Dave Alvin: ein großer Songwriter aus der zweiten Reihe.

Foto: Yep Roc

Wie er sich unter seinem Cowboyhut eingerichtet hat, könnte er in jedem Trucker-Diner des mittleren Westens hauptgemeldet sein. Zwischen den Ellbogenschonern ein Bier im Griff: Stammgast sein ist ein harter Job, das weiß jede Leber.

So könnte die Fantasie mit einem durchgehen, denn solche Klischees zählen durchaus zu den Sujets des Mannes unterm Hut. Der heißt Dave Alvin und gilt als einer der besten Songwriter der USA.

Der 65-jährige Cowboy aus Kalifornien veröffentlicht am Freitag das Album From an Old Guitar: Rare and Unreleased Tracks. Es ist eine tolle Sammlung unveröffentlichter Perlen, die die Bandbreite dieser ziemlich legendären Figur abbildet: Da gibt es das von Tequila entflammte Variations on Earl Hookers Guitar Rumba für den beschwipsten Tanzauftritt hoch oben auf dem Tresen. Da gibt es die im Kellerbariton trockengefrorene Bob-Dylan-Coverversion Highway 61 Revisited, den schrägen Walzer oder den brunftigen Country-Rumpler Dynamite Woman. Und natürlich Blues. Diese Musik war es, die Dave Alvin und seinen Bruder Phil als Teenager verzaubert hat.

Alvin fährt mit Dylan übern Highway 61.
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Die beiden wuchsen in Downey auf, einem Vorort von Los Angeles. In den dortigen Clubs traten alte Bluesmusiker für ein Essen und den Rausch dazu auf. Die jungen Alvins lauschten, lernten und gründeten Ende der 1970er eine Band: The Blasters.

Bier- und Feuertaufe

Mitten in der Punk-Ära tauchten sie auf und spielten Rockabilly auf Kerosin. Weil das manchen Clubs zu verwegen war, standen sie bald mit Punk-Bands wie X oder Fear auf der Bühne und überlebten jede Bier- und Feuertaufe. Um den Radius zu erweitern, ging es rüber ins Ausland, nach East L.A., wo sie in Latino-Clubs spielten und eine würfelförmige Combo kennenlernten, die sich Los Lobos nannte. Diese schaute darauf, dass die Blasters East L.A. überlebten, die Blasters taten dasselbe für die Lobos im Westen.

Nach Achtungserfolgen, die den Blasters immerhin Kultstatus eintrugen, verließ Dave die Band für eine Solokarriere – die alten Freundschaften blieben bestehen. Wenn David Hidalgo von Los Lobos heute wegen einer verlegten Augenbraue oder eines eingewachsenen Zahnstochers einen Konzerttermin nicht wahrnehmen kann, wird Dave Alvin an seiner statt eingeflogen.

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Der hat noch mit anderen einflussreichen Gruppen gespielt: dem Gun Club, X, den Flesheaters oder den Knitters. Ausgemacht war das nicht, denn zu Beginn der Blasters war er derjenige, der am schlechtesten spielte. Doch er schrieb da schon tolle Songs.

Darunter befand sich Marie, Marie, der in Europa einem gewissen Shakin’ Stevens ein Karrierehoch verpasste. Das Original der Blasters ist natürlich um Ecken besser, tantiementechnisch wollte sich Alvin aber nie beschweren. Seine eigene Musik ist aber frei von den Bügelfalten und Schulterpolstern des wackeligen Stefans. An ihm und seinen Songs klebt der Staub der Straße.

Trucker und Hipster

Zwar ist Alvin Grammy-gewürdigt und seine Musik taucht in diversen Serien und Filmen wie Justified oder From Dusk Till Dawn auf, dennoch fährt er bis heute mit dem Kleinbus durch die Staaten und lebt für die zwei Stunden, die er abends oben auf der Bühne steht und vor Truckern, Hipstern, Hausfrauen und Rechtsanwälten aus allen politischen Lagern spielt.

Und ein Alvin-Klassiker von früher.
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Der von der linken Politik der 1960er-Jahre geprägte Haudegen glaubt an die verbindende Kraft der Musik – seine Kunst zehrt vom sprichwörtlichen US-amerikanischen Optimismus, wenngleich ihr nicht immer ein Happy End beschieden ist. Das wäre auch fad.

Gleichheit vor dem Blues

Aber als Roots-Musiker ist er tief in den Traditionen verankert, und deren Äste sind in jede Richtung verwachsen. Und vor einem Song wie dem Perdido Street Blues sind nach zwei, drei Getränken sowieso alle gleich.

Alvin wurde früher ein gewisser Gram ob seines fehlenden kommerziellen Erfolgs nachgesagt. Seine Musik aber klingt, als wäre er im Reinen mit sich. Und trotz aller behandelten Klischees versucht er doch immer, das leidlich bekannte auszulassen. Das hat er bei den alten Bluesern gelernt und das hält nicht nur den Mann frisch, sondern auch seine Kunst. (Karl Fluch, 18.11.2020)