Viele seien unsicher, bei welchen Symptomen sie Hilfe brauchen, das seien schwierige Entscheidungen, die Betroffene auch noch später beschäftigen können, so die Expertin.

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Wer an Covid-19 erkrankt, leidet mitunter nicht nur körperlich, sondern auch psychisch. Denn spätestens mit dem positiven Testergebnis verändert sich alles: Andere müssen sich nun eine Zeitlang vor Kontakt mit einem schützen. Und Erkrankte selbst sind plötzlich isoliert – obwohl sie gerade jetzt Zuwendung bräuchten. Viele fühlen sich nun auch mit Ängsten und quälenden Fragen – etwa, ob die Krankheit bei ihnen einen schweren Verlauf nehmen wird – allein gelassen.

Diese belastende Situation ist für manche vergessen, sobald sie körperlich wieder fit sind. Andere beschäftigen die psychischen Folgen von Krankheit und Isolation aber länger. Das weiß Anna Vonwald, Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision, die derzeit in freier Praxis in Wien arbeitet. Hier bietet sie Gruppen- und Einzeltherapie für Genesene an, die die teils wochenlange soziale Isolation, aber auch Sorgen und Ängste, die durch die Krankheit aufgekommen sind, verarbeiten wollen.

Der verhaltenstherapeutischen Gruppentherapie, die eigentlich Mitte November hätte starten sollen, machte nun zwar der neuerliche Lockdown einen Strich durch die Rechnung. Einzeltherapien finden aber mit Sicherheitsvorkehrungen weiterhin statt und sind aktuell auch online möglich. Der psychische Zustand Genesener sei unterschiedlich, das komme auch auf die Ausprägung an, sagt Vonwald: "Es nagt schon an den Menschen, wenn sie länger körperlich und psychisch eingeschränkt sind."

Mit Corona-Shaming konfrontiert

Manche fühlten sich in der Akutphase der Erkrankung sehr alleine, erzählt Vonwald. Die vielen behördlichen Telefonate und alltäglichen Aufgaben überfordern in solch einer Phase schnell. Viele seien unsicher, bei welchen Symptomen sie Hilfe brauchen, das seien schwierige Entscheidungen, die Betroffene auch noch später beschäftigen können.

Außerdem würden sich viele Genesene fragen, warum, wo und wie sie sich trotz aller Vorsichtsmaßnahmen angesteckt haben könnten. Auch weil Genesene bei der Rückkehr in ihren Alltag manchmal mit Corona-Shaming konfrontiert sind. Menschen aus dem Umfeld gehen aus Angst vor einer Ansteckung weiterhin auf Abstand, manchmal gibt es auch eine Schuldzuschreibung. Der oder die Erkrankte, so der Vorwurf, hätte sich verantwortungslos verhalten.

Die psychischen Folgen einer Corona-Infektion träten meist erst nach der körperlichen Erkrankung auf, beobachtet Vonwald. "In einer extremen Situation funktionieren Menschen gut, da wird nicht nachgedacht. Aber irgendwann wird einem dann bewusst, dass es nicht so leicht war", so die Expertin. "Dann wird man erst konfrontiert mit den eigenen Emotionen."

Schwieriges Jahr

Schwierig ist die Situation aber natürlich bei weitem nicht nur für Menschen, die an Corona erkranken. Auch die damit einhergehenden Maßnahmen, die Unsicherheit und der Lockdown fordern ihr Tribut. "Dieses Jahr ist schon für Menschen, die stabil sind, schwierig", sagt Vonwald. Menschen mit psychischen Erkrankungen treffe es noch härter. Das merke man zurzeit vor allem auch an der großen Nachfrage nach Psychotherapie.

Was die Pandemie für alle so schwierig macht: Corona greife in viele menschliche Grundbedürfnisse ein – etwa, was das Bedürfnis nach Nähe und sozialem Austausch, Autonomie und dem Erleben schöner und freudvoller Momente betrifft. Ein weiteres Grundbedürfnis sei jenes nach Sicherheit und Kontrolle, welches durch die Pandemie aus den Fugen geraten ist, aber auch durch den Terroranschlag in Wien vor wenigen Wochen.

Noch etwas kommt in der Krise für viele erschwerend dazu: Wer Angst vor einem Jobverlust hat oder seine Arbeit schon verloren hat, tut sich oft mit dem Thema Selbstwert schwer. "Wir leben in einer Leistungsgesellschaft", sagt Vonwald. "Der Job ist gekoppelt mit dem Selbstwert."

Wohlbefinden regulieren

Der Zeitpunkt, zu dem man professionelle Hilfe suchen sollte, ist individuell verschieden. Jeder und jede habe Wege, sein oder ihr psychisches Wohlbefinden zu regulieren – aber nur in einem bestimmten Ausmaß, wie Vonwald betont. Die einen gehen laufen, wenn es ihnen schlecht geht. Andere rufen eine Freundin an. Aber irgendwann hilft all das vielleicht nicht mehr. Expertinnen und Experten gehen daher davon aus, dass uns diese Kollateralschäden der Krise noch lange beschäftigen werden.

Die Krise, das betont Vonwald, mache etwas mit einem. "Aber das kann auch positiv sein." Ob an Corona erkrankt oder nicht: "Man kann auf diese Zeit zurückschauen und sagen: Wow, ich habe das gut gemeistert." Und wenn es nur die Erkenntnis ist, dass man es gut aushält, mit sich alleine zu sein. (zof, 15.12.2020)