Das Mittel des US-Biotechkonzerns Moderna zeigte nach Angaben des Unternehmens in einer Zwischenanalyse eine Wirksamkeit von 94,5 Prozent beim Schutz vor Covid-19.

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Frankfurt / New York – Ein weiterer Studienerfolg mit einem Corona-Impfstoff schürt Hoffnungen im Wettlauf zur Beendigung der Pandemie. Nach dem Mainzer Biotechunternehmen Biontech und seinem Partner Pfizer legte auch der US-Pharmakonzern Moderna positive Daten aus der entscheidenden Studie mit seinem Impfstoff vor. In einer Zwischenanalyse zeigte die Impfung eine Wirksamkeit von 94,5 Prozent beim Schutz vor Covid-19. "Wir werden einen Impfstoff haben, der Covid-19 stoppen kann", sagte Moderna-Präsident Stephen Hoge. Zusammen mit dem Biontech-Impfstoff, der auf eine Wirksamkeit von über 90 Prozent kam, könnten in den USA damit noch im Dezember zwei Impfstoffe über eine Notfallzulassung auf den Markt kommen.

Wichtige Fragen

"Das sind hervorragende Neuigkeiten. Mit etwas Glück wird uns das allen helfen, 2021 irgendwann wieder zu etwas Normalität zurückzukehren", sagte Eleanor Riley, Professorin für Immunologie und Infektionskrankheiten von der Universität Edinburgh. Der Optimismus, dass es in den nächsten Monaten eine Auswahl an guten Impfstoffen gebe, steige dadurch erheblich, erklärte der Wissenschafter Peter Openshaw vom Imperial College in London. Die Experten wiesen aber – wie schon bei Biontech und Pfizer – darauf hin, dass noch weitere detaillierte Daten nötig seien. Eine wichtige Unbekannte sei etwa, ob der Impfstoff auch die Übertragung der Krankheit verhindere, urteilte Riley.

Auch der renommierte US-Immunologe und Corona-Experte Anthony Fauci reagierte begeistert auf die Daten von Moderna. "Besser wird es nicht – 94,5 Prozent sind wirklich hervorragend", sagte Fauci. Seiner Einschätzung zufolge könnten die ersten Impfungen in den USA im Dezember bei Hochrisikogruppen beginnen, der breite Rest der Bevölkerung könnte eher ab Ende April dran sein. "Und das wird in den Mai, Juni und Juli hineingehen. Das wird ein paar Monate dauern."

An den Börsen ließen die zweiten positiven Nachrichten zu einem Corona-Impfstoff binnen einer Woche Hoffnung aufkommen. Der Dax legte um bis zu 1,5 Prozent zu, Moderna-Aktien stiegen um 15,4 Prozent und erreichten ein Rekordhoch. Allerdings fiel die Reaktion nicht mehr so euphorisch aus wie in der Vorwoche, da unklar ist, wann der Impfstoff zur Verfügung steht und wie schnell die Pandemie überwunden werden kann.

EU verhandelt über Ankauf

Moderna erwartet, in den kommenden Wochen in den USA eine Notfallzulassung für den Impfstoff mRNA-1273 beantragen zu können. Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) leitete am Montag einen beschleunigten Zulassungsprozess ein. Die Europäische Union hat mit Moderna bereits Sondierungsgespräche über den Kauf von bis zu 160 Millionen Impfdosen abgeschlossen. Der Preis solle dabei unter 25 Dollar je Dosis liegen, sagte ein an den Verhandlungen beteiligter EU-Vertreter. Die USA haben mit dem Unternehmen einen Vertrag über die Lieferung von 100 Millionen Dosen im Wert von rund 1,5 Milliarden Dollar geschlossen. Moderna hat bisher noch kein Produkt auf den Markt gebracht. Das 2010 gegründete Unternehmen hatte im Frühjahr die erste Corona-Impfstoffstudie in den USA gestartet.

Von dem Corona-Impfstoff von Biontech und Pfizer hat sich die Europäische Union bereits bis zu 300 Millionen Dosen gesichert. Ein ranghoher EU-Beamter hatte der Nachrichtenagentur Reuters gesagt, die EU werde pro Impfung weniger als 19,50 Dollar (umgerechnet rund 16,50 Euro) zahlen und damit weniger als die USA. Dieser Preis spiegele teilweise die finanzielle Unterstützung der EU und Deutschlands für die Entwicklung des Impfstoffs wider.

Neuer Impfstoff bei Haltbarkeit im Vorteil

Biontech und Pfizer planen noch in diesem Monat einen Antrag für eine Notfallgenehmigung in den USA, in dieser Woche erwarten sie die dafür entscheidenden Daten zur Sicherheit des Impfstoffs. Der Impfstoff von Moderna kann vor allem mit Haltbarkeitsvorteilen gegenüber der Biontech-Impfung punkten. Er benötigt keine ultrakalte Lagerung und kann damit einfacher ausgeliefert werden. Moderna erwartet, dass er bei normalen Kühlschranktemperaturen 30 Tage lang stabil ist und bis zu sechs Monate bei minus 20 Grad Celsius gelagert werden kann. Der Impfstoff von Biontech und Pfizer muss dagegen bei minus 70 Grad versendet und gelagert werden, bei normalen Kühlschranktemperaturen ist er fünf Tage lang haltbar.

Die Phase-III-Studie zu RNA-1273 von Moderna, die insgesamt 30.000 Teilnehmer umfasst, basiert auf 95 Infektionen unter den Probanden, die entweder den Impfstoff erhielten oder ein Placebo. Unter diesen traten nur fünf Infektionen bei denjenigen auf, die den Impfstoff erhielten. Dieser wurde in zwei Dosen verabreicht. Den Daten zufolge schützte der Impfstoff auch vor schweren Verläufen von Covid-19. Bei den Probanden seien nur milde bis moderate Nebenwirkungen aufgetreten. Die beobachteten Nebenwirkungen wie Gliederschmerzen und Müdigkeit sind nach Einschätzung von Experten aber nicht unüblich bei Impfungen von Erwachsenen.

mRNA revolutioniert Medizin

Beide Impfstoffe basieren auf der sogenannten Boten-RNA (mRNA), die den menschlichen Zellen die Information zur Bekämpfung von Krankheitserregern vermitteln soll. Ein solcher Impfstoff soll schneller in großem Maßstab hergestellt werden können als herkömmliche. Er benötigt aber eben auch eine höhere Kühlung. Biontech arbeitet an dem Nachweis, dass sich sein Impfstoff länger als bisher gedacht bei Kühlschranktemperatur aufbewahren lässt. Weitere Daten dazu sollen im Dezember vorliegen. Der mRNA-Corona-Impfstoff der Tübinger Curevac bietet bereits eine längere Haltbarkeit von mindestens drei Monaten bei Kühlschranktemperatur, wie das Unternehmen in der vergangenen Woche angekündigt hat. Zu diesem Impfstoff liegen aber noch keine Wirksamkeitsdaten aus der entscheidenden Studienphase vor.

Experten zufolge könnte mRNA nicht nur den Kampf gegen Covid, sondern auch gegen andere zukünftige Pandemien und sogar Krebs umkrempeln. "Wir werden auf die Fortschritte im Jahr 2020 zurückblicken und sagen: Das war ein Moment, in dem die Wissenschaft wirklich einen Sprung nach vorn gemacht hat", sagt Jeremy Farrar, Leiter eines Forschungsteams an der Universität Oxford. Die sogenannte Boten-RNA (mRNA) nutzt das Nachrichtensystem des menschlichen Körpers, um Zellen in Fabriken zur Krankheitsbekämpfung zu verwandeln. Die Boten-RNA weist Zellen an, Proteine herzustellen, die für fast alle menschlichen Funktionen benötigt werden. Bei den neuen Impfstoffen wird im Labor hergestellte mRNA in menschliche Zellen eingeschleust, um Virenproteine zu produzieren, die schließlich eine Immunreaktion auslösen.

Von der Lachnummer zum Heilsbringer

Dabei sah es lange nicht nach einer Erfolgsgeschichte für die 1961 entdeckte mRNA aus. 1990 war es einem Team von Wissenschaftern gelungen, mRNA in Mäuse zu injizieren. Doch in den Jahren danach kämpften Forscher wie Katalin Kariko von der University of Pennsylvania nicht nur mit Finanzierungsproblemen, sondern auch mit der Instabilität der mRNA im Körper und der Neigung, Entzündungsreaktionen auszulösen. Ein Durchbruch gelang um das Jahr 2005, als Kariko zusammen mit Kollegen herausfand, wie man mRNA ohne unerwünschte Nebenwirkungen verabreichen konnte. "Die Leute an der Universität von Pennsylvania haben mich oft ausgelacht", sagte die in Ungarn geborene Kariko zur Nachrichtenagentur Reuters. "Das letzte Mal, dass sie sich über mich lustig machten, war vor sieben Jahren, als sie erfuhren, dass ich bei Biontech einsteigen wollte, und ihnen klar wurde, dass diese Firma nicht einmal eine Website hatte", sagte sie.

"Aber jetzt hören sie von Biontech und dass wir Gutes tun können." Kariko hofft, dass ihr Lebenswerk dazu beiträgt, Impfstoffe gegen Grippe und andere Infektionskrankheiten zu finden. Moderna und Biontech testen die mRNA-Technologie auch bei experimentellen Krebsmedikamenten. Kariko räumt allerdings ein, dass immer noch hohe Hürden für eine solche Anwendung bestehen. Denn während ein Virus ein fremder Eindringling ist, stammen Krebszellen aus unserem eigenen Körper. Das macht sie zu einem schwierig zu bekämpfenden Ziel.

In 63 Tagen entwickelt

Gegen Covid haben mRNA-Impfstoffe vor allem zwei Vorteile. Der eine ist die Entwicklungszeit. Einer niederländischen Studie aus dem Jahr 2013 zufolge dauerte es für die Herstellung von Impfstoffen mit der traditionellen Methode durchschnittlich mehr als zehn Jahre. Beim Moderna-Vakzin waren es lediglich 63 Tage von der Bestimmung der Gensequenz bis zur ersten Injektion bei einem Menschen. Bei Biontech lief es ähnlich. Beide Impfstoffe könnten noch in diesem Jahr, etwa zwölf Monate nach dem Auftreten des Coronavirus, zugelassen werden.

Zudem ist die Massenproduktion mit der neuen Methode wesentlich einfacher. Anlagen zur Herstellung von Impfstoffen gegen Infektionskrankheiten kosten bis zu 700 Millionen Dollar, die für die Herstellung von synthetischer mRNA notwendigen Reinräume dagegen nur etwa zehn Millionen Dollar. Zoltan Kis, der am Imperial College in London forscht, schätzt, dass in einer 20 Millionen Dollar teuren Anlage jährlich eine Milliarde Dosen einiger Typen von mRNA-Impfstoffen hergestellt werden könnten. Der Arznei-Auftragsfertiger Lonza, der an Standorten in der Schweiz und in den USA Ingredienzien für den Impfstoff von Moderna herstellt, soll noch in diesem Jahr mit der kommerziellen Produktion beginnen. (red, APA, Reuters, 17.11.2020)