Das Urteil des EuGH ist umstritten, da das EU-Gesetz für den elektronischen Geschäftsverkehr eigentlich vorsieht, dass Host-Provider nicht zu einer allgemeinen Überwachung verpflichtet werden dürfen.

Foto: APA

Facebook muss wort- wie auch sinngleiche Hasspostings entfernen – und das weltweit. Das hat der Oberste Gerichtshof (OGH) vergangene Woche entschieden und orientiert sich damit an einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus dem Jahr 2019, das grundsätzlich ermöglicht, dass weltweite Löschungen angeordnet werden. Bedenken an dem Urteil hat es schon im vergangenen Jahr gegeben, nun kommen solche auch aus den USA; konkret von der juristischen Fakultät der American University. Dort schreibt die Rechtsprofessorin und Institutsleiterin Jennifer Daskal in Bezug auf die einstweilige Verfügung des OGH, dass ein Gericht in einem Mitgliedsstaat – nämlich in Österreich – der "Zensor der Welt" geworden sei.

EuGH lässt sinngleiche Löschung zu

Konkret geht es in dem Fall um die einstige Grünen-Chefin Eva Glawischnig und einen Facebook-Beitrag aus dem Jahr 2016, in dem ein Nutzer sie unter anderem als "korrupten Trampel" und "miese Volksverräterin" bezeichnet hatte. Facebook entfernte den Beitrag zwar nach einer Klage, allerdings nur in Österreich. Der Oberste Gerichtshof verwies den Fall an den Europäischen Gerichtshof, weil er wissen wollte, ob Facebook als Host-Service-Provider verpflichtet werden kann, nicht nur konkret beanstandete beleidigende Äußerungen zu löschen, sondern auch weltweit nach inhaltsgleichen, in Österreich rechtswidrigen Behauptungen zu suchen und diese zu sperren.

Der OGH ersuchte den EuGH damit um eine Auslegung der EU-Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr. Der EuGH entschied: Facebook kann dazu verpflichtet werden, Hasspostings aktiv zu suchen, und auch eine weltweite Löschung kann angeordnet werden. Das weitreichende Urteil sorgte auch für Kritik, unter anderem durch heimische Datenschützer, die vor einem Missbrauch durch autoritäre Staaten warnten. Diese Bedenken teilt Daskal nun angesichts des Urteils des OGH: Die EU schloss sich beim Urteil zum Recht auf Vergessen Googles Argumentation an, laut der das EU-Recht keine internationale Entfernung von Suchergebnissen vorsieht.

E-Commerce-Richtlinie verbietet allgemeine Überwachung

Aber: Die Möglichkeit, dass einzelne Mitgliedsstaaten eine weltweite Löschung anordnen, ließ der EuGH bestehen, sofern sie sich an andere Aspekte des EU-Rechts halten. Das Glawischnig-Urteil sei aber zusätzlich insofern überraschend, als es nicht nur das spezifische Posting betrifft – sondern eben auch weitere Beiträge. Das steht aus Daskals Sicht eigentlich in Konflikt mit der E-Commerce-Richtlinie. Nach dem EU-Gesetz für den elektronischen Geschäftsverkehr darf Host-Providern keine allgemeine Verpflichtung auferlegt werden, die übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder aktiv nach Rechtswidrigkeiten zu forschen.

Der OGH (und der EuGH) finde aber, dass bei spezifischen Fällen keine allgemeine Überwachung zutreffe. Die Bedingung: Die Pflicht, sinngleiche Beiträge zu entfernen, müsse präzise genug formuliert sein, um eine Einzelbeurteilung des jeweiligen Inhalts zu verhindern. Das ist für Daskal aber eine stark fehlgeleitete Einschätzung der Funktion und vor allem Präzision von automatisierten Tools. Außerdem müssen die Gerichte sich bei solchen Urteilen an "relevantes" internationales Recht halten.

Nationales Recht

Die Konsequenzen seien weitreichend: Denn während soziale Medien eigene Nutzungsbedingungen haben, müssen sie sich auch an nationales Recht in den jeweiligen Ländern, in denen sie aktiv sind, halten. In Österreich und Deutschland beispielsweise an das Verbotsgesetz, aber in Ländern wie Thailand etwa auch daran, dass Kritik an König Maha Vajiralongkorn verboten ist. Mit einer Entscheidung, wie sie der OGH getroffen hat, könnten auch solche Länder ihre lokalen Gesetze durchsetzen, um eine weltweite Zensur zu ermöglichen.

Und das nicht nur bei wortgleichen Beiträgen – sondern eben auch bei Postings, die nur einen ähnlichen Sinn wiedergeben. "Das erschafft ein Risiko für einen Unterbietungswettlauf, bei dem das zensurfreudigste Land internationale Regeln für die freie Rede bestimmt", warnt die Juristin. Zwar gebe es eine Schranke – nämlich dass internationale Gesetze eingehalten werden müssen. Somit müssen Gerichte sich beispielsweise an Menschenrechte oder das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung halten – aber auch diese sind in ihren Details zwischen Staaten oft heftig umstritten.

Der Streit ist nach der einstweiligen Verfügung vom Donnerstag noch nicht abgeschlossen – und gerade die weltweite Entfernung dürfte im Hauptverfahren nochmals Thema sein. (Muzayen Al-Youssef, 17.11.2020)