Frédéric Malle lässt bei jedem Parfum seines Hauses umfassende Sorgfalt walten. Gleichzeitig gewährt er Starparfümeuren, die mit ihm zusammenarbeiten, alle Freiheiten.

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All jene, die dieser Tage ein Jubiläum feiern, sind erfinderisch. Eigentlich hätte das 20-Jahr-Jubiläum der exklusiven Luxus-Parfum-Marke "Éditions de Parfums Frédéric Malle" ein großes Fest in Paris werden sollen. Die Pandemie hat all das zunichtegemacht.

Frédéric Malle, der Neffe des Filmemachers Louis Malle und Herausgeber von bislang 43 fantastischen Parfums, hat stattdessen ein Online-Symposium mit seinen liebsten Parfümeuren gemacht und seine Gäste dazu geladen. Danach ist er zurück nach New York geflogen, wo er wohnt. Das Gespräch hat er aus seinem Arbeitszimmer von zu Hause per Zoom geführt.

STANDARD: Sie sind kein Parfümeur, sondern ein Herausgeber von Düften. Was ist eigentlich ein gutes Parfum?

Frédéric Malle: Das ist natürlich sehr subjektiv. Mein Geschmack ist, was jegliche Kunst betrifft, sehr eklektizistisch. In jedem Fall muss auch ein Duft etwas Unverwechselbares haben. Ich vergleiche Parfum gerne mit Kunst. Mondrian, van Eyck und Picasso sind alle drei für sich herausragend, ihr Werk ist allerdings vollkommen unterschiedlich. Ähnlich ist es mit einem guten Parfum. Es gibt verschiedene Stile, doch ein gutes Parfum erkennt man immer. Man spürt immer, wenn etwas herausragend ist.

STANDARD: An welchen Kriterien machen Sie das fest?

Malle: Ein herausragendes Parfum muss einen starken Charakter haben, muss innovativ sein, ein Duft, den meine Nase noch niemals zuvor wahrgenommen hat. Ist das der Fall, dann speichert mein Gehirn das ab. Ein gutes Parfum ist also eines, das es vorher noch nicht gegeben hat. Denn dadurch ergibt sich ein Wiedererkennungseffekt. Dabei muss es auch technischen Anforderungen genügen.

STANDARD: Welchen technischen Anforderungen?

Malle: Ein Parfum muss sich gut verteilen, gut auf der Haut halten und funktionieren, in dem Sinn, dass es sich im Laufe eines Tages nicht zu stark verändern darf.

STANDARD: Hängt das nicht sehr stark davon ab, wer es trägt?

Malle: Auch, doch es gibt ein paar Grundregeln, die diese Verbindung mit der Haut erst möglich machen. Ein Parfum muss immer auch zu einer Person passen, die Verbindung zwischen Duft und Persönlichkeit ist wichtig. Die Kunst eines Parfümeurs ist es deshalb stets, die sinnlich-menschliche Komponente nicht aus den Augen zu verlieren.

STANDARD: Die "Éditions de Parfums Frédéric Malle" umfassen 43 Düfte. Welche Rolle spielen Sie selbst dabei?

Malle: Vielleicht vorneweg: Ich bin mit allen Parfümeuren und Parfümeurinnen, mit denen ich arbeite, gut befreundet. Es kommt daher, weil wir die Leidenschaft für Düfte teilen. Wir können stundenlang nur über Parfum reden. Zum 20-Jahr-Jubiläum war ich mit meinen wichtigsten Wegbegleitern essen. Da waren Jean-Claude Ellena, Pierre Bourdon, Dominique Ropion, Maurice Roucel. Wir haben bis zwei Uhr nachts tatsächlich über nichts anderes als über Parfum gesprochen.

STANDARD: Wie läuft so eine Zusammenarbeit?

Malle: Es beginnt mit einer Grundidee und der Diskussion, aus der eine Art olfaktorische Skizze entsteht. Wir mischen dann die Ingredienzien und sehen, dass es zu simpel war. Oder ob ein Duft zu kompliziert ist, das kann nämlich auch sehr leicht passieren. Dann arbeiten wir Schritt um Schritt weiter. Ein Parfum ist für mich fast ein bisschen so wie eine Skulptur, die sich erst langsam herausschält und offenbart.

STANDARD: Sie leben die meiste Zeit in New York, viele der Parfümeure jedoch in Frankreich. Wie läuft so eine Zusammenarbeit dann eigentlich?

Malle: Wir schicken Duftproben hin und her. Schauen Sie, da sind die Projekte, an denen ich gerade arbeite (zeigt Phiolen in die Kamera). Zuerst rieche ich einen Duft, dann schaue ich mir das Rezept dazu an und gebe meine Kommentare und Vorschläge ab. In jedem Duft gibt es eine Logik, etwas, das sich der Parfümeur gedacht hat. Es ist ein Handwerk mit sehr soliden Grundlagen.

STANDARD: Auffallend ist, dass Sie vor allem mit Männern arbeiten. Warum?

Malle: Weil der Beruf bis vor kurzem tatsächlich von Männern dominiert wurde. Parfümeur war in den 1960er-Jahren einfach ein Männerberuf, auch ziemlich macho, muss man sagen. Es war dann zwar so, dass Frauen nachkamen, doch sie arbeiteten meistens für den Massenmarkt, also in einer der großen Duftfirmen, bei denen die Marketingleute bestimmen, wie ein Duft zu riechen hat. Aber die Situation ändert sich. Ich arbeite gerne mit Frauen, mit Sophia Grojsman zum Beispiel.

STANDARD: Es gibt viele Definitionen, was Parfum bewirken soll. Grojsman sagt: Mit einem guten Parfum muss man fernsehen können. Man muss es also vor allem an sich selbst mögen. Stimmen Sie da überein?

Malle: Durchaus, es ist ein sehr schöner Satz, finde ich. Sophie Grojsman ist überhaupt ein Star.

STANDARD: Warum wollen Parfümeure für Sie arbeiten?

Malle: Weil ich eine Freiheit biete, die sie in den großen Laboratorien, in denen Parfums sonst produziert werden, eigentlich nicht haben. Dort geht es um die Wünsche von Auftraggebern und deren spezifische Vorstellungen. Dort lernen heute allerdings alle ihr Handwerk, also die Technik und das Wissen, das man braucht, um Parfums machen zu können. Parfümeure, die für mich arbeiten, können machen, was sie wollen. Deshalb habe ich auch so langjährige Beziehungen mit den Leuten, mit denen ich arbeite. Sie kommen gerne, weil sie bei mir das machen können, was sie wollen. Bei mir laden sie sich wieder auf, könnte man sagen.

STANDARD: Gab es Parfumprojekte, die gescheitert sind?

Malle: Nein, dafür habe ich viel zu großes Vertrauen in die Parfümeure, mit denen ich arbeite. Wenn die mir sagen, dass ich mich irre, dann glaube ich ihnen das.

STANDARD: Wie wichtig sind die Rohstoffe?

Malle: Immens wichtig. Ein gutes Parfum ist immer auch eine Geldfrage. Im Massenmarkt muss alles preisoptimiert sein, und deshalb werden Inhaltsstoffe extrem sparsam verwendet.

STANDARD: Ist das der Grund, warum Parfums aus der Édition Frédéric Malle völlig unterschiedliche Preise haben?

Malle: Genau, es kommt auf die verwendeten Inhaltsstoffe an. Tuberose ist teuer, noch teurer ist nur Oud.

STANDARD: Wie viele Parfums sollte man besitzen?

In der Jubiläumsausgabe hat Frédéric Malle die Meisterwerke der letzten 20 Jahre vereint. Den betörenden Carnal Flower von Dominique Ropion zum Beispiel oder French Lover von Pierre Bourdon. Altmeister Jean-Claude Ellena hat Rose & Cuir gemacht.
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Malle: Dafür gibt es keine Richtlinien. Parfum kann unterschiedliche Funktionen haben. Es gibt Leute so wie meine Tante, die ihr ganzes Leben lang nur ein Parfum hatten. Sie hatte Miss Dior, auch noch mit 85 Jahren. Dieser Duft ist für mich untrennbar mit ihr verbunden. Miss Dior war ihre Art, sich selbst zu sehen. Ganz anders ist das in arabischen Ländern. Da haben Männer wie Frauen 20 bis 30 unterschiedliche Düfte, aus denen sie auswählen.

STANDARD: Wie halten Sie es persönlich?

Malle: Für mich hat ein Parfum eine Funktion. Es macht einen Unterschied, ob ich einen Duft als Begleiter für einen normalen Arbeitsalltag trage oder ob ich damit ausgehen will. Ich empfinde Parfum eher als eine Art Kleidungsstück, das ich für einen Anlass auswähle. Es ist wie eine Art Anzug. Aus meiner Perspektive ist es wichtiger, wenige gute geschnittene Anzüge zu besitzen, anstatt vieler mittelmäßiger.

STANDARD: Parfums im Massenmarkt werden tendenziell süßer. Teilen Sie diese Ansicht?

Malle: Mein Freund, der Modedesigner Alber Elbaz, hat einmal sehr richtig bemerkt: "In den 70er-Jahren nannte man Parfums nach Drogen, Opium ist das beste Beispiel. Der Grund: weil es verboten war." Die Zeiten haben sich geändert. Es geht nicht mehr um Drogen, sondern um Essen. Heute wollen Frauen nach Vanille riechen, weil sie sich Süßigkeiten nicht mehr erlauben. Ich denke, mit dieser These hatte Alber Elbaz damals ziemlich recht.

STANDARD: Gibt es eine Verbindung zwischen Parfum und Mode?

Malle: In der Mode gibt es heute so etwas wie die absolute Freiheit. Die MeToo-Bewegung hat vieles gezeigt, unter anderem auch, wie gefährlich es für eine Frau sein kann, sich attraktiv zu kleiden. Gleichzeitig beobachte ich aber auch den Trend in der Mode, der diesen pornografischen Blick auf den Körper nur noch verstärkt. Was ich damit sagen will: Bei Kleidung sind sämtliche Codes, die es einmal gab, gefallen. Kleider haben in dem Sinn ihre Funktion verloren.

STANDARD: Was schließen Sie daraus?

Malle: Wenn es keine Rahmenbedingungen mehr gibt, kann das Angst machen, das Gefühl von Orientierungslosigkeit erzeugen. Es geht bei vielen jungen Frauen darum, ständig eine Art Rückbestätigung zu bekommen.

STANDARD: Was hat das mit Parfum zu tun?

Malle: Duft ist ein Faktor, um sich wieder wohlzufühlen. Und das kann eben auch der Geruch nach Vanille sein. Ich denke, dass dieses Wohlfühlen eine Funktion ist, die Parfum auf einer sehr unbewussten Ebene wieder erfüllen kann. Es können aber durchaus auch andere Düfte sein. (Karin Pollack, RONDO, 29.11.2020)