Ein Pogrom in der Stadt Sumgait in der damaligen Sowjetrepublik Aserbaidschan am 28. Februar 1988, bei dem hunderte Armenier umgebracht wurden, markierte den Auftakt zum Zerfall des Sowjetreiches und zum offenen Ausbruch eines unlösbaren Konfliktes zwischen den unabhängigen Republiken Armenien und Aserbaidschan.

Um die Enklave Bergkarabach, eine mehrheitlich von Armeniern bewohnte Region (etwa so groß wie das Burgenland) in Aserbaidschan, kam es 1991 zu einem dreijährigen Krieg mit 20.000 Toten, 750.000 vertriebenen Azeris aus der Enklave und 350.000 geflüchteten Armeniern aus Aserbaidschan (laut dem OSZE-Jahrbuch 2014).

Der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan flammt wieder auf.
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Seitdem von der sogenannten Minsk-Gruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), geführt von Russland, Frankreich und den USA, 1994 ein fragiler Waffenstillstand vermittelt wurde, kam es immer wieder zu Scharmützeln.

Aserbaidschan forderte die damals von armenischen Soldaten eroberte Region und sieben Nachbarbezirke zurück. Es gab drei Hauptgründe für den am 27. September von Aserbaidschan entfesselten sechs Wochen langen Krieg, der vor einer Woche mit der De-facto-Kapitulation Armeniens und mit geschätzten 5000 Toten und mit dem Verlust von zwei Dritteln des von seinen Kräften kontrollierten Gebietes und der Flucht von 100.000 Menschen aus Karabach nach Armenien endete.

Geänderte Kräfteverhältnisse

Die Aufrüstung Aserbaidschans und die politische und militärische Hilfe der Türkei für den öl-und gasreichen "Bruderstaat" gegen das rohstoffarme Armenien haben die Kräfteverhältnisse völlig geändert.

Russland hat diesmal die Offensive Aserbaidschans und die Einmischung der Türkei zugelassen. Der durch eine Volksbewegung an die Macht gelangte reformfreudige Ministerpräsident Armeniens Nikol Paschinjan hat trotz der offensichtlichen militärischen Unterlegenheit auf die nationale Karte statt auf Kompromisse gesetzt.

Der russische Präsident Wladimir Putin hat dem christlichen Bündnispartner gegen den muslimischen Gegner nicht geholfen, weil der Bündnisfall nur für Angriffe auf armenisches Territorium gilt. Mit der Stationierung von bewaffneten Friedenstruppen zusätzlich zum militärischen Stützpunkt in Armenien spielt Russland eine geopolitische Schlüsselrolle.

Der Rückzug der USA aus der Region und das Vorrücken der Türkei in das südkaukasische Konfliktgebiet zusammen mit westeuropäischer Gleichgültigkeit schaffen neue Strukturen. Frankreich, wo 600.000 Armenier leben, war eines der ersten Länder, die den Genozid an den Armeniern im Osmanischen Reich 1915–16 anerkannt haben. Trotzdem beließ Paris es bei Solidaritätserklärungen.

Abgrundtiefer Hass und erbarmungslose Rachsucht prägen seit Jahrhunderten die Beziehungen zwischen den Volksgruppen. Dass sich dank seines militärischen Triumphs und der nationalistischen Euphorie einer der korruptesten Diktatoren der Welt, Präsident Ilham Alijew (seine Frau ist Vizepräsidentin!), von einer Welle der Begeisterung tragen lassen kann, gehört auch zur Schadensbilanz dieses dreißigjährigen Krieges. (Paul Lendvai, 16.11.2020)