Die Idee, so scheint es auf den ersten Blick, ist so gut wie verlockend: Testet ein Land alle seine Bürgerinnen und Bürger – und überhaupt alle, die dort wohnen –, wissen seine Behörden genau, wer denn nun mit dem Coronavirus infiziert ist und wer nicht. Die Slowakei hat es jüngst vorgemacht. So einfach gestaltet sich die Lage allerdings dann doch nicht, wie bei genauerem Hinsehen deutlich wird.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), der die Massentests am Sonntag angekündigt hat, beteuert freilich, dass man sich damit lediglich eine Momentaufnahme erwarten dürfe. Und doch hätten andere europäische Länder, die Slowakei etwa, gute Erfahrungen mit dieser Strategie gemacht. Doch wie die Berichte aus Europa belegen, steckt der Teufel, wie so oft in Sachen Corona, im Detail.

Bisher nur kleine Länder

Je größer die Bevölkerung, desto wahrscheinlicher treten Probleme auf. Österreich, mit seinen knapp neun Millionen Einwohnern im EU-Vergleich gerade einmal Mittelfeld, wäre das bisher größte Land, das Massentests auf Covid-19 durchführt. Luxemburg, dessen Großherzog Henri gerade einmal 600.000 Untertanen zählt, begann schon Mitte Mai damit, Einheimische und Berufspendler (vor allem Belgier und Deutsche arbeiten in dem wirtschaftsstarken Kleinstaat) einem Test zu unterziehen – ähnlich wie hierzulande auf freiwilliger Basis. Anders als geplant, zog sich das Verfahren allerdings über mehrere Wochen. Auch wenn heute, ein halbes Jahr später, Testkits in weit größerer Zahl und mit schnellerer Diagnostik verfügbar sind – die erhoffte Stunde null, in der die Behörden genaue Zahlen zur Hand haben, trat nicht ein.

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Auch in der nordslowakischen Ortschaft Trenčianske Stankovce wurde massenhaft getestet.
Foto: REUTERS / Radovan Stoklasa/File Photo

Und auch donauabwärts, in der Slowakei nämlich, ist das Resümee der Massentests eher durchwachsen. 5,5 Millionen Menschen leben dort, ein erklecklicher Teil davon im Ballungsraum Bratislava, direkt an Österreichs Grenze. Zum Einsatz kam der relativ neue Antigentest, der zwar rasche Ergebnisse zeitigt, allerdings im Vergleich mit dem schon länger angewandten PCR-Test als weniger exakt gilt. Von den 3,6 Millionen Menschen, die in der ersten Runde um Allerheiligen getestet wurden, hielten wenig später 38.000 ein positives Ergebnis in Händen. Eine Woche später wurden noch einmal zwei Millionen Menschen über dem Alter von zehn Jahren getestet – 0,66 Prozent waren diesmal positiv.

Offiziell war auch der slowakische Massentest freiwillig – wer allerdings kein negatives Ergebnis vorweisen konnte, musste sich streng isolieren, inklusive Weg in die Arbeit. Regierungschef Igor Matovič, ein Populist, kann trotz allem darauf verweisen, dass sein Land heute in puncto Sieben-Tages-Inzidenz vergleichsweise gut dasteht. Mithilfe der Massentests habe man die Zahl der Neuinfektionen um die Hälfte gesenkt.

Freiwillig – mit Hürden

Um den ab Samstag geltenden Lockdown möglichst kurz zu halten, plant nun auch die norditalienische Region Südtirol einen Massentest. So soll die Anzahl der Infizierten ermittelt und "Superspreader" sowie asymptomatische Personen ausgemacht werden. 350.000 Bürger werden zum Test gebeten, berichtete der ORF Tirol am Freitag, das entspricht knapp 70 Prozent der Bevölkerung. Der Test erfolge freiwillig, sollte sich der Großteil dem Test jedoch verweigern, drohe eine Verlängerung des Lockdowns. Positiv getestete Personen, heißt es wenig überraschend, müssen in Quarantäne. Daher befürchten die Südtiroler Behörden, dass sich zu wenig Menschen freiwillig testen lassen.

Andorra, mit seinen 77.000 Einwohnern etwa so bevölkerungsreich wie der 15. Wiener Gemeindebezirk, war sogar noch früher dran. Eingeklemmt zwischen den beiden Hotspots Frankreich und Spanien, bestellte das Fürstentum schon im März 150.000 Antikörpertests, um herauszufinden, wie viele Menschen die Infektion schon in sich trugen. Auch Gibraltar, an der Südspitze Spaniens gelegen, ging schon im Frühling ähnlich vor.

In Liverpool hilft die Armee aus – wie auch in der Slowakei.
Foto: AFP/Ellis

In den großen Ländern Europas reagieren die Behörden bisher meist nur mit punktuellen Massentests auf die ständig steigenden Infektionszahlen. Im nordenglischen Corona-Hotspot Liverpool etwa wird seit dem Wochenende erstmals eine komplette Stadt auf das Coronavirus getestet. Innerhalb von etwa zehn Tagen sollen sich die knapp 500.000 Einwohner Schnelltests unterziehen, darunter auch im berühmten Stadion Anfield des Fußballvereins Liverpool FC. Der Erfolg des Versuchs in Liverpool gilt laut Premierminister Boris Johnson als Wegweiser für nationale Massentests bis Weihnachten. Massentestungen im gesamten Land lehnen Experten bisher aber ab – möglicherweise falsche Ergebnisse könnten das Vertrauen der Bevölkerung in die Tests untergraben, heißt es.

Sorge vor Andrang

Und auch die zu erwartenden Schlangen vor den Teststationen bereiten Sorge. In der spanischen Hauptstadt Madrid, wo schon Ende September Massentests durchgeführt wurden, wurde derlei Skepsis durchaus bestätigt. (flon, 16.11.2020)