Das Mauerwerk der Gründerzeit ist in der Regel überdimensioniert.

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Über ökologisch sinnvolle Energieversorgung und thermisch effiziente Bauweisen haben sich die Architekten und Konstrukteure der Gründerzeit noch keine Gedanken gemacht. Ginge es nur nach Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit, gehörten diese Gebäude, die insbesondere das Wiener Stadtbild prägen, eigentlich optisch einschneidend renoviert.

Aber so einfach geht das nicht, sagt Bernhard Sommer von der Abteilung Energiedesign der Universität für angewandte Kunst in Wien: "Rein bautechnisch müsste man einfach überall einen Vollwärmeschutz draufsetzen und die alten Scheiben rausreißen und durch neue Plastikfenster ersetzen. Aber die kulturelle Komponente dieser Architektur ist den Menschen nun einmal auch ein Anliegen – vor allem wegen ihrer stadtprägenden Qualität."

Die Gründerzeitgebäude energieeffizient zu sanieren und gleichzeitig ihre architektonische Gestaltung möglichst wenig zu verändern – diesen Spagat versuchen Sommer und sein Team mit dem Projekt "Spider" (Subtraction as a measure to Preserve and Insulate historic Developments by Electric Robots), an dem auch das Institut für Architekturwissenschaften der TU Wien beteiligt ist. Gefördert wird das Projekt durch das Forschungsprogramm "Stadt der Zukunft" des Klimaschutzministeriums.

Dick aufgetragen

Eine Möglichkeit wäre, die Gebäude von innen zu sanieren. Dafür gebe es zwar gute Ansätze, jedoch sei das aufwendig wie problematisch: Zum einen müsse man dafür in jedes einzelne Zimmer, zum anderen nehme man Menschen Wohnraum weg, weil sich durch die Eingriffe die Gesamtfläche reduziere.

Die Forscher setzen deshalb lieber beim Mauerwerk an: In der Gründerzeit wurde nämlich etwas zu dick aufgetragen: "Das Mauerwerk der Gründerzeit ist in der Regel überdimensioniert – bis zu ein Drittel ist häufig überflüssig. Das wollen wir für die thermische Sanierung verwenden. Ziel ist es, den Heizbedarf dieser Gebäude um die Hälfte zu senken."

Datensammlung

Der Plan: In den Mauerüberschuss sollen zahlreiche Löcher für eine bessere Thermik gebohrt werden – jedoch keinesfalls wahllos: Das Material ist schließlich nicht mehr das jüngste und deshalb häufig sehr porös.

Eine Herausforderung sei daher auch gewesen, Materialproben zerstörungsfrei zu bekommen. Die Bohrungen selbst gestalten sich ebenfalls nicht so einfach: "Bei der Anordnung der Löcher müssen wir sehr komplexen Geometrien folgen", verrät Sommer.

Bevor man im Versuch zur Tat schreiten konnte, war daher zuerst einmal eine umfangreiche Datensammlung vonnöten: Die gesamte gründerzeitliche Baustruktur Wiens wurde elektronisch erfasst und exemplarisch untersucht. Dabei half vor allem die Analyse der historischen Bauordnungen, in denen bereits damals vieles sehr genau geregelt war.

Gleichzeitig wurden die Gebäude selbst statisch untersucht, um herauszufinden, wie man zweckdienlich in das Mauerwerk bohrt. "Die Frage ist, wie schafft man wirkungsvolle Hohlräume? Zudem ist es für das Projekt wesentlich, die Kraftverläufe zu berücksichtigen", sagt Sommer. Je nach Intensität der Kräfte ließen sich die Bohrungen nicht mehr rein handwerklich bewerkstelligen.

Kletternder Roboter

Hier kommt die namensgebende Spinne ins Spiel: Hierbei handelt es sich um einen 70 mal 50 Zentimeter großen, dreibeinigen Roboter, der die Bohrungen automatisch erledigt: Durch eine Fotovoltaikanlage auf dem Dach solarbetrieben, klettert er die Fassade entlang und schlägt sich dabei einem einprogrammierten Muster folgend durch das Mauerwerk. Jede Bohrung dient dem Roboter zur eigenen Befestigung – zudem ist er mit Seilen gesichert, damit er bei einem Ausfall niemandem auf den Kopf fällt.

Bislang gibt es von dem Roboter erst einen Entwurf.
Illustration: Hochschule für Angewandte Kunst

Die Spinnengestalt bekam er erst, als die Wissenschafter ihr erstes Konzept verwarfen: Ursprünglich war angedacht, den Bohrkopf über Schienen an einem Gerüst entlang zu bewegen.

Sommer: "Das hätte aber wieder eine volle Baustelleneinrichtung gebraucht, daher haben wir das nicht weiterverfolgt." Um auch bei der Sanierung den Anblick der Gründerzeitfassaden möglichst ungestört genießen zu können, sei es ohnehin besser, wenn der Roboter autonom operiert.

Eigener Testraum

"Spider" wird vorerst aber keine Geschwister bekommen. "Wir sind keine Maschinenbauer und haben ihn nur als Prototyp mit selbstgedruckten Teilen und Mikrocontroller konstruiert. Um ihn serientauglich zu machen, müsste man noch viel mehr testen und auch noch Fragen wie die Wettertauglichkeit berücksichtigen." Ende Februar sollen weitere Ergebnisse vorliegen.

Bis dahin sind neben der Fertigstellung des Roboters vor allem die Materialtests eine Herausforderung: Das einer Prüfanstalt zu überlassen sei schwierig. Für valide Ergebnisse müsse das gebohrte Mauerwerk über längere Zeit in einem geheizten, geschlossenen Raum gelagert werden — die für eine solche Untersuchung passende Einrichtung habe man noch nicht gefunden. Wenn das auch im Dezember noch so ist, wollen die Forscher im Hof der Angewandten ihren eigenen Testraum errichten. (Johannes Lau, 23.11.2020)