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"Ach? Den Plan zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie in Kalabrien hätte ich ausarbeiten sollen?", wunderte sich Saverio Cotticelli vor laufender Kamera. Tja, wer denn sonst? Cotticelli war in der südlichen Region seit zwei Jahren allmächtiger Sonderkommissar der Regierung für das Gesundheitswesen gewesen. Der TV-Auftritt vor zehn Tagen, in dem der pensionierte Carabinieri-General auch in anderen Belangen eine bemerkenswerte Ahnungslosigkeit in Sachen Pandemiebekämpfung an den Tag legte, bedeutete das Ende seiner Karriere als Kommissar: Regierungschef Giuseppe Conte feuerte Cotticelli umgehend.

Sein Nachfolger sollte Giuseppe Zuccatelli werden, der im Unterschied zu Cotticelli etwas mehr Erfahrung als Gesundheitsmanager vorweisen konnte. Aber bereits am Tag nach seiner Nominierung kursierte ein Video aus dem Frühling im Netz, das sofort viral wurde: Es zeigte den Mann, wie er über die Nutzlosigkeit von Gesichtsmasken schwadronierte. "Der bloße Kontakt mit einem Infizierten reicht nicht, um sich anzustecken. Dafür müsste man sich schon küssen und seine Zunge 15 Minuten in den Mund des anderen stecken", dozierte der neue Covid-19-Manager für Kalabrien. Conte schwante, dass Zuccatelli auch nicht der richtige Mann für den Job sei.

Fündig im dritten Versuch – aber nur für 24 Stunden

Den bisher letzten Versuch, einen neuen Kommissar zu finden, unternahm die Regierung am Montag mit Eugenio Gaudio, einem ehemaligen Rektor der berühmten Sapienza-Universität in Rom. Was Premier Conte bei der Prüfung der Akte Gaudio entgangen war: Gegen den Kandidaten läuft ein Verfahren wegen Freunderlwirtschaft. Keine 24 Stunden später strich dann auch der dritte Kommissar die Segel. Gaudios Begründung: "Meine Ehefrau möchte nicht von Rom nach Catanzaro (die Hauptstadt der Region Kalabrien) umziehen, und ich will wegen meines neuen Amts keine Familienkrise heraufbeschwören." Fazit: In nur zehn Tagen hat die italienische Regierung drei Kalabrien-Kommissare verschlissen.

Die Farce wäre zum Lachen, würde sie sich nicht vor einem ernsten Hintergrund abspielen: Das Gesundheitssystem Kalabriens erfüllt nicht einmal die elementarsten Mindeststandards. Es fehlt an Spitälern, Ambulatorien, Ärzten, Pflegepersonal, Organisation, Geld. Wegen Unterwanderung durch die 'Ndrangheta – die regionale Variante der Mafia – ist der gesamte Gesundheitsbereich der ärmsten Region Italiens schon vor zwölf Jahren einem Sonderkommissar der Regierung unterstellt worden. Doch während der Zwangsverwaltung wurde das marode und mafiöse System nicht saniert, sondern nur noch weiter kaputtgespart. Die Zahl der Spitalsbetten halbierte sich; von den 9.000 Intensivbetten Italiens befinden sich gerade einmal 146 in Kalabrien.

"Rotes" Kalabrien

Die Folge: Als die Regierung Conte vor zweieinhalb Wochen das Land in vier Covid-Gefahrenzonen einteilte – grün, gelb, orange und rot –, wurde Kalabrien der höchsten Gefahrenstufe zugewiesen und in einen neuen Lockdown geschickt, obwohl die Region die mit Abstand tiefsten Fallzahlen Italiens auswies. Kalabrien wurde zur roten Zone, weil sein Gesundheitssystem selbst bei einem geringfügigen Anstieg der Covid-19-Kranken zusammenzubrechen drohte.

Genau dieser Anstieg ist in den vergangenen Tagen erfolgt: Der nationale Zivilschutz muss nun unter Zeitdruck in allen Provinzen Kalabriens Feldlazarette für Corona-Patienten bereitstellen – obwohl die Fallzahlen im Vergleich zum Rest des Landes immer noch niedrig sind.

Gesichtsverlust für den Premier

Der Gesichtsverlust für Premier Conte ist beträchtlich – und kommt zu einem schwierigen Zeitpunkt: Trotz der Maßnahmen der Regierung gehen die Fallzahlen in Italien immer noch durch die Decke. Mit 731 Toten an einem Tag wurde am Dienstag der höchste Wert seit April verzeichnet; bis zum Wochenende dürfte die Gesamtzahl der Covid-19-Toten seit Beginn der Pandemie auf 50.000 klettern.

Conte hat inzwischen die politische Verantwortung für das Kommissaren-Desaster übernommen und sich bei den zwei Millionen Einwohnern Kalabriens entschuldigt. (Dominik Straub, 18.11.2020)