Trottel, keine Frage – das ist nicht nur nicht nett, das ist eine grobe Beleidigung. Auch gegenüber einem Politiker. Wie wurden die Anfragen in den legendären Radio-Eriwan-Witzen immer beantwortet? "Im Prinzip ja." Und wer da an Ausnahmen denkt, liegt richtig. Wieder einmal geht es um den Kontext.

Der Trottel

Manchmal sagt ja schon der Ort, den ein Politiker für seine Rede wählt, einiges aus. Und auf den Ulrichsberg, wo die Gedenkfeiern für gefallene Soldaten der Wehrmacht und der Waffen-SS stattfanden, trifft dies wohl in besonderem Maße zu. Es ist schon länger her, da hatte Jörg Haider am 7. Oktober 1990 bei einem derartigen Treffen in seiner Rede behauptet, alle am Zweiten Weltkrieg teilnehmenden Soldaten hätten für Frieden und Freiheit gekämpft und somit zum Aufbau der heutigen demokratischen Gesellschaft beigetragen, und nur diejenigen Soldaten, die im Krieg ihr Leben aufs Spiel gesetzt hätten, seien zu einer freien Meinungsäußerung berechtigt.

Gerhard Oberschlick, Herausgeber der Zeitschrift "Forum", schrieb dazu: "Ich werde Jörg Haider erstens keinen Nazi nennen, sondern zweitens einen Trottel. Dies rechtfertige ich wie folgt: Einleuchtend hat Peter Michael Lingens mich überzeugt, dass es Jörg Haider eher nütze, wenn man ihn einen Nazi nennt. So bitte ich meine Freundinnen um Vergebung, dass ich diese Benennung schon aus so gutem Grund unterlasse. Ich werde Jörg Haider erstens keinen Nazi nennen, sondern zweitens einen Trottel. Da er selber nie das Glück gehabt hatte, im Ehrenkleid der SS oder Wehrmacht dienen zu dürfen, also sich selbst zugleich mit der überwiegenden Mehrheit der Österreicher von allem Freiheitsgebrauche ausschließt, ist er in meinen Augen ein Trottel."

Und natürlich klingt "Trottel" schon sehr nach Beleidigung, jedenfalls für die zwei Instanzen, die Oberschlick strafrechtlich verurteilten. Aber glücklicherweise gibt es noch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg, wo Oberschlick recht behielt. Haiders Rede war selbst provokativ gewesen, und Oberschlick, der auch die Rede veröffentlicht hatte, hatte ja erklärt, wie er zu dieser seiner Wertung "Trottel" gekommen war. Der Gerichtshof: Der Schutz der freien Meinungsäußerung gilt auch für solche Meinungen, die verletzen, schockieren oder beunruhigen. Die innerstaatlichen Verurteilungen hatten in das Grundrecht der freien Meinungsäußerung Oberschlicks eingegriffen.

Jörg Haider als Trottel zu bezeichnen war für den EGMR rechtens.
Foto: Heribert CORN, corn@corn.at/derstandard.at

Die Dreckskerle

Wenden wir uns der jüngeren Vergangenheit zu. Und wenn Sie jetzt den Namen Paulus Manker lesen, wird es Sie nicht überraschen, dass das Objekt der Beleidigung nicht ein einzelner Politiker, sondern gleich die ganze Regierung war. Schwarz-Blau, genau gesagt. Das Stück spielt im Juli 2018 vor den Kulissen eines ORF-TV-Studios, in der Hauptrolle: Paulus Manker, in einer Nebenrolle, Stichworte gebend: Barbara Stöckl, in weiteren Nebenrollen: Helga Rabl-Stadler, ein Psychiater, ein Theologe und, passend, eine Extremismusforscherin (nein, nicht für extreme Wortwahl). Stöckl (es ging um Terrorismus): "Haben Sie Angst, meiden Sie große Menschenansammlungen?" Manker: "Ja, meine geistige ... ich mache mir Sorgen um meine geistige Sicherheit, die körperliche ist sicherlich wichtig, die geistige ist mir wichtiger, und jetzt unter der Regierung ÖVP/FPÖ weiß man ja, dass das Dreckskerle sind und dass die ja auch nicht in die Regierung kommen, weil sie das Gemeinwohl verbessern wollen oder irgendwie für den Staat arbeiten, die wollen ja nur Macht ausüben." Stöckl: "Ja, aber …" Rabl-Stadler: "Ja, aber Sie können doch nicht einen Politiker als Dreckskerl besch..." Manker: "Kann ich schon. Da hat sich ja bei dem Landeshauptmann, dem berühmten von Kärnten, posthum herausgestellt, dass er ein Schwerverbrecher war, der müsste ja jetzt ins Gefängnis ..." Dann machte ihn Stöckl darauf aufmerksam, dass hier kein Politiker geladen sei, der replizieren könne, und sie die Objektivität des Rundfunks wahren müsse. Manker: "Na ja, die werden sich schon melden bei mir, da brauchen Sie sich keine Sorgen machen." Und, Überraschung, das taten sie auch. Geklagt wurde allerdings der ORF, der diese Äußerungen ja gesendet hatte.

Allerdings erfolglos. "Die gegenüber Politikern immer wieder aufgestellte Behauptung, sie seien aus bloßem Machtwillen in ihren Funktionen und wollten nichts verbessern", so das Oberlandesgericht (OLG) Wien, stelle "eine banale Wertung dar", die nicht tatbildlich im Sinn des Tatbestands der üblen Nachrede oder der Beleidigung sei. Und die "Dreckskerle"? Auch wenn grundsätzlich an der Weiterverbreitung von Beschimpfungen kein öffentliches Interesse besteht (wobei, so das Gericht, noch fraglich wäre, ob im konkreten Kontext überhaupt eine strafbare Beleidigung vorlag), ist Kulturpolitik ein gesellschaftlich relevantes Thema, auch die Frage, was als Kunst von der öffentlichen Hand gefördert wird. Aus dieser Diskussion etwas herauszuschneiden "wäre schlichtweg Zensur", so das OLG, die inkriminierten Passagen fielen im Rahmen eines Beitrags eines betroffenen Kulturschaffenden zu einer politischen Debatte im öffentlichen Interesse. Der ORF durfte das so senden.

Ob die Beschimpfung von Politikern als "Dreckskerle", die eigentlich nur eine allgemeine Unmutsäußerung ist, ohne in unmittelbarem Zusammenhang mit einem konkret kritisierten Inhalt zu stehen, wirklich ein Beitrag zu einer politischen Debatte ist, bleibt allerdings fraglich. Und ob ein Gerichtsurteil ein Beitrag zur Stärkung der Meinungsfreiheit oder zur Verwilderung der Diskussionskultur ist – darüber wird man noch oft streiten können. (Thomas Höhne, 26.11.2020)