Das Haar in Salz und Pfeffer, die Beats zeitlos: Kruder und Dorfmeister.

Foto: Max "Mäx" Parovsky

Im Jahr 2001 saß Adrian Sherwood bei der Red Bull Music Academy in São Paulo und schimpfte über Moby. Früher als der New Yorker Popstar hätten er und die Band Little Axe Blues- und Gospelsamples mit laschen fetten Beats gekreuzt – ohne einen Megaseller zu landen.

Jetzt zeigt sich, dass der britische Produzent auch auf Peter Kruder und Richard Dorfmeister hätte schimpfen können. Ihr Debütalbum 1995 kreuzt ebenfalls Blues-Samples mit bis unters Dach bekifften Beats. Unter Federführung der beiden Wiener eroberte dieser Trip-Hop oder Downtempo genannte Sound die Welt.

1995 hatten die Produzenten ein Album in der Lade, sogar eine Handvoll Testpressungen gab es, veröffentlicht wurde es aber nicht, die beiden waren zu sehr mit Remixaufträgen und DJ-Jobs in aller Welt beschäftigt. Gut für Adrian Sherwoods Blutdruck.

Kaugummi an der Sohle

K&D spielten immer nach ihren eigenen Regeln, die jenen des Popgeschäfts selten entsprachen. Lieber öfter Nein- als einmal zu viel Jasagen. Diese Haltung spiegelt sich in dem Entschluss wider, jetzt, 25 Jahre später, das Ding doch zu veröffentlichen. Es ist so lapidar wie bedeutsam 1995 betitelt. Sogar die Labels der Musterplatten von damals wurden übernommen – und der maulfaul Johnson genannte Opener mit dem Sample aus Sweet Home Chicago des mythischen Blues-Großmeisters Robert Johnson bremst einen ab wie ein Kaugummi an der Turnschuhsohle.

Kruder & Dorfmeister

Zeitzeugen wirft das zurück in die 1990er, als diese Musik noch nicht durch Trittbrettfahrer inflationär und natürlich nie besser gemacht wurde. Der Sound war "fresh", wie Dorfmeister auf Falco-Wienerisch sagen würde, und Wien plötzlich total angesagt. Aus der ganzen Welt kamen Fans ins Flex am Donaukanal gepilgert, wo K&D regelmäßig akustische Schäferstündchen abhielten.

Ihre Karriere war bald King Size – so heißt ein anderer Track auf 1995, der mit Lounge-Exotik, bordelligen Keyboards und Bongload-Basslinien Libido und Hypophyse gleichermaßen stimuliert.

Tschuggi-tschugg

Oft als Fadgas denunziert, besitzt diese Musik trotz vermeintlicher Ereignislosigkeit eine hypnotische Qualität. Und nicht historisch, vielmehr zeitlos klingen die Tracks. Denn kaum jemand arbeitete so detailversessen wie die beiden. Ein bisserl Tschuggi-tschugg aus dem Latin Jazz, dort ein Lustschrei aus dem Soul, da eine Tröte vom Jazz. Verknüpft mit der Wiener (Nach-)Lässigkeit wurde das zur Trademark K&D.

1995 hat ein paar Längen, das ist den meisten Doppelalben eigen, und das wissen die beiden mittlerweile mit der Haarfarbe Salz und Pfeffer ausgestatteten Produzenten. Doch selbst skizzenhaft erscheinende Tracks überraschen mit feinspitzigen Details. Diese Ornamentierungen bescherten ihnen in den 1990ern Remixaufträge aus der Oberliga des Pop – von Depeche Mode über Madonna bis zu David Bowie, dem sie aber einen Korb geben mussten.

1995 zeigt, dass K&D kein marktschreierisches Unterfangen war. Für so breite Musik gab es keinen Mainstream. Aber ein zart toxisch beeinflusstes Lebensgefühl kurz vorm ersten Sonnenlicht nach einer leiwanden Nacht im Club, das vertonte niemand besser als K&D. 1995 bringt das in bekannter Finesse in Erinnerung. (Karl Fluch, 17.11.2020)