Sosehr wir mit der gewaltigen Herausforderung Corona beschäftigt sind – und mit der Art, wie unsere Politik und unsere Gesellschaft damit umgehen –, so wenig dürfen wir die politischen Geschehnisse außerhalb unseres Alltags aus den Augen lassen. Wir leben in einer Zeit des Angriffs auf die demokratischen Errungenschaften, denen wir Frieden und Wohlstand verdanken.

In den USA spielt sich derzeit ein Vorgang ab, den man nie für möglich gehalten hätte. In der ältesten Demokratie der Welt, in einer Gesellschaft, die uns nach Nazismus und Krieg die Demokratie gelehrt hat, gibt es einen abgewählten Präsidenten, der sich verhält wie irgendein Autokrat in einem Entwicklungsland. Donald Trump ist lächerlich, aber er ist auch brandgefährlich. Die Weigerung, eine verlorene Wahl anzuerkennen, mag in einem persönlichen Wahn wurzeln oder in einer verzweifelten "Strategie", die Basis für ein politisches und finanzielles Fortleben nach dem unvermeidlichen Abgang zu sichern.

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Donald Trump hat die amerikanische Demokratie untergraben.
Foto: REUTERS/Carlos Barria

Aber die Alarmglocken sollten schrillen, wenn der Präsident zuerst den widerspenstigen Verteidigungsminister durch einen militärischen Extremisten ersetzt, gleichzeitig die oberen Ränge der Verteidigungsbürokratie "säubern" lässt – und sich erkundigt, wie es denn mit einem Last-Minute-Militärschlag gegen die Atomanlagen des Iran aussähe.

Politische Kultur

Selbst wenn Trump dann doch ohne Wahnsinnsaktion geht – er hinterlässt eine verheerende Erfahrung: Du kannst vier Jahre lang alle Regeln der politischen Kultur, des Anstands brechen, du kannst zum Schluss sogar ein Wahlergebnis auf den Kopf stellen – und fast 50 Prozent, 72 Millionen, wählen dich trotzdem und eine beträchtliche, zum Teil bewaffnete Minderheit bleibt dir trotzdem treu. Trump hat die amerikanische Demokratie untergraben und damit auch das demokratische System weltweit. Wenn er mit so etwas durchkommt, werden seine Nachahmer überall dasselbe versuchen.

Sie haben es übrigens bereits getan, und zwar gerade bei uns in Europa, in der EU. Polen und Ungarn sind keine vollwertigen Demokratien mehr, andere balancieren so am Rande dahin. Die Mehrheit der demokratischen Staaten hat daraus endlich die Konsequenzen gezogen und gesagt: Wenn ihr Rechtsstaat und Demokratie abmontiert, gibt es kein EU-Geld mehr. Polen und Ungarn drohen nun mit einem Veto gegen das EU-Corona-Hilfsprogramm. Sie dürfen damit nicht durchkommen. Was der österreichische Kanzler und Finanzminister dazu zu sagen hatten, war ein demokratiepolitisches Minimum. Mal sehen, ob das reicht, wenn es wirklich hart auf hart geht.

Europa leidet unter den vielfältigen, komplexen Folgen der Tatsache, dass die benachbarte muslimische Welt offensichtlich Schwierigkeiten mit der Moderne hat. Das ist, das wird eine riesige Herausforderung, die uns noch viel Probleme bereiten wird. Es wird nicht leicht sein, dabei die eigenen Grundsätze nicht zu vergessen, nämlich die der Aufklärung und des Rechtsstaates. Österreich, Europa hat den politischen Katholizismus überwunden, der antidemokratisch und reaktionär war. Es gibt einen antidemokratischen und reaktionären Islamismus, aber man wird seiner nicht Herr werden mit demokratisch und rechtsstaatlich zweifelhaften Maßnahmen. (Hans Rauscher, 18.11.2020)