Viele Menschen auf Partnersuche reduzierten die Anzahl ihrer sexuellen Kontakte, so eine Schlussfolgerung aus der Befragung im Frühjahr.

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Soziologin Rothmüller: "Ich glaube schon, dass viele aus unverbindlichen Dates schneller als sonst üblich etwas Verbindliches gemacht haben."

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Der Lockdown im Frühjahr war für viele eine psychische Ausnahmesituation. Singles saßen plötzlich allein zu Hause. Und manche Paare aus verschiedenen Haushalten trauten sich nun nicht einmal mehr, gemeinsam spazieren zu gehen. Die Soziologin Barbara Rothmüller interessierte sich schon im Frühjahr dafür, welche Auswirkungen die Pandemie auf Intimität und Sexualität hat. Nun will sie herausfinden, was der zweite Lockdown mit dem Liebesleben der Menschen macht.

STANDARD: Zu Intimität und Sexualität in Zeiten von Corona haben Sie im ersten Lockdown eine Online-Befragung durchgeführt. Was waren Ihre Erkenntnisse?

Rothmüller: Klar zu sehen war: Die Komplexität des Pandemie-Erlebens ist sehr hoch. Der Lockdown wurde sehr unterschiedlich wahrgenommen. Es gab Familien, die die gemeinsame Zeit genossen haben. Teilnehmer und Teilnehmerinnen meiner ersten Befragung im Frühjahr berichteten zum Beispiel, dass sie die Beziehung zu ihrem Kind vertiefen konnten und es schön war, dass der Partner oder die Partnerin viel zu Hause war. Auch Paare berichteten, dass sie endlich Zeit für lange Gespräche hatten. Das sind die positiven Aspekte.

STANDARD: Und die negativen?

Rothmüller: Schon im April war deutlich, dass Alleinerziehende, aber auch Jugendliche und junge Erwachsene psychosozial extrem stark belastet waren. Es gab Eltern, die ihren Kindern aus Angst vor einer Ansteckung verboten haben, ihren Freund oder ihre Freundin zu sehen. Die Bedürfnisse von jungen Menschen wurden stark übergangen. Man sollte sich mehr überlegen, als nur zu sagen: Die Jungen sind Treiber des Pandemiegeschehens, weil sie Partys machen. Natürlich gibt es die auch. Aber es gibt auch andere junge Menschen, die sich ganz streng an die Vorgaben halten.

STANDARD: Was waren weitere Herausforderungen?

Rothmüller: Es gab im Frühjahr generell eine massive Verunsicherung. Viele Paare, die in unterschiedlichen Haushalten lebten, hatten plötzlich das Gefühl, dass sie etwas Verbotenes machen, wenn sie ihren Partner trafen. Es macht ja etwas mit einer Beziehung, wenn sie plötzlich als illegitim erlebt wird. Das ist nun, im zweiten Lockdown, ein wenig anders, weil es präzisere Regeln gibt. Ich finde es auch wichtig, dass man sagt, dass sich alleinstehende Menschen aktiv Kontaktpersonen suchen sollen. Wochenlange Einsamkeit erzeugt chronischen Stress. Wobei das nicht alle so erleben, wie die Umfrage im Frühjahr gezeigt hat. Es gibt einen Teil der Singles, der gerne allein ist, zumindest eine gewisse Zeit.

STANDARD: Lassen sich analoge Kontakte durch virtuelle Kontakte ersetzen? Viele haben ja im ersten Lockdown viel mit Freunden und Familie auf Skype kommuniziert.

Rothmüller: Viele haben befunden, dass das nur teilweise ein Ersatz für persönliche Treffen ist. Bei den Jungen haben einige gesagt, dass digitale Gespräche für eine bestimmte Art der Kommunikation passend sind, sich aber Konflikte und emotionale Themen nur schwer digital klären lassen.

STANDARD: Wie ging es Menschen, die auf Partnersuche sind? Die Betreiber von Dating-Plattformen berichteten im Frühjahr von vermehrter Aktivität.

Rothmüller: Tinder und Co wurden teilweise vermehrt genutzt, aber nur von einem Teil der Partnersuchenden – auch wenn die Daten der Plattformen das anders darstellen. Dadurch entstand der falsche Eindruck, dass Menschen auf Partnersuche die Pandemie vorantreiben. Dabei hat ein Drittel der Befragten, die das normalerweise nutzen, pausiert. Die anderen zwei Drittel haben ihr Dating-Verhalten stark verändert. Zum Beispiel, indem eher langfristig Kontakte für eine Zeit nach der Pandemie geknüpft wurden, oder indem die Anzahl der sexuellen Kontakte reduziert wurde. Ganz viele Menschen haben sich nur auf eine Person konzentriert, man sieht also eine starke Monogamisierung von intimen Beziehungen im Lockdown, wie ich das nenne.

STANDARD: Wie wirkt sich ein Lockdown auf Beziehungen aus?

Rothmüller: Ich glaube schon, dass viele aus unverbindlichen Dates schneller als sonst üblich etwas Verbindliches gemacht haben. Ich habe im Frühjahr auch abgefragt, ob man versucht hat, eine Corona-Partnerin beziehungsweise einen Corona-Partner für den ersten Lockdown zu finden. Das haben doch einige bestätigt. Der erste Lockdown war auch eine Art Moratoriumszeit, in der man über seine Prioritätensetzung nachgedacht hat. Viele haben dabei ihre Lebensweise und ihre Beziehungen reflektiert. Andere haben sich bestärkt darin gefühlt, dass sie genau das Leben leben, das sie möchten. In der aktuell laufenden Folgeerhebung möchte ich untersuchen, ob das im zweiten Lockdown auch so ist.

STANDARD: Können Sie schon erste Erkenntnisse aus der jetzigen Befragung ziehen?

Rothmüller: Studien weisen darauf hin, dass die psychosoziale Belastung von Menschen auch über den Sommer hoch geblieben ist. Manche haben in den letzten Monaten auch noch einmal ihre Wohnsituation beziehungsweise ihren Beziehungsstatus verändert. Ob das für alle so gut passt in dieser Zeit des Stillstands, wird die Befragung zeigen. (Franziska Zoidl, 26.11.2020)