In dieser Volksschule in Wien-Favoriten war am Dienstag nicht viel los. In ganz Österreich blieben 85 Prozent aller Schüler daheim.

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Das Stressbarometer steht bei Petra Strasser schon an normalen Arbeitstagen regelmäßig im roten Bereich. Die stellvertretende Direktorin der Linzer Stelzhamerschule mit rund 270 Schülern braucht zur steten Erfüllung des Bildungsauftrags ein starkes Nervenkostüm. Stellt dann ein viral bedingter Lockdown den Schulalltag auf den Kopf, wird der Gang zum Katheder für viele Lehrer zum echten Härtetest. Und die Frau Direktor zur Krisenmanagerin.

Konfi-Diskussionen

Viel werde aktuell im Konferenzzimmer "diskutiert", erzählt die 52-jährige Pädagogin im STANDARD-Gespräch. "Die Lehrer sind sich untereinander uneins, ob nun die Schulen eigentlich geschlossen sind oder eben nicht." Anders als noch beim ersten Lockdown hätten jetzt ja auch Kinder von Eltern, die nicht in systemrelevanten Berufen arbeiten, die Möglichkeiten, ihren Nachwuchs zur Betreuung in die Schule zu schicken. "Es ist einfach alles sehr schwammig. Von jedem Bereich haben wir jetzt was dabei: einen weitgehend normalen Unterricht in der Schule, dann die Betreuung, dann das Distance-Learning." Für Strasser ist aber eines klar: "Die Schulen sind im Moment offen."

Davon machten am Dienstag, dem ersten Tag des zweiten Lockdowns, nur insgesamt 15 Prozent der Schülerinnen und Schüler Gebrauch. Nach Angaben des Bildungsministeriums blieben also 85 Prozent zu Hause – nicht mitgerechnet sind die Schüler aus Oberstufen, die ja bereits vor zwei Wochen auf Fernunterricht umsteigen mussten.

Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) zeigte sich fürs Erste zufrieden, ein Senken der Corona-Infektionszahlen könne so unterstützt werden. "Ich weiß, dass dies ein hohes Maß an Flexibilität erfordert. Mein Dank gilt allen Schulpartnern, die Verständnis für die Situation aufbringen", so Faßmann.

Volksschulen besser besucht

Ein Rundruf des STANDARD in den Bundesländern ergab, dass Volksschulen mit bis zu 25 Prozent Auslastung besser besucht waren als höhere Schulen. Angela Hensel, Direktorin der Dr.-Karl-Renner-Volksschule in Klagenfurt, zählte beispielsweise die am Vormittag anwesenden Kinder durch: Rund ein Viertel der Schülerinnen und Schüler war zur Betreuung gekommen. Es gab aber vereinzelt auch Schulen, an denen fast normaler Betrieb herrschte.

Ähnlich die Situation im Burgenland, wo 18 von 100 Volksschulkindern zur Betreuung erschienen, aber nur vier Prozent der Sekundarstufe. In Wien kamen 22 Prozent aller Taferlklassler in die Schulen, außerdem 6,1 Prozent aller Mittelschülerinnen und -schüler, die AHS-Unterstufe war mit einem Anteil von 3,5 Prozent am schlechtesten besucht.

Zulauf wird noch abnehmen

Der Salzburger Bildungsdirektor Rudolf Mair schätzt, dass etwa 15 bis 18 Prozent der Schüler und Schülerinnen (laut Bildungsministerium waren es 14 Prozent) am ersten Lockdown-Tag in die Schulen gekommen sind. Verglichen mit dem Lockdown im Frühjahr sei das ungefähr das Dreifache. Er rechnet damit, dass der Zulauf noch abnehmen wird.

An der generellen Situation im Schulbereich gab es zum Teil weiterhin harte Kritik: "Man hat auf politischer Seite eigentlich nichts gelernt aus dem letzten Lockdown. Nie wurde etwas richtig evaluiert, nie wurde die Basis, also die Schulen, befragt, was gut und was nicht so gut gelaufen ist", sagt die Linzer Direktorin Petra Strasser. "Wäre ich einen Tag Bildungsministerin, würde ich mich einfach einmal ins Auto setzen und zu den Schulen fahren. Endlich der Basis Gehör schenken."

"Es ist zu schaffen"

Deutlich entspannter sieht man die Situation in der Linzer Kreuzschwesternschule. "Es ist für alle Beteiligten natürlich eine unglaubliche Herausforderung", ist Volksschullehrerin Marlene Enzenhofer überzeugt. Sieben Kinder, statt sonst 26, seien derzeit täglich im Klassenzimmer. Die Mischung aus Schulbetreuung und Distance-Learning verlange den Lehrkräften "natürlich einiges an Flexibilität ab". Enzenhofer: "Aber es ist zu schaffen, wenn alle – Lehrer, Kinder, Eltern – an einem Strang ziehen." Viel habe man übrigens aus dem Lockdown eins gelernt: "Da konnten in den Schulen entsprechende Erfahrungen gesammelt werden, was uns jetzt natürlich zugutekommt."

Christoph Windisch, Vorsitzender des Zentralausschusses der burgenländischen Pflichtschullehrer, kritisiert die Informationspolitik des Ministeriums: "Es scheint leider auch schon der Normalität zu entsprechen, dass die Informationen und Dienstanweisungen nur mehr per Pressekonferenz kommuniziert werden, ohne dabei die nötige Vorbereitungszeit einer Umstellung auf Distance-Learning zu berücksichtigen."

Stressiger Lehreralltag

Einen Einblick, wie anspruchsvoll der Lehreralltag derzeit sein kann, gibt der Lehrer Klaus Lasser von der Volksschule am Kirchplatz in Wattens in Tirol: "Ich hatte heute Vormittag drei Video-Unterrichtseinheiten, danach Präsenzunterricht in einer Sonderschulklasse und danach noch Stunden mit meiner regulären Schulklasse." Als Vater zweier Teenager, die selbst zu Hause auf Distance-Learning angewiesen sind, muss er zur Abhaltung seiner Onlinestunden in die Schule fahren: "Denn das packt sonst unser System zu Hause nicht."

In die Montessorischule des Vereins Brückenpfeiler in Innsbruck kam am Dienstagmorgen gut ein Drittel der Schüler. Im Frühjahr, währen des ersten Lockdowns, waren nur fünf Kinder insgesamt in der Schule. Für die Lehrer ist das nun eine doppelte Herausforderung, wie Schuldirektor Gernot Candolini sagt: "Es gilt für uns, Präsenz- und Homeschooling zu bewerkstelligen." Trotzdem bleibt der Schulleiter optimistisch: "Es ist schaffbar. Das Leben und die Schule verändern sich stetig, wir müssen uns eben darauf einstellen."

Mut zur Lücke

Sorge, dass die Kinder es nicht schaffen, den Stoff zu bewältigen, hat er keine: "Diese Befürchtungen teile ich nicht, das ist eine komplette Überhöhung des Lehrwesens. Meine Devise lautet: Mut zur Lücke. Was nicht geht, geht eben nicht." Candolini und sein Team versuchen auf den Erfahrungen des ersten Lockdowns sowie der Zeit danach aufzubauen. Einerseits, was das Onlinelernen angeht. Hier habe es seit dem ersten Lockdown deutliche Verbesserungen bei den technischen Möglichkeiten gegeben: "Die Lernplattformen und die Unterstützung durch die übergeordneten Stellen sind deutlich besser geworden, das muss man auch einmal sagen."

Das Betreuen von Kleingruppen, wie es nun für jene stattfindet, die zur Schule kommen, habe man wiederum nach dem ersten Lockdown üben können, als der Unterricht abwechselnd in Gruppen stattfand.

Ängste und Verunsicherung bei Kindern

Sorge bereitet Candolini hingegen, dass sich bei den Kindern mittlerweile eine Corona-Müdigkeit bemerkbar mache: "Die Allgemeinstimmung schlägt vielen aufs Gemüt." Zwei, drei seiner Schüler würde er bereits als "Corona-Opfer" bezeichnen, die massiv unter Ängsten und Verunsicherung leiden. Bei rund zehn Prozent der Schüler sei zu beobachten, dass sie es alleine zu Hause nicht schaffen mitzuhalten. Um sie kümmert sich sein Team besonders und hat sie auch aufgefordert, im Lockdown das Betreuungsangebot zu nutzen. (Steffen Arora, Walter Müller, Thomas Neuhold, Markus Rohrhofer, Michael Simoner, Wolfgang Weisgram, 17.11.2020)