Sich ständig dank Webcam im Vergleich mit anderen zu sehen kann sich negativ auf die Psyche auswirken.

Foto: AFP (Bearbeitung: STANDARD)

Für viele Branchen bedeutet die Pandemie mitsamt Homeoffice und Ausgangsbeschränkungen herbe wirtschaftliche Einbußen. Doch gerade viele Unternehmen aus dem IT-Bereich profitieren von der Situation. Vorne dabei sind hier die Anbieter von Videochat-Lösungen wie Zoom. Virtuelle Meetings haben vielerorts das persönliche Treffen im Besprechungszimmer ersetzt.

Was für die Bewältigung des modernen Arbeitsalltags in diesen Zeiten ein unverzichtbares Hilfsmittel ist, ist für unsere Psyche aber möglicherweise belastend. Das geht jedenfalls aus einem Thesenpapier hervor, das von Forschern des Bostoner Dermatology Institute, des Massachusetts General Hospital und der Universität Harvard veröffentlicht wurde.

Social Media steigert Unzufriedenheit mit Aussehen

Sie haben festgestellt, dass Hautklinik-Patienten immer häufiger Unzufriedenheit mit ihrem Aussehen auf Zoom und in anderen Videokonferenz-Programmen angeben. Sehr häufig ging es dabei um Falten oder Akne-Erscheinungen. Ein weiterer Ausgangspunkt der Untersuchung war eine Analyse von Google-Suchtrends in der Türkei und Italien, bei der man feststellte, dass seit Anbruch der Pandemie Suchbegriffe wie "Akne" und "Haarausfall" immer beliebter werden.

Zudem ist die digitale Selbstdarstellung schon länger eine treibende Kraft hinter kosmetischen Behandlungen. 2019 meldeten 72 Prozent der Mitglieder der US-Akademie für kosmetische und wiederherstellende Chirurgie, dass sie bereits Kontakt mit Patienten hatten, die einen Eingriff wollten, um auf Selfies schöner auszusehen. Weiters gibt es eine Korrelation zwischen intensiverer Nutzung sozialer Medien und Unzufriedenheit mit dem eigenen Aussehen.

Webcam-Verzerrung

Die aktuelle Entwicklung schreibt man unter anderem dem Effekt von Webcams zu. In normalen Alltagsgesprächen sieht man sein eigenes Gesicht nicht, während man in einem Videochat stets einen direkten Vergleich hat. Dadurch fallen eigene Makel stärker auf. Man sieht etwa Falten, die einen traurig aussehen lassen. Diese kosmetisch behandeln zu lassen schmälert diesen Eindruck und kann dazu führen, dass Betroffene sich glücklicher fühlen.

Im schlimmsten Falle, wenn man besonders oft in Videochats sitzt, entwickelt man eine ungesunde Obsession mit den eigenen realen oder eingebildeten Schönheitsfehlern, was sich negativ auf die Psyche schlägt und das Verlangen nach einer kosmetischen Behandlung verstärken kann. In diesem Zusammenhang sprechen die Forscher von "Zoom-Dysmorphie", wobei der Begriff freilich auf jede Videokonferenz-App anwendbar ist.

Hinzu kommt, dass Webcams bauartbedingt normalerweise mit einer geringen Brennweite operieren, was dazu führt, dass das eigene Gesicht auf Aufnahmen runder wirkt, als es eigentlich ist. Und je näher das Aufnahmegerät steht, desto breiter wird beispielsweise die eigene Nase wahrgenommen.

Hier, so argumentiert man, wäre es wichtig, Nutzer über die technischen Gegebenheiten von Webcams zu informieren. Denn diese böten im besten Falle eine fehlerhafte Abbildung der Realität. (gpi, 17.11.2020)