Der Appell von Bundeskanzler Sebastian Kurz war eindeutig: "Treffen Sie niemanden!", richtete er der Bevölkerung aus, als die neuen Ausgangsbeschränkungen präsentiert wurden. Und: Wenn man allein lebt, soll man eine Person definieren, mit der man während des Lockdowns im persönlichen Kontakt bleibt.

Doch während viele schon damit anfingen, ihre Lockdown-Knuffelkontakte zu bestimmen, rückte das Gesundheitsministerium einen Tag später aus und präzisierte: Mit engen Familienangehörigen oder wichtigen Bezugspersonen können sehr wohl Treffen stattfinden, und zwar auch mit mehreren Personen gleichzeitig. Etwa zehn Stunden später folgte dann die Klarstellung der Präzisierung in Form einer adaptierten rechtlichen Begründung: Nur ein "Einzelner" eines Haushalts dürfe Mitglieder eines anderen Haushalts treffen, wobei deren Anzahl wiederum keine Rolle spielt. Selbst die Erläuterungen zur Verordnung sind für versierte Verfassungsexperten nicht nur eine interpretatorische Herausforderung, sondern stehen womöglich sogar im Widerspruch zur Verordnung selbst.

Am 17.11. tritt in ganz Österreich der 2. Lockdown zur Eindämmung der Covid-19 Pandemie in Kraft.
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Fakt ist: Am Tag, an dem die entsprechende Verordnung in Kraft tritt, ist unzähligen Menschen immer noch nicht klar, was sie eigentlich dürfen und was nicht. Das liegt vor allem an der von der Regierung gestifteten Verwirrung. Man kommt offenbar nicht überein, wie die Regeln zu verstehen sind. Dabei dürfte die Verordnung an sich aus juristischer Sicht über weite Strecken passabel formuliert sein.

Empfehlung und Vorschrift

Wozu dann diese missverständliche Kommunikation? Es passiert nicht zum ersten Mal: Bereits im Frühling war wiederholt davon die Rede, dass es vier Gründe gebe, um das Haus zu verlassen. Tatsächlich waren es fünf. Auch dieses Mal führte Kurz vier Ausnahmen an – in Wahrheit sind es aber neun. Klar gilt es nach wie vor, die Herausforderung zu meistern, in den Privatbereich möglichst nicht einzugreifen. Doch das Dilemma dadurch zu lösen, indem man nicht mehr zwischen Empfehlung und Vorschrift unterscheidet, ist weder moralisch noch taktisch der richtige Weg. Man sollte sich in einer Krise wie dieser darauf verlassen können, dass sowohl die Aussagen von Regierungsmitgliedern als auch die erlassenen Regelungen widerspruchsfrei sind. Ansonsten stiftet das womöglich nicht nur Verwirrung in der Bevölkerung, sondern auch bei Polizeibeamten. Was wiederum zu willkürlichen Strafen führen könnte.

Klarheit darüber haben zu wollen, was erlaubt ist und was nicht, ist weder spitzfindig noch kleinlich. Es bedeutet auch nicht, dass man sich nicht auch unabhängig von den Vorschriften darüber Gedanken machen kann und auch unbedingt sollte, welchen maximalen Beitrag man zur Pandemiebekämpfung leisten kann. Denn das ist notwendiger denn je. Es geht vielmehr darum, dass die Verwirrung Kollateralschäden nach sich zieht, die es unbedingt zu vermeiden gilt: Manche ziehen sich dann aus Verunsicherung völlig ins Private zurück und vereinsamen. Andere reagieren mit einer unsolidarischen Trotzhaltung und beschließen, sich nicht mehr an dem gesamtgesellschaftlichen Kraftakt zu beteiligen. Im schlimmsten Fall jedoch sind die Unklarheiten Wasser auf die Mühlen jener, die verunsicherte Bürger dazu bringen wollen, die Pandemie samt ihrer dringend notwendigen Bekämpfung infrage zu stellen. (Vanessa Gaigg, 16.11.2020)