Der kulturelle Begegnungsraum Brunnenpassage gilt als Vorbild für Integrationsbemühungen mit Mitteln der Kunst.

Foto: Bert Schifferdecker, Brunnenpassage

Mit der in dieser Woche fixierten Koalition zwischen SPÖ und Neos schlägt die Wiener Stadtpolitik ein neues Kapitel auf. Kulturpolitisch bedeutet der Farbenwechsel aber nicht allzu viel. Klar ist nun: Veronica Kaup-Hasler, die als politische Quereinsteigerin vor zwei Jahren Wiener Kulturstadträtin wurde, darf auf ihrem Ticket der SPÖ weitermachen.

Das Kulturprogramm im rot-pinken Koalitionspakt trägt auch klar die Handschrift der früheren Festivalintendantin. Große Überraschungsprojekte finden sich keine, auch keine Formulierungen, an denen Kulturschaffende Anstoß nehmen könnten. Vielmehr ist aus dem elfseitigen Papier eine klare Bestätigung und Ausweitung des von Kaup-Hasler eingeschlagenen Wegs herauszulesen.

Man positioniert sich als weltoffene Stadt, in der Begegnung zwischen verschiedenen Kulturen und gesellschaftlichen Schichten mit den Mitteln der Kunst zu einem harmonischen Miteinander führen soll. Kulturpolitik wird auch als Motor der Integrations- und Sozialpolitik verstanden. Betont wird dabei weniger die Strahlkraft der Wiener Kultur nach außen, wofür in den letzten 30 Jahren etwa mit dem Museumsquartier ohnehin viel geleistet wurde, sondern der verstärkte Blick nach innen: in jene Bezirke, wo es bislang wenige Kultureinrichtungen gibt. Und in die "Grätzl" – den urwienerischen Begriff für die lokale Nachbarschaft streicht man im Koalitionspakt demonstrativ besonders hervor.

Mit Kulturarbeit bei Jungen ansetzen

Unter dem Schlagwort "kulturelle Nahversorgung" seien die Stärkung und Etablierung kultureller Begegnungszentren in städtischen Randgebieten wichtig. Aufgewertet sollen etwa die Bezirksmuseen werden, Einrichtungen wie das Jugendtheater Dschungel und das Zoom-Kindermuseum sollen neue Dependancen etwa im nördlichen Wien bekommen. Damit macht die neue Koalition deutlich, dass sozialpolitisch motivierte Kulturarbeit bei Kindern und Jugendlichen ansetzen muss.

Zur bereits großzügig ausgebauten Gratiskultur in Wien – von Popfest bis zum heurigen Kultursommer – bekennt man sich mehr denn je, gut klingt auch das Versprechen, die Dauerausstellung des gerade im Großumbau befindlichen Wien-Museums künftig gratis zugänglich zu machen. Bei der Erinnerungskultur will man eine Strategie für den Umgang mit belasteten Denkmälern und Ortsbezeichnungen erarbeiten (Stichwort Lueger).

Leerstand nutzen, Krise bewältigen

Unter dem Motto "mehr Raum" sollen verstärkt leerstehende Gebäude in der ganzen Stadt kulturell nutzbar gemacht werden, von "Ankerzentren" und "Cluster-Zentren" ist die Rede. Ein neues "Produktionsbüro für urbane Kulturarbeit", kurz P. U. K., soll koordinierend und beratend wirken. Für die Anliegen der Clubkultur wird das Pilotprojekt Vienna Club Commission endgültig institutionalisiert. Ein weiterer Punkt ist die Ausweitung des bereits angelaufenen Fair-Pay-Prozesses, der durch die Covid-Krise an Dringlichkeit gewonnen hat. Sonderförderungen, um der Branche zu helfen, könnten in Abstimmung mit dem Bund über die Krise hinaus bestehen bleiben.

Ein expliziter Neos-Einfluss ist dem Kulturpaket nicht wirklich anzumerken, einzig die Betonung einer transparenteren Handhabe bei der Subventionsvergabe könnte auf Betreiben der Pinken zurückgehen. Frühere Neos-Forderungen, etwa nach Reduzierung der Subvention für die üppig dotierte Musicalsparte, finden sich nicht, im Gegenteil: Das Kulturpaket klingt klar nach Mehrinvestition.

Die Strategie, freie Mittel nicht in noch mehr Großprojekten zu binden, sondern in vielen kleinen dezentralen Initiativen über die gesamte Stadt zu verteilen, könnte aufgehen. Vor allem dann, wenn irgendwann doch ein Covid-Sparpaket ins Haus stehen sollte. (Stefan Weiss, 17.11.2020)