Reden wir also wieder mal über eine Binsenweisheit: Hell sieht man besser als dunkel. Besonders wenn es dunkel ist.

Natürlich können Sie jetzt die Augen verdrehen. Weil: eh klar. Binsenweisheit. Weiß doch jeder.

Trotzdem oder gerade deshalb empfehle ich Ihnen, bei Ihrem nächsten Spaziergang oder Lauf, bei Ihrer nächsten Radrunde oder ganz besonders im Auto einmal darauf zu schauen, wie viele Menschen Sie sehen, die Sie eigentlich nicht sehen. Oder halt zu spät. Weil sie im Dunkeln, im Halbdunkeln, im Diesigen, im Nebligen, im Grauen, oder was auch immer da draußen gerade für suboptimale Lichtverhältnisse herrschen, unsichtbar sind. Sei es, weil sie von der Dunkelheit verschluckt werden, sei es, weil sie gegen das Licht gleich neben ihnen "untergehen".

Foto: thomas rottenberg

Ja, das mit dem Sichtbarsein zum Selbstschutz ist eine Binsenweisheit. Aber nichtsdestotrotz und gerade deshalb ein Thema. Alle Jahre wieder – auch wenn sich die Zahl der hellen Jacken auf den Laufstrecken in den vergangenen Jahren signifikant erhöht hat.

Auch wenn es kaum mehr Schuhe, Hosen oder sonstiges Outdoorequipment gibt, das nicht zumindest irgendwo ein kleines Alibi-Reflektorfeld draufhat: Übersehenwerden ist eine der Hauptunfallursachen für Fußgängerinnen und Fußgänger – und auch wenn der, der Sie über den Haufen fährt, eigentlich (zumindest) auf Sicht hätte unterwegs sein müssen: Im schlimmsten Fall nutzt Ihnen das dann genau gar nix mehr.

Foto: thomas rottenberg

Darum – zur Untermauerung der "Binse" – noch ein bisserl Statistik: Von den knapp über 4.000 Fußgängerunfällen im Straßenverkehr ereignen sich über 30 Prozent zwischen November und Jänner. Übers Jahr verteilt passieren vier von zehn Fußgängerunfällen im Dunkeln. Obwohl da nur 20 Prozent der Fußgänger unterwegs sind. Der Grund ist – no na – die Binse.

Wissenschaftlicher formuliert lautet sie, dass der Mensch bei suboptimalen Lichtverhältnissen um bis zu 80 Prozent schlechter sieht, als wenn es taghell ist. Aber Hand aufs Herz: Sind Sie deshalb tatsächlich signifikant langsamer unterwegs? Und falls Sie jetzt "Na, aber sicher doch" sagen: Verlassen Sie sich drauf, dass es die anderen auch sind? Eben.

Foto: thomas rottenberg

Deshalb kommt hier und jetzt der alljährliche Text zum Thema "Sport im Dunkeln" – auch und gerade, weil im Lockdown vermutlich auch Menschen im Freien unterwegs sind, die das bisher nicht in diesem Ausmaß getan haben.

Die deshalb bei schwarzer Luft immer noch in zeitlos-stylischem Schwarz-Schwarz unterwegs sind: Klar, im städtischen, gut beleuchteten Gebiet dürfte ihnen da eigentlich nicht viel passieren.

Nur wissen wir alle, wofür das Wort "eigentlich" steht: Es passiert dann eben doch.

Mir selbst ja auch: Genauso wie ich in der Stadt, am Motorrad, unlängst einen dunklen Läufer um ein Haar übersehen hätte, bin ich heuer auch schon fast zur Kühlerfigur geworden: Der Autofahrer (aber auch ich am Motorrad) war nicht wirklich zu schnell. Wir rechneten einfach nicht damit, dass der andere nicht ging, sondern lief. Dann reicht ein Wimpernschlag Unaufmerksamkeit.

Foto: thomas rottenberg

Darum störte es mich keine Sekunde, als mir auf einem unbeleuchteten Nebenweg im Prater unlängst jemand lachend zurief, ob ich es "nicht ein wenig übertreibe": Es war 21 Uhr, ich lief eine Abendrunde – und der gute Mann kam mit Rad und gutem Licht von hinten. Ich glitzere und leuchte, meinte er, "wie ein Christbaum". Lediglich Glöckchen fehlten noch.

"Du hast mich also gesehen", sagte ich. Er: "Ja, klar – du bist ja nicht einmal mit Absicht zu übersehen." Ich: "Gut. Genau das ist der Sinn der Sache." Er stutzte kurz, während er neben mir herrollte – und fragte dann, wo es mein "Leuchtgeschirr" gebe. (Meines ist von Löffler – aber dazu gleich später.)

Foto: thomas rottenberg

Denn bleiben wir noch kurz bei der Sichtbarkeit. Respektive der Unsichtbarkeit. Dass Gopro und iPhone bei wenig Licht rasch an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit stoßen, ist in dem Fall vielleicht sogar gut.

Eben weil unser Auge nicht ganz unähnlich funktioniert:

Die Dreier-Läufergruppe im Zentrum ist keine sieben Meter von mir entfernt – trotzdem ist zumindest einer der Männer schon schwer auszumachen. Trotz Straßenbeleuchtung. Der Läufer in Orange, rechts, ist fast 50 Meter weit weg – aber gut zu sehen. Auf gleicher Höhe kommen mir am linken Alleerand Spaziergänger entgegen: Hätten Sie die gesehen?

Ja, die Fotoqualität ist, höflich gesagt, miserabel.

Nur: Sind Sie wirklich sicher, dass Sie all das um so viel besser sehen – und auch verarbeiten können?

Foto: thomas rottenberg

Die Unfallforschung behauptet anderes: Eine dunkel gekleidete Person ortet man demnach bei schlechtem Licht erst, wenn sie nur noch 25 Meter entfernt ist. Das entspricht bei 50 km/h in etwa dem Anhalteweg – also der Zeit zwischen dem Erkennen eines Hindernisses, dem Einleiten der Bremsung und dem Bremsweg bis zum Stillstand des Fahrzeugs.

Einen hell gekleideten Menschen sieht man im Dunkeln meist aus 40 bis 50 Metern Entfernung. Und einen Reflektor schon aus bis zu 150 Metern.

Noch Fragen, wieso ich beim Laufen – und auch am Rad – deshalb "wie ein Christbaum" daherkomme? Wieso meine Speichen, meine Handschuhe, meine Hose und meine Schuhe reflektieren und mein Licht am Rad funktioniert (und nach vorne tunlichst nicht blendet)?

Foto: thomas rottenberg

Sichtbar zu sein ist keine Geheimwissenschaft. Und auch nicht teuer. Nicht nur, weil, zynisch gesagt, der Preis des Übersehenwerdens auf alle Fälle höher ist: Einfachstes Reflektorzeugs kostet so gut wie nix – oder ist tatsächlich gratis: Die Hosenbein-Reflektor-Clickbänder waren Giveaways bei irgendeinem Event. In Laufshops kostet das Paar selten mehr als sechs Euro. Der leuchtende "Stab" ist eine Hüfttasche mit eingebautem Blink- und Dauerlicht – und war ein Goodie bei der letzten Frauenlauf-Pressekonferenz. Man kann so was aber auch kaufen. Ich trage beim Laufen normalerweise nie Hüfttaschen – aber mit diesem "Strich in der Hose" (siehe auch Bild 1 und Bild 4) gibt es mich derzeit häufiger.

Mit 16 Euro ist die schon erwähnte "Reflex Vest" auch leistbar: Auch wenn es im Bauhaus billigere Standard-Sicherheitswesten gibt, ist mir das 50 Gramm leichte, anpassbare Ding lieber: Solange es hell ist, kann ich es nämlich auch einstecken.

Teurer ist dann die Stirnlampe: Meine "Ledlenser Neo6r" liegt mit 49 Euro preislich aber immer noch im unteren Mittelfeld. Der Lichtkegel lässt sich gut einstellen (auch so, dass man Entgegenkommende nicht blendet), und so klein die rote Blinkdiode am Akkupack (der am Kopf dann hinten sitzt) auch ist: Man sieht sie.

Foto: thomas rottenberg

Natürlich geht es textil auch aufwendiger und spezialisierter: In den letzten Jahren war (und bin) ich oft mit der "Safety"-Jacke und -Mütze, gelegentlich auch -Hose von Skinfit unterwegs.

Quietschhell und kanarienvogelgelb, nicht zu übersehen und dort, wo es hell ist, dann mitunter auch ein bisserl eine Lachnummer fürs Publikum. Soll sein. Denn wieder gilt: Wer über mich lacht, der sieht mich – und hat mich also nicht übersehen. Alles andere, um es mit Hans Krankl zu sagen, "ist primär".

Wobei ich schon eines noch anmerken möchte: Der Vorteil von superleichtem Überzieh-Sicherheitszeug (das es auch von anderen Herstellen gibt, die aber dann meist nicht aus Österreich sind) ist, dass man es rasch und universell über (fast) jedes Lauf- und Sportgewand bekommt und es sich superkompakt verstauen lässt.

Foto: thomas rottenberg

Der Nachteil? "Ich kann so nicht raus. Das tut einfach weh," meinte ein Läufer einer Laufgruppe unlängst, als wir – noch vor dem Lockdown light – um 17 Uhr durch den stockdunklen Prater rannten. Dass hell besser als dunkel und reflektierend oder blinkend sichtbarer ist, sei ihm "absolut bewusst". Er diskutiere da gar nicht drüber, stoße aber an eine Grenze, die ihn selbst überrasche: Als Mann könne er "unmöglich" Rosa oder eine Leuchtfarbe anziehen. Ja, das sei komisch und irritiere ihn selbst – aber so sei es eben.

Ich staunte, fragte dann aber im Bekanntenkreis: Der gute Mann ist nicht alleine, sondern nur ehrlich.

Und auch manche Frau räumte ein, dass sie "lieber mit gedeckten Farben" unterwegs sei. Auch weil "Schwarz kaschiert." In extremo den ganzen Menschen.

Foto: thomas rottenberg

Tatsächlich kann aber auch Schwarz längst hell sein. Der Trick dabei sind meist Nähte und Applikationen, die beim direkten Anstrahlen Licht nicht "schlucken", sondern zurückschmeißen. Denn hier – technisch unsauber gesagt – funktioniert Reflexion so: Man trägt wenige Mikrometer feinen Glasstaub auf einen Trägerstoff oder eine Trägermembran auf. Ein Mikrometer sind 10−6 m. Das sind 0,000001 Meter. Also eher sehr klein. So klein, dass sich damit auch Nähte und Fäden und Folien beschichten lassen, die man dann nicht nur auf helle, sondern eben auch und in schwarze oder andere bei schlechtem Licht "unsichtbar"-dunkle Stoffe einarbeiten kann.

Foto: thomas rottenberg

So lassen sich, das tun einige Hersteller, auch zur Gänze dunkle Jacken in gleißend helle Teile verwandeln. Wobei das nicht zwingend sinnvoll ist: Es kann (und wird) blenden. Und "versteckt" andere, weniger grelle Körper.

Sinnvoller und ausreichend ist es daher, den Menschen oder Gegenstand, der gesehen werden soll, mit Reflektoren an Stellen zu bestücken, die sich bewegen. So wird Licht "verlässlicher" zurückgeworfen, weil es etliche unterschiedliche, sich immer wieder ändernde Winkel gibt, in denen es auf die Reflektoren auftrifft.

Foto: Jean Marie Welbes

Wie das im Idealfall geht, zeigt der oberösterreichische Outdoorspezialist Löffler mit seiner Hotbond-Methode: Da werden hochelastische Materialien per Ultraschall verschweißt, sind also tatsächlich "nahtlos". Zusätzlich werden die Verbindungspunkte mit reflektierendem "Zauberstaub" beschichtet – die aber dann eben erst unter einem Lichtstrahl zu "wirken" beginnen.

Das Hotbond-Zeugs, zumindest die Laufhosen, ist allerdings derzeit beim Hersteller selbst vergriffen. Wieso, kann ich gut nachvollziehen: Mein Testteil ist so warm und bequem, dass ich damit im Lockdown sogar einkaufen gehe (egal was Karl Lagerfeld dazu wohl gesagt hätte) – oder (solange die Laufbahn im Prater noch offen war) mit dem Rad zum Training fuhr. Strahlend und leuchtend wie ein Christbaum. Und wer darüber lächelt – aber das hatten wir schon.

Gelaufen bin ich mit der Hose allerdings noch nie: Dafür muss es zumindest für mich noch deutlich kälter werden.

Aber das ist eine andere Geschichte. (Tom Rottenberg, 18.11.2020)

Hinweis im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Rund drei Viertel der erwähnten Produkte wurden von den Herstellern zur Verfügung gestellt.

Weiterlesen:

Wieso man für Herbstläufe einen Rucksack braucht

Foto: thomas rottenberg