"In this, we are all together": Der Schriftzug von Borjana Venztislavova am Landtagsschiff könnte nicht aktueller sein.
Foto: Michael Strasser

Gemeinsam mit Barbara Horvath hat Lisa Ortner-Kreil im April 2020 die Initiative Art Hoc Projects gegründet. Die Idee dazu gab es schon vor der Pandemie und soll Gegenwartskunst in den öffentlichen Raum bringen. Das erste Projekt In This Together nimmt sich "25 Jahre Österreich in der EU" an. Die Künstler Borjana Venztislavova und Aldo Giannotti bespielen Gebäude in St. Pölten und wollen so zu politischen Diskursen anregen.

STANDARD: Was war der Hintergrund für das Projekt?

Ortner-Kreil: Uns war es sehr wichtig, dass wir mit unserer Initiative Kunst an atypische Orte bringen und so zu Menschen, die nicht permanent damit in Austausch stehen.

STANDARD: Die Idee gab es schon vor Corona. Was hat sich verändert?

Ortner-Kreil: Viele Menschen haben gemerkt, dass der öffentliche Raum jetzt eine andere Rolle spielt. Das ist natürlich ein großes Glück für uns, Kunst jetzt so zeigen zu können.

STANDARD: In den letzten Monaten verlagerten sich Kunstprojekte verstärkt in den öffentlichen Raum bzw. bekamen mehr Aufmerksamkeit. Erkennt man plötzlich das Potenzial jener Kunstpräsentation?

Ortner-Kreil: Ja, ich habe schon in den ersten Lockdown-Tagen von anderen Kuratorinnen gehört, man müsse jetzt unbedingt etwas im öffentlichen Raum machen. Alle sind ganz umtriebig geworden. Aktuell gibt es ein Momentum für die Kunst im öffentlichen Raum wie wahrscheinlich noch nie zuvor.

STANDARD: Was sind die Stärken von Kunst an öffentlichen Orten?

Ortner-Kreil: Dort müssen nicht die Menschen zur Kunst, sondern die Kunst muss zu den Menschen kommen. Es ist kein organisierter Raum. Man kann eine breite Menge an Menschen erreichen. Hinter der sicheren Haut einer Institution sind die Diskurse viel kalkulierbarer – das ist im öffentlichen Raum überhaupt nicht so. Das macht es kuratorisch auch so reizvoll.

STANDARD: Müssen solche Kunstwerke eigentlich immer gleich als solche identifiziert werden?

Ortner-Kreil: Schwierige Frage. Es ist nicht ausschlaggebend, dass man gleich im ersten Moment weiß: Aha, das ist jetzt Kunst. Vielmehr sollen dadurch Nachdenkprozesse und Diskurse angeregt werden. Im Idealfall passiert das niederschwellig und wird von Vermittlung begleitet.

Lisa Ortner-Kreil: "Durch öffentliche Kunst können ganze Stadtteile aufgewertet werden."
Foto: Johannes Siglär

STANDARD: Welche Bedeutung hat der öffentliche Raum generell in den letzten Monaten gewonnen?

Ortner-Kreil: Vielen wurde bewusst, dass der öffentliche Raum uns allen gehört. Dort sind wir alle gleichermaßen betroffen. Der öffentliche Raum befindet sich gerade im Wandel. Er ist nichts Stabiles, sondern stark von Prozessen abhängig. Aber auch der Verlust von öffentlichem Raum ist ein Thema: Privatisierungen, Überwachung und Kontrolle. Da kann diese Entgrenzung von Kunst auch ein Statement sein.

STANDARD: Welche Orte sind dafür besonders geeignet?

Ortner-Kreil: Natürlich geht es um frequentierte Orte, wo die Kunst auch sichtbar sein kann. Im Idealfall passt das Kunstwerk inhaltlich mit dem formalen Umfeld zusammen. Und man muss sich fragen, welche Menschen sich dort aufhalten.

STANDARD: Welche Rolle spielt der öffentliche Raum als Ort der Demokratisierung?

Ortner-Kreil: Dort können Schwellen abgebaut werden. Kunst im öffentlichen Raum zu präsentieren ist eine Möglichkeit, etwas, das für alle da ist, mit Inhalten aufzuladen. Hier geht es darum, mit der Kunst auf gesellschaftliche Themen einzugehen. Wenn die Künstlerin Borjana Venztislavova beispielsweise "Sie kam über das Meer" auf den Bahnhof in St. Pölten schreibt, geht das alle etwas an. Im Vergleich zu Kunsteinrichtungen können hier ganz andere Menschen erreicht werden. Viele sehen solche Werke das erste Mal.

STANDARD: Wie politisch ist der öffentliche Raum?

Ortner-Kreil: Sehr politisch, also das Gegenteil von einem geschützten White Cube. Jetzt im Lockdown ist es ja auch wieder der einzige Ort, an dem man sich Kunst anschauen kann. Durch sie kann die Bedeutung eines Ortes bewusst gemacht werden: Wie definieren wir den Raum – und wie definiert er uns?

STANDARD: Welche Rolle spielte das beim Projekt in St. Pölten?

Ortner-Kreil: Viele fragen uns: Warum St. Pölten? Es ging auch darum, die zwei Stadtviertel – die barocke Innenstadt und das Regierungsviertel – mehr zusammenzubringen.

STANDARD: Kann Kunst im öffentlichen Raum die Infrastruktur einer Stadt beeinflussen?

Ortner-Kreil: Mit öffentlichen Projekten und Interventionen können ganze Stadtteile aufgewertet werden. Das lockt mehr und mehr Leute an, weil dort etwas passiert. Natürlich kommt das auch auf die Laufzeit an. Ich glaube aber schon, dass gute Kunstprojekte die Stadtentwicklung positiv beeinflussen können. Da liegt großes Potenzial. (Katharina Rustler, 18.11.2020)