Wenn die Beliebtheitswerte von Politikerinnen und Politikern im Allgemeinen sinken, ist der Ruf nach Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern meist das Erste, das folgt. Es war etwa Teil des Erfolgsrezepts von Sebastian Kurz im Nationalratswahlkampf 2017. Auch seine türkise Regierungsmannschaft bestand danach größtenteils aus Personen, die medial als solche Quereinsteigende bezeichnet wurden.

Aber wo liegt die Grenze zum Quereinstieg? Schließlich wird niemand als Parteipolitikerin oder Parteipolitiker geboren. Klar, wenn ehemalige Sportler_innen für ein politisches Amt kandidieren, kann das so bezeichnet werden. Aber wie ist es bei Journalist_innen, die über viele Jahre hinweg durchaus im politischen Bereich tätig waren? Oder bei Spitzenbeamt_innen aus Ministerien, wie es bei Pamela Rendi-Wagner der Fall ist?

Viel Idealismus

Aktuellstes Beispiel ist Judith Pühringer, die für die Grünen in Zukunft nichtamtsführende Stadträtin wird. Seit Bekanntgabe ihrer Kandidatur zu Beginn des Jahres haftet ihr das Image als Quereinsteigerin an. Dabei ist sie doch seit mehr als einem Jahrzehnt politisch tätig durch ihr zivilgesellschaftliches Engagement bei der Armutskonferenz oder ihre Geschäftsführungstätigkeit beim Sozialunternehmen Arbeit plus. Im Gespräch mit uns nimmt sie ausführlich dazu Stellung. Pühringer wünscht sich, dass es selbstverständlicher würde, dass in der Politik jene Menschen landen, die bereits viel gesehen und in ihren jeweiligen Fachgebieten eine gute Expertise vorzuweisen hätten.

Sie wäre jedenfalls nicht die Erste, die mit viel Idealismus ein politisches Amt übernimmt, nur um sich an festgefahrenen Parteistrukturen die Zähne auszubeißen. Als sich vor einem Jahr Stephanie Cox von der Liste Jetzt nach sehr kurzer Zeit als Parlamentarierin wieder aus dem hohen Haus zurückzog und nicht wie ihre Kollegin Alma Zadić für eine andere Gruppierung erneut kandidierte, überraschte das viele. Sie teilt einige Gemeinsamkeiten mit Pühringer, denn auch sie war sozialunternehmerisch tätig, bevor es sie in die Parteipolitik verschlug. Cox war um die Zeit ihres Rückzugs aus der Politik ebenso bei uns im Podcast und stellte sich nach knapp zwei Jahren als Abgeordnete zum Nationalrat die folgende Frage: "Habe ich wirklich den größten Hebel, den ich haben kann, im Moment? Kann ich an einem anderen Ort mehr bewegen?" Für sie war die Antwort nein.

Ebenfalls als Quereinsteiger auf Bundesebene galt Christian Kern, der sogar direkt im Kanzleramt Platz nehmen durfte. Doch lange währte auch die politische Karriere dieses Quereinsteigers auf Spitzenlevel nicht. Nach nicht einmal zweieinhalb Jahren zog er sich wieder aus der Politik zurück. Was dominiert, ist die Erinnerung an die Wahlniederlage 2017 und eine zerstrittene SPÖ, die sich bis heute nicht einkriegen will. Auch er hat sich sein politisches Wirken wohl anders vorgestellt.

Quereinstieg in die Politik – nicht immer ist das erfolgversprechend.
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Zivilgesellschaftliches Engagement

Diese Beispiele lassen anmuten, dass Quereinstieg in die Parteipolitik selten wirklich Veränderung bringt. Bei ihr sei das nicht der Fall, sagt Pühringer, denn sie war auch die letzten Jahre bereits politisch sehr aktiv. Sie gestaltete in ihrer Rolle bei Arbeit plus schon lange die Sozialpolitik in Österreich mit. Ihre Kandidatur ist also ein Quereinstieg in die Welt der Parteipolitik. Ob sie die in der Zivilgesellschaft auf Bundesebene gesammelten politischen Erfahrungen auch im Wiener Rathaus anwenden kann, wird sich weisen.

Generell geht im öffentlichen Diskurs oft unter, dass nicht nur parteipolitische Arbeit politische Arbeit ist. Dabei hat Österreich eine große Tradition an zivilgesellschaftlichem Engagement: die Besetzung der Hainburger Au, das Lichtermeer als Gegenreaktion zum sogenannten Volksbegehren "Österreich zuerst" und zuletzt nicht minder eindrucksvoll Fridays for Future, eine globale Bewegung, die auch in Österreich nicht zu übersehen war. Ob nun in organisierter Form als Verein oder als Graswurzelbewegung: Die Zivilgesellschaft trägt einen nicht zu unterschätzenden Teil zum öffentlichen Zusammenleben bei, der nicht minder wichtiger ist als die Entscheidungen, die Legislative, Exekutive und Judikative treffen. Im Gegenteil: Oft dienen sie als Orientierungshilfe für politische Zielsetzungen, Partei- und nicht zuletzt auch Koalitionsprogramme. Ohne die Freitagsdemonstrationen wäre die Klimakatastrophe wohl auch nicht eines der ersten inhaltlichen Themen bei der Nationalratswahl 2019 gewesen.

Und doch scheint der Wechsel aus einer Zivilgesellschaft, die Forderungen stellt und Themen vorgibt, in die Kommunalpolitik, die ebendiese Themen umzusetzen sollte, gewagt. Bisher warten wir noch auf die ersten Quereinsteigenden, die nicht an der parteipolitischen Welt frustriert aufgeben. Und selbst wenn Quereinsteigende, anders als die genannten Beispiele, auch in der Politik ausharren, wenn der anfängliche Idealismus auf die politische Realität trifft, bleibt die Wirkung der Arbeit abzuwarten. (Fabian Scholda, Gregor Ruttner, 20.11.2020)