Zeit für Stellungnahmen vor Verlautbarung einer Regelung würde Rechtssicherheit bringen, so der Steuerberater Marcus Ager im Gastkommentar.

Die Einschränkungen dieser Tage machen auch Hilfsleistungen für Unternehmen notwendig. Mangelnde Kreativität kann man der Bundesregierung dabei wahrlich nicht vorwerfen. Die Komplexität des Corona-Hilfspakets hat ein mittlerweile erstaunliches Ausmaß erreicht.

Unterstützungsleistungen erhalten Unternehmen – angeblich rasch und unbürokratisch – aus dem Härtefallfonds (Phase 1 und 2), durch die Kurzarbeitsbeihilfe (mittlerweile in Phase 3), den Fixkostenzuschuss (hier besonders kreativ: in Phase 1 und 2 sowie in Tranchen 1, 2 und 3) oder jüngst den Lockdown-Umsatzersatz. Für Überbrückungsfinanzierungen stehen staatliche Garantien bereit. Für die erhoffte Erholung der Wirtschaft wurden eine Investitionsprämie und ein Konjunkturstärkungsgesetz geschaffen. Dazu kommen noch länderspezifische und regionale Förderungen.

Große Rechtsunsicherheit

Wer jetzt noch glaubt, den Überblick behalten zu haben, der werfe noch einen Blick auf die Vielzahl an abwickelnden Förderstellen. Mit WKO, AMS, Cofag sowie Austria Wirtschaftsservice, Hotel- und Tourismusbank und Kontrollbank sowie den Finanzämtern bedarf es einer Vielzahl an Ansprechpartnern. Teils ist nicht einmal eine Vertretung durch einen Parteienvertreter möglich.

Abgesehen von der Unübersichtlichkeit des Corona-Förderdschungels besteht für Unternehmen aus zweierlei Gründen gravierende Rechtsunsicherheit. Zum Ersten wird das Gros der Förderungen im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung gewährt, womit kein Rechtsanspruch besteht und auch das Rechtsschutzsystem im Verwaltungsverfahren ausgehebelt wird. Zum Zweiten werden die Regelungen derart häufig abgeändert, dass die Rechtslage schon als lebendes Gebilde bezeichnet werden muss. Im (seltenen) besten Fall werden aktualisierte Richtlinien veröffentlicht, im (häufigeren) schlechtesten Fall, allen voran bei den Kurzarbeitsregeln des AMS, wird über eine neue Verwaltungsübung schlicht auf der FAQ-Seite (!) der jeweiligen Förderstelle informiert. Der De-facto-Aufstieg von FAQs, also besonders häufig gestellten Fragen, zu verbindlichen Rechtsquellen ist die wohl größte Skurrilität, die die Corona-Krise mit sich gebracht hat, und gleichermaßen peinlich wie gefährlich für den Rechtsstaat.

Legistische Fouls

Finanzminister Gernot Blümel, von der Regierung als Gesicht der Corona-Wirtschaftshilfen auserkoren, wirkt mit der Situation doch etwas überfordert. Seit Monaten wird reflexartig und auf Zuruf ein Stückwerk an Ad-hoc-Regelungen produziert, das eine Vielzahl an legistischen Fehlern aufweist und entsprechend laufend überarbeitet werden muss. Unvergessen bleibt die im Juli rückwirkend (!) eingeführte Senkung der Umsatzsteuer unter anderem in der Gastronomie, die es für acht Tage schlicht verunmöglichte, eine gesetzeskonforme Rechnung auszustellen. Die damalige Reaktion der Finanzverwaltung? Sichtlich entnervt vom Gesetzgeber wurde verlautbart, dass der Umsatzsteuersatz von fünf Prozent auch mittels händischer (!) Korrektur auf dem Beleg ausgewiesen werden könne. Ein Treppenwitz der Steuerberaterbranche und nur eines von vielen Beispielen für viele gröbere legistische Fouls der vergangenen Monate.

Die Regelungen für manches Förderinstrument werfen ein schlechtes Licht auf Finanzminister Gernot Blümel.
Foto: APA / Herbert Neubauer

Ein zweites leuchtendes Beispiel ist die zweite Phase des Fixkostenzuschusses, die im August vom Finanzministerium verlautbart, von der EU-Kommission jedoch bis heute nicht genehmigt wurde. Das Bild ist dabei wenig vorteilhaft. Wenn ein wahlkämpfender Wiener Parteiobmann und Finanzminister in Personalunion ein Förderinstrument präsentiert, das für Experten klar erkennbar gegen EU-Beihilfenrecht verstößt, mag er dafür seine politischen Gründe gehabt haben, für die betroffenen Unternehmen ist die daraus resultierende Rechtsunsicherheit aber untragbar.

Neuer Stil

Das Grundproblem liegt darin, dass Experten im Gesetzgebungsverfahren nicht oder erst viel zu spät zu Wort kommen. Dabei gab es einmal eine Zeit, in der – ganz im alten Stil – der Weg eines Bundesgesetzes mit einem vorparlamentarischen Verfahren begann. Ein Ministerialentwurf wurde zunächst einem Begutachtungsverfahren unterzogen, bevor er als Regierungsvorlage zur Beschlussfassung in den Nationalrat eingebracht wurde. In diesem Begutachtungsverfahren bestand für die Sozialpartner sowie für Standesvertretungen, wie beispielsweise die Kammer der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer mit ihren Experten in den Fachsenaten, Gelegenheit zur Stellungnahme.

Der neue Stil scheint anders zu funktionieren. Neuerdings steht am Beginn eines Gesetzgebungsverfahrens in aller Regel eine Pressekonferenz, in der die Vorhaben öffentlichkeitswirksam propagiert werden. Im zweiten Schritt – nun bereits unter Zeitdruck – wird der lästige Umweg des Begutachtungsverfahrens vermieden und das Gesetz mittels Initiativantrag direkt auf den Weg gebracht. Das vermeidet einen öffentlichen Diskurs zu geplanten Gesetzesänderungen, was in der Öffentlichkeit fälschlich als Einigkeit und Abwesenheit von Streit verstanden wird. Aber das war ja gerade das Versprechen des neuen Stils …

Dringender Appell

Es steht außer Zweifel, dass auf Entscheidungsträgern dieser Tage immenser Druck lastet und häufig Zeitnot herrscht. Trotzdem ist ein dringender Appell angebracht, Experten wieder mehr und rechtzeitig zu Wort kommen zu lassen. Die benötigte Zeit für Stellungnahmen vor Verlautbarung einer Regelung spart mehrmalige Überarbeitungen und bringt Rechtssicherheit. Insofern wäre eine zumindest teilweise Rückkehr zum alten Stil wünschenswert. Eine Rückkehr nicht in eine Streit-, sondern in eine so dringend notwendige Diskurskultur! (Marcus Ager, 17.11.2020)