Bei ihrer Live-Performance (20.11., 15 Uhr) wird Elisabeth von Samsonow das Matriarchat ausrufen – und somit mit alten Ritualen brechen.
Foto: Astrid Bartl

Wir haben es hier mit einer außergewöhnlichen Sache zu tun. Nicht nur, dass hier Kunst ohne Publikum ausgestellt wird. Nein, es passiert auch in einem leerstehenden Einfamilienhaus in Wien-Simmering. Da dieses bald abgerissen werden soll und der Lockdown begonnen hat, ist unklar, ob die Schau überhaupt noch real besichtigt werden kann.

Nichtsdestotrotz wird House of Rituals im Rahmen der Vienna Art Week eröffnet – und mit gewohnten Ritualen gebrochen. Die Schau, die gemeinsam von Art-Week-Leiter Robert Punkenhofer und Kuratorin Angela Stief konzipiert wurde, wird ab heute, Dienstag, durch einen virtuellen Rundgang zugänglich gemacht.

Nicht ideal, aber immerhin bekommt man eine ausgiebige Tour durch die Ausstellung, bei der 20 zeitgenössische Positionen bekannter Kunstschaffender zu sehen sind. Für den STANDARD gab es vorab noch die Möglichkeit, die Reise nach Simmering anzutreten und das Haus gegenüber dem Bahnhof, hinter dem Friseur zu besichtigen.

Hallo Horror!

Ein schmaler Gang führt direkt in einen kleinen Vorgarten. Tritt man durch den hölzernen Bogen von Reinhold Zissers Projekt Notgalerie, fühlt man sich aus unerfindlichen Gründen an einen Zengarten erinnert. War man nicht gerade noch auf der Simmeringer Hauptstraße?

Das Haus blickt einem durch seine beleuchteten Fenster wie ein Gesicht entgegen. Ja, so könnte auch ein Horrorfilm beginnen.

Betritt man das Gebäude durch dessen Mund, geht es gleich in den Keller hinunter. Vorbei an Spinnweben führen steile Stiegen zu Videoarbeiten auf sandigem Boden, in denen Performances von Vito Acconci, Marina Abramović und Regina José Galindo laufen. Galindo greift in The Celebration die Tradition des Neujahrskonzerts auf und fragt nach dessen umstrittenem NS-Ursprung: Tanzpaare walzen im braunen Schlamm.

Ein kleiner Vorgeschmack zum "House of Rituals".
VIENNA ART WEEK

Von oben hört man Stimmen: In der Küche spricht Nives Widauer mit Daniel Spoerri über Rituale, die Aufnahme wird auf eine Ofenform projiziert. Aktuell riecht es auch nach Essen. Scott Clifford Evans hat für seine Performance eine übliche Thanksgiving-Speise zubereitet: Kartoffeln, Käse und Cornflakes.

Immer wieder wird das Thema der rituellen Wiederholung theoretisch und humoristisch aufgegriffen, es bleibt subtil zurückhaltend, oder es wird explizit gefragt: Müssen Rituale immer sinnvoll sein?

Oliver Hangl hat eine hölzerne Wippe durch die Zimmerwand gerammt, Erwin Wurm auf der Toilette die Anleitung für eine One-Minute-Sculpture installiert (auf den Klodeckel stellen und zwei Milchpackungen auf den Füßen balancieren), und Emiko Kasahara lässt einen durch den Badezimmerspiegel 88 Frauen bei ihrer täglichen Routine beobachten.

Kristalle und Teppichboden

In den Zwischenräumen des Gebäudes erinnern Spuren an die erst kürzlich ausgezogene Familie. Eine kaputte Uhr, ein Regenschirm, ein alter Sessel. Jetzt, so scheint es, haben sich hier Aberglaube, Traditionsbruch und Ritus als neue, geisterhafte Mieter eingefunden.

An rosa gestrichenen Wänden läuft die Videoarbeit Crystal Healing des Künstlerduos Hanakam & Schuller, in der Frauen ein Haus an der Schwarzmeerküste mithilfe von Kristallen reinigen. Zwischen Stofftapete und Teppichboden hängen Relikte von Hermann Nitschs Orgien-Mysterien-Theater sowie zu einem Matriarchataltar arrangierte Werke von Elisabeth von Samsonow.

Unheimlich wird es auf dem Dachboden – quasi im Kopf des Hauses: Da laufen die lustig-verstörende Heidi-Parodie von Mike Kelley und Paul McCarthy sowie ein Video von Oliver Hangl. Darin steigert sich das anfangs nette Grinsen eines stummen Chors bis zu einer gruselig verkrampften Grimasse. Eine fast lebendig wirkende Skulptur von Thomas Gänszler ruht davor auf dem Boden.

Hat sich da gerade etwas bewegt? In einem Horrorfilm wäre genau jetzt der Zeitpunkt, in dem ... (Katharina Rustler, 17.11.2020)