Rudolf Likar ist Präsident der Österreichischen Palliativgesellschaft (OPG), Vorstand der Abteilungen für Anästhesie und Intensivmedizin in Klagenfurt und Wolfsberg sowie Inhaber des Lehrstuhls für Palliativmedizin an der Sigmund-Freud-Privatuniversität in Wien.

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Am wichtigsten ist, sagt Rudolf Likar, dass die Menschen an ihrem Lebensende nicht alleine gelassen werden.

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Ab Montag berät der Verfassungsgerichtshof (VfGH) erneut darüber, ob das Verbot der Sterbehilfe in Österreich weiterbestehen soll. Bereits im September wurde eine mehrstündige öffentliche Verhandlung dazu abgehalten. Befragt wurden sowohl Befürworter als auch Gegner einer Liberalisierung. Vier Antragsteller, darunter zwei Schwerkranke und ein Arzt, wollen die Strafbarkeit der "Tötung auf Verlangen" und der "Mitwirkung am Selbstmord" kippen. Der Palliativmediziner Rudolf Likar verteidigt das Verbot.

STANDARD: Warum sprechen Sie sich gegen assistierten Suizid aus?

Likar: Leider wird immer wieder das Bild vermittelt, dass ein würdiges und autonomes Lebensende nur mit assistiertem Suizid möglich ist. Diese Vorstellung ist nicht richtig. Aus palliativmedizinischer Sicht bietet die aktuelle Rechtslage in Österreich bereits jetzt einen geeigneten Rahmen. Denn wir haben viele Möglichkeiten, die bisher allerdings nicht ausgeschöpft werden – etwa Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht. Damit können alte, schwer kranke und sterbende Menschen sowie ihre Angehörigen unterstützt sowie auf mögliche Szenarien am Lebensende vorbereitet werden. Und sie können ihre Wünsche und Vorstellungen äußern, um Leiden zu lindern und ein Sterben in Würde zu ermöglichen. Doch viele nutzen das nicht. Nur vier Prozent der Österreicher haben eine Patientenverfügung.

STANDARD: Aber gibt es nicht Menschen, die schwer krank sind und sterben möchten?

Likar: Wer in der Palliativversorgung tätig ist, kennt die Sorgen und Ambivalenzen, die mit der letzten Lebensphase verbunden sein können. Doch in unserer täglichen Praxis erfahren wir auch immer wieder, dass die Menschen trotz schwerer Erkrankungen sehr gerne leben. Viele Vorstellungen, die gesunde Menschen von schweren Erkrankungen haben, treffen auf kranke Menschen nicht zu. Unter anderem wird als Argument für die Notwendigkeit des assistierten Suizids oft die Furcht vor unkontrollierbaren Schmerzen angeführt. Dafür stehen uns aber zahlreiche medikamentöse und nichtmedikamentöse Möglichkeiten zur Verfügung. Auch andere belastende Symptome wie Atemnot, Angstzustände oder Unruhe können wir lindern. Letztlich ist auch die palliative Sedierungstherapie eine Option, das ist die ethisch begründete Möglichkeit, eine medikamentöse Beruhigung bis hin zu einem Dämmer- oder Tiefschlaf einzuleiten.

STANDARD: Viele denken, dass moderne Intensivmedizin "Leben und Leiden unnötig verlängert". Was sagen Sie dazu?

Likar: Wir müssen den Menschen die Angst vor dieser "Apparatemedizin" nehmen. Hightech-Medizin ist nicht anonym und unpersönlich, auch hier behandeln Menschen Menschen, und vieles lässt sich in Gesprächen klären. Der Patientenwille ist das höchste Gut. Es werden jeweils an die Situation angepasste individuelle Behandlungskonzept entwickelt. Gemeinsam kann etwa entschieden werden, dass sich das Therapieziel von einer kurativen zu einer palliativen Versorgung ändert.

STANDARD: Was bedeutet das?

Likar: Es geht nicht mehr um Heilung, sondern darum, Schmerzen zu lindern. Ist das passiert, darf die Medizin keine lebensverlängernden Maßnahmen mehr ergreifen. Hier ist es wichtig, dass Patienten zu den Ärzten ein Vertrauen aufbauen und verstehen, dass wir nicht bis zum Umfallen therapieren. Wenn ein Patient nie ein Pflegefall werden wollte, werden wir die Therapien bis an diesen Punkt auch nicht fortführen. Am wichtigsten ist, dass die Menschen nicht alleine gelassen werden.

STANDARD: Wie ist das gemeint?

Likar: Wenn Menschen in dieser Phase nicht begleitet werden, werden sie schnell sagen, dass das Leben nicht mehr lebenswert ist. Wenn man ihnen zuhört, sie auch mit ihren Gedanken nicht alleine lässt, können viele die Zeit, die ihnen noch bleibt, als schön erleben. Viele Tumorpatienten haben letzte Wünsche, etwa noch einmal Abendessen zu gehen oder einen Ausflug auf die Alm zu machen. Wir versuchen das zu erfüllen.

STANDARD: Sind die Österreicher über die Optionen am Lebensende schlecht informiert?

Likar: Ja. Viele wissen darüber nicht Bescheid. Es sollte eine bessere Aufklärung und einen vereinfachten Zugang zu diesen Vorsorgeinstrumenten geben, die die Selbstbestimmung am Lebensende garantieren.

STANDARD: Wie ist die Palliativmedizin in Österreich aufgestellt?

Likar: Leider ist das regional sehr unterschiedlich. Wir fordern ein individuelles Recht auf Palliativversorgung und einen flächendeckenden Ausbau in allen Bundesländern und auf allen Versorgungsstufen. Dass Menschen hier kompetent und wirksam begleitet und betreut werden, darf nicht vom Wohnort abhängen, das muss in gleicher Weise in ganz Österreich verfügbar sein.

STANDARD: Wie gut ist das medizinische Personal geschult?

Likar: Viele sprechen das Thema ihren Patienten gegenüber leider viel zu spät oder nicht offen genug an. Und diese wiederum trauen sich nicht, ehrlich mit ihren Ängsten umzugehen. Es sollte daher eine Stärkung der Aus- und Fortbildung in Palliative Care für alle Gesundheitsberufe geben. Das Thema muss bei Ärzten und in der Pflege zur inneren Werthaltung werden.

STANDARD: Wie steht es um die Palliativmedizin in der Corona-Krise?

Likar: Leider ist es im ersten Lockdown passiert, dass Menschen sich von Sterbenden nicht mehr verabschieden durften. Meiner Meinung nach ist das das Schlimmste und darf nicht wieder passieren. Auch wurden Palliativteams teilweise nicht mehr in Alten- und Pflegeheime gelassen. Mittlerweile ist die Situation anders, trotz der kritischen Corona-Inzidenz kann die Versorgung stattfinden, auf den Palliativstationen ist Besuch erlaubt. Alles natürlich unter den vorgesehenen Hygienemaßnahmen.

STANDARD: Welche negativen Effekte könnte die Ermöglichung der Sterbehilfe haben?

Likar: Oft gibt es einen großen sozialen Druck bei der existenziellen Entscheidung über das Lebensende. Die aktuelle Rechtslage schützt davor. Andernfalls stellt sich die Frage: Wer definiert, was lebenswert ist? Die Menschen in Österreich werden immer älter, dementer, multimorbider, und bei den Lebensjahren, die wir in Gesundheit verbringen, schneiden wir in der Statistik schlecht ab. Wir dürfen nicht an einen Punkt kommen, an dem die Menschen anfangen müssen, sich zu verteidigen, warum sie immer noch leben. Hier darf das soziale Gefüge nicht kippen. Die Stärke einer Gesellschaft zeigt sich darin, wie gut sich um Randgruppen gekümmert wird und ob ihnen Platz gemacht wird. Dazu zählen auch ältere und sterbende Menschen, die man an ihrem Lebensende in Würde begleitet. (Bernadette Redl, 22.11.2020)