Wenn in Österreich über Rechtsextremismus gesprochen wird, folgt rasch ein Bezug zum Nationalsozialismus. Dies ist richtig, da auch der zeitgenössische Rechtsextremismus oft grundsätzliche ideologische Gemeinsamkeiten mit dem Nationalsozialismus teilt und bis vor wenigen Jahren noch personelle Kontinuitäten bestanden. Gerade die Erfolgsgeschichte des parteiförmigen Rechtsextremismus in Österreich und seine Normalisierung können nicht ohne den Blick auf die geschichts- und erinnerungspolitische Kultur der Zweiten Republik erklärt werden. Allerdings kann dieser Bezug auch problematische Effekte haben, insbesondere dann, wenn er zum ausschließlichen Deutungsrahmen wird. Darum soll es im Folgenden gehen.

Der geschichtspolitische Rahmen

Rahmen (frames) verleihen einzelnen Argumenten Sinn und Legitimation. Sie beeinflussen sowohl Wahrnehmung und Deutung eines Problems als auch Entwicklung von Gegenstrategien. Die Untersuchung parlamentarischer Debatten zum Thema Rechtsextremismus zeigt, dass darin verwendete Argumente häufig einen Bezug zum Nationalsozialismus herstellen. Dieser geschichtspolitische Rahmen wird so zu einem zentralen Koordinatensystem für die Auseinandersetzung über zeitgenössische Erscheinungsformen extrem rechter Politik.

Das ist, wie bereits angemerkt, der österreichischen Zeitgeschichte selbst geschuldet und den wiederkehrenden Debatten über das Verhältnis von Einzelpersonen oder Parteien zum Nationalsozialismus. Debatten über Rechtsextremismus sind begleitet von öffentlichen Distanzierungen, der Abgrenzung gegenüber der nationalsozialistischen Vergangenheit sowie von Appellen des 'Nie Wieder‘ und der Wachsamkeit. Gleichzeitig kann es zur Reduktion des Themas auf bestimmte Aspekte und damit zu problematischen Auslassungen kommen. Nicht die geschichtspolitische Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus per se soll daher hier kritisiert werden, sondern die Effekte der diskursiven Verengung des Gegenstandes auf den Nationalsozialismus.

Thematische Verengung

Rechtsextrem sind dieser diskursiven Reduktion zufolge all jene Akteure, Argumente und Handlungen, die als nationalsozialistisch gelten. Rechtsextremismus wird nur dann als solcher benannt oder zumindest nicht geleugnet, wenn es explizite Bezüge zum Nationalsozialismus und seiner Symbolik gibt. Der Nationalsozialismus ist somit die maßgebliche Referenz für die Bewertung eines Phänomens, eines Vorfalls und einer Aussage als rechtsextrem. Dabei verschränkt sich die geschichtspolitische Rahmung von Rechtsextremismus angesichts der österreichischen Rechtslage (Stichwort Verbotsgesetz) mit einer ordnungspolitischen Logik, die Rechtsextremismus nur dann erkennt, wenn er gegen das Verbotsgesetz verstößt.

Diese thematische Verengung bedingt die Auslagerung von Rechtsextremismus außerhalb des sich selbst als 'demokratisch' bezeichnenden Gemeinwesens. Ein Blick auf den parlamentarischen Diskurs zeigt, dass es bei der geschichtspolitischen Verengung des Gegenstandes Rechtsextremismus oft weniger um die nachhaltige Thematisierung, sondern vielmehr um jene „selbstgewisse[...] Bestätigung der Gegenwart“ geht, die der Historiker Martin Sabrow auch bei der deutschen Erinnerungspolitik konstatiert. Die Konsequenz ist die Herstellung eines abstrakten Konsenses der Abgrenzung zum Nationalsozialismus und eine faktische Schließung der Debatte.

Der Nationalrat gedenkt den Novemberpogromen am 9. November.
Foto: APA/HERBERT PFARRHOFER

Ausblendung des 'nahen' Rechtsextremismus

Eine ausschließlich geschichtspolitische Engführung von Rechtsextremismus auf den Nationalsozialismus fokussiert auf die Abweichung von der 'demokratischen Normalität'. Letztere bleibt, obwohl selbst zu problematisieren, nicht thematisiert. Sie wird dadurch zumindest implizit freigesprochen und legitimiert. Extrem rechte Akteure und Politiken, die sich den jeweiligen demokratischen Institutionen und politischen Gelegenheitsstrukturen erfolgreich anpassen und damit keine expliziten affirmativen Bezüge zu historischen Faschismen aufweisen, rücken somit aus dem Blickfeld. Dabei ist es gerade jener Rechtsextremismus, der sich (oberflächlich) 'entnazifiziert' und modernisiert hat sowie sich in den politischen Institutionen erfolgreich etablieren konnte. Wenn extrem rechte Politiken nun mit einem auf den Nationalsozialismus reduzierten Frame thematisiert werden, fällt es ihren zeitgenössischen Proponenten relativ leicht, den Vorwurf des Rechtsextremismus unter Verweis auf die Unterschiede zum historischen Nationalsozialismus und mit der obligaten Distanzierung abzuwehren.

Ideologien, die konstitutiv für den Rechtsextremismus sind, aber darüber hinaus weite Verbreitung in der Gesellschaft erfahren, bleiben somit ausgeblendet. Die von der Psychologin Birgit Rommelspacher betonte „ambivalente Beziehung“ zwischen dem sehr eng definierten ‚rechten Rand‘ und der Mitte gehen verloren. Eine nachhaltige Auseinandersetzung mit Ideologien wie etwa Rassismus oder Antisemitismus oder völkischem Denken findet somit nicht statt. Die aktuelle rassistische Mobilisierung von Gesellschaft, die sich gerade eben nicht auf gefestigt rechtsextreme Kreise beschränkt, wird damit nicht problematisiert.

Historisierung von Antifaschismus

Die ausschließliche Deutung von zeitgenössischem Rechtsextremismus in Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus wird nicht nur der Komplexität des Phänomens nicht gerecht, sondern trägt auch zu einer falschen Historisierung bei. Die Darstellung von Rechtsextremen als „Ewiggestrige“ blendet etwa die Anpassungsleistungen und ideologischen Schwerpunktverlagerungen der aktuellen extremen Rechten aus. Der Rechtsextremismus wird damit tendenziell als ein aus der Vergangenheit stammendes, nicht mehr zeitgemäßes und zumindest implizit vielleicht sogar ‚aussterbendes‘ Phänomen interpretiert, dessen vollständige Überwindung vor allem eine Frage der Zeit wäre.

Diese Historisierung von Rechtsextremismus kann dabei auch mit einer Historisierung des Antifaschismus einhergehen, die nicht nur im konservativen und liberalen Spektrum zu beobachten ist. Dabei wird der Antifaschismus nur dann als legitim betrachtet, wenn er in einer bestimmten historischen Phase aufgetreten ist. Ein Beispiel einer sehr engen Historisierung von 'berechtigtem' Antifaschismus zeigte sich im US-amerikanischen Kontext der 1950er-Jahre: Die Bezeichnung des „premature antifascism“, des „verfrühten Antifaschismus“, diente der antikommunistischen Markierung jener Menschen, die schon weit vor dem offiziellen Kriegseintritt der USA gegen Faschismus und Nationalsozialismus auftraten. Als legitim wurde Antifaschismus somit nur in der Zeit der amerikanischen Teilnahme am Zweiten Weltkrieg betrachtet. Spätestens ab dem Beginn des Kalten Krieges wurden antifaschistische Politiken mit dem Kommunismus assoziiert, in den USA ebenso wie in der BRD oder Österreich.

Schlussstrich durch Erinnerungspolitik?

Ein Effekt der ausschließlich geschichtspolitischen Rahmung von Rechtsextremismus ist, dass Erinnerungspolitik de facto einem Schlussstrich das Wort redet. Das „Nie wieder!“ wird in diesem Zusammenhang weniger ein Auftrag gegenüber faschistischer Menschenfeindlichkeit immer sensibel zu sein und sie zu bekämpfen, sondern mehr ein bequemes „Es wird nie wieder passieren können, weil wie jetzt eine ganz andere Gesellschaft haben“. Mit dieser Entsorgung des Rechtsextremismus in der Vergangenheit lässt sich durchaus aktuelle menschenfeindliche Politik legitimieren.

Der ausschließliche Fokus auf den im politischen Diskus nach 1945 als das 'absolut Böse' markierten Nationalsozialismus kann somit zur Ausblendung modernisierter, extrem rechter Diskurse und Politiken führen und damit den Blick auf unterschiedliche Ausprägungen des Phänomens verstellen. Die Abgrenzung von der Vergangenheit wird dann inhaltsleer, wenn sie keine Konsequenzen für die tatsächliche politische Praxis und etwaige Koalitionsvarianten hat. Hier braucht es keine ritualhafte Distanzierung, sondern eindeutige Positionierungen im Sinne demokratischer Grundnormen von Freiheit, Gleichheit und Solidarität in allen politischen Fragen, im politischen Alltag und nicht nur dann, wenn es politisch opportun erscheint. (Matthias Falter, 23.11.2020)

Matthias Falter ist Politikwissenschaftler und FIPU-Mitglied. Sein Buch "Grenzen der Demokratie" ist im Nomos-Verlag erschienen.

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