner, David Krutzler, 16.11.2020)