Der US-Agent, getarnt als sowjetischer Offizier. Die Seiten sind für den Spieler klar verteilt.

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"Know your history", das ist die Tagline des aktuellen Teils der Shooter-Blockbusterserie Call of Duty mit dem Untertitel Black Ops: Cold War. Zum insgesamt 17. Mal verkörpern Spieler*innen der Franchise grimmige Krieger im Einsatz gegen diverse Bedrohungen des Westens. Diesmal, wie in den vier vorangegangenen Franchise-Ablegern mit dem Untertitel Black Ops, geht es nicht um die Welt des regulären Militärs und großer kriegerischer internationaler Konflikte, sondern um die Halbwelt von Spionage, paramilitärischen Verbänden und Geheimoperationen.

Call of Duty

Zeitgeschichte

"History", das bedeutet hier: die mehr oder weniger versteckte Zeitgeschichte des titelgebenden Kalten Krieges. In den einführenden Videosequenzen reihen sich historische Filmdokumente aneinander, reale Bilder sowjetischer Paraden, Straßenszenen, Presseaufnahmen, Bilder des sowjetischen Generalsekretärs Breschnew, von Bürgerrechtsprotesten in den USA, verwaschene Originalaufnahmen von Fidel Castro und militärischen Paraden und Einsätzen.

Schon die ersten Einsatzbesprechungen, die ersten Szenen verankern das Geschehen durch diese Originalbilder und zahllose beeindruckende szenische Details in der Zeitgeschichte, 40 Jahre vor der Gegenwart. Der verlorene Vietnamkrieg als andauerndes Trauma der handelnden Personen kommt ebenso zur Sprache wie ein weiteres US-Debakel: das historische Geiseldrama in der US-Botschaft in der iranischen Hauptstadt Teheran, dessen Ende sich am 20. Januar 1981, wenige Tage nach den ersten Szenen des Spiels, ereignet. Zwei daran Beteiligte gilt es als allererste Mission in Cold War in Amsterdam aufzuspüren und zu verhören. Ihre Befragung ergibt historisch Erstaunliches: Die Sowjets stecken dahinter.

Abbiegen zu den alternativen historischen Fakten ...

"Know your history": In der Realität gab es keine sowjetische Beteiligung an der dramatischen Situation in der US-Botschaft in Teheran. In der Realität waren auch die Verantwortlichen für das im Reihenvorgänger Modern Warfare 2019 erwähnte Kriegsverbrechen am berüchtigten "Highway of Death" nicht russische, sondern US-Streitkräfte. Geschenkt: Call of Duty verkörpert derart platten Geschichtsrevisionismus, dass es in einem der größten Hochglanzprodukte des global umsatzstärksten Entertainmentmediums auch Zyniker noch überraschen sollte.

USA gut, Russland böse – für einen Blockbuster soweit so erwartbar. Doch die die gesamte Handlung von Cold War durchziehende große sowjetische Verschwörung ist als narratives Grundgerüst so bestimmend, dass dafür schon in der Bewerbung des Spiels großzügig die Grenzen zwischen historischer Realität und in realen rechtsextremen Zirkeln populären Verschwörungstheorien verwischt wurden.

Ausflüge nach Vietnam sind im Spiel ebenfalls enthalten.
Foto: Activision

Schon der erste Trailer zum Spiel im August sorgte für Irritation. In einem dort gezeigten historischen Interview aus dem Jahr 1984 beschreibt der KGB-Überläufer Yuri Bezmenov angebliche sowjetische Destabilisierungsstrategien westlicher Gesellschaften. Diese gesteuerte "Demoralisierung" erfolge nicht durch militärische oder geheimdienstliche direkte Intervention, sondern durch Unterwanderung und Radikalisierung der Zivilgesellschaft – bebildert durch historische Aufnahmen von Bürgerrechtsbewegungen und Friedensprotesten.

"Know your history": Das Interview mit Bezmenov ist historisch, doch sein von Trailer und Spiel verschwiegener Kontext ebenso. Die Aufnahmen stammen von G. Edward Griffin, einem US-amerikanischen Autor und Journalisten, der als wichtiger Verbreiter rechter Verschwörungstheorien gilt und Mitglied und Funktionär der rechtsradikalen John Birch Society ist. Bezmonovs im Trailer gezeigte Behauptungen sind die Grundlage vieler Verschwörungstheorien, die von heutigen rechtsextremen Kreisen gepflegt werden.

… zur rechtsextremen Verschwörungstheorie

Die Unterwanderung der Gesellschaft durch "Kulturmarxisten", die an relevanten Schlüsselpositionen in Gesellschaft und Medien am Untergang der westlichen Ordnung arbeiten, ist als mächtiges Narrativ bei so gut wie allen rechten Verschwörungstheoretikern lebendig; nicht zuletzt stellt es einen der Hauptbeweggründe für die Tat des rechtsextremen Massenmörders Anders Breivik dar.

In den Action-Sequenzen verzichtet man auf allzu viel Storytelling.
Foto: Activision

Der Applaus für das fragwürdige Spiel mit dem rechten Verschwörungsraunen kam von erwartbarer Seite. Der zuerst von Kotaku kritisierte Konnex zwischen dem Marketing von Cold War und rechter Verschwörungstheorie fällt in der nicht zuletzt auch in Spielerkreisen nach Gamergate groß gewordenen Alt-Right-Bubble auf fruchtbaren Boden. Deren prominente Fürsprecher wie Carl Benjamin, besser bekannt als Gamergate-Youtube-Ikone "Sargon of Akkad" und inzwischen kurzzeitig zum Lokalkandidaten der UK-Rechts-außen-Brexitpartei Ukip mutiert, begrüßte, dass Bezmenovs Aussagen nun "im Mainstream" angekommen seien. In den Kommentaren wird applaudiert.

Was ist real?

Natürlich ist die Vermischung von Realität und Fiktion an sich nichts Besonderes. Problematisch ist nur, wenn für coole Spionage-Atmosphäre als Dekoration ausgerechnet auf rechtsextreme Verschwörungsmotive zurückgegriffen wird, die kommentarlos und ohne weitere Einordnung als historische Dokumente gleichberechtigt neben andere Archivaufnahmen gestellt werden.

Jetzt, zum Launch des Spiels, legt das Activision-Marketing noch nach: Mit breit in die Medien getragenen Interviewgelegenheiten mit der realen Ex-KGB-Agentin Elena Vavilova, die über ihre eigenen Geheimdiensterfahrungen und den "Realismus" des Blockbuster-Shooters spricht, wird die Grenze zwischen historischer Realität und Verschwörungstheorie weiter eingerissen.

Man erinnert sich daran, dass schon bei Black Ops 2 der Ex-Militär und rechte Hardliner Oliver North als Berater engagiert wurde. "Inspired by actual events", die Verwendung von Originaldokumenten, Interviews mit echten Spionen, "Easter-Eggs", die zu realen CIA-Datenbanken führen, Agenten und Doppelagenten, die reale Verschwörung um das CIA-Gehirnwäscheprogramm MK-Ultra neben fiktiven Verschwörungserzählungen: Cold War gefällt sich im angenehm gruseligen Dunkel des Verschwörungsraunens und findet nichts dabei.

Wem kann man überhaupt trauen, wenn schon die Hauptfiguren der Reihe selbst sich wiederholt als kompromittiert herausstellen? Wenn historische Ereignisse und die Zerstörung halb Europas durch Neutronenbomben gleichberechtigt nebeneinander bestehen? Was ist real, was nur Teil einer Fiktion, die immerhin auch schon einmal, im Teil 3 der Serie, in eine Hightech-Zukunft entführt hat? Ist ja nur ein Spiel!

Im Spiel ist man Teil eines westlichen Geheimdienstteams.
Foto: Activision

War nur Spaß! Oder doch nicht?

Immer, wenn Videospiele, insbesondere große, inhaltlich kritisiert werden, folgt diese reflexhafte Universalverteidigung: "Es ist nur ein Spiel" – das ist eine billige und substanzlose Ausrede, die zumindest auf der größten Entertainmentbühne der Welt, in einem der größten, von Millionen konsumierten Blockbusterprodukte nicht mehr gelten sollte.

Ja, was nun: Spiel – oder doch "Know your history"? Entertainment – oder Realismus? Ernst gemeint – oder nur Spaß? Warum bemüht man sich so umfassend und in zahllosen Details im Spiel und im Marketing um den Anschein von "Realismus", wenn dieser Realitätsgehalt dann bei der ersten Kritik an den Aussagen, die sich dadurch ergeben, schlicht abgestritten wird? Wieso wird jeder Verweis auf politisch tendenziöse Inhalte damit abgewehrt, dass man überhaupt keine politische Aussage treffe? Ja, wieso nicht einfach dazu stehen, dass man hier Popcorn-Entertainment auch für ein international rechtslastiges Mainstream-Publikum produziert, das mit diesen Aussagen kein Problem hat?

Bitte nicht antworten, die Frage ist rhetorisch: Den tatsächlichen Verschwörungsbekehrern dient das Schillern zwischen Ironie und Ernst, zwischen Spaß und Dogwhistle als effektive Rekrutierungsstrategie. Den Machern des größten Military-Shooters des Planeten, der angeblich nur aus ästhetisch-narrativen Gründen mit diesen Motiven liebäugelt, geht es hingegen nur ums Geld.

Ist das überhaupt ein Problem? Jein!

Im Prinzip wäre natürlich an Entertainment, das ein wie auch immer geartetes politisches Weltbild und sogar Verschwörungstheorien aus egal welchen Gründen unterstützt, nichts auszusetzen, egal, wie man zu dessen Inhalten stehen mag. Das Actionkino der Achtzigerjahre bis heute, von "Top Gun" abwärts, lässt sich ideologisch ebenso eindeutig einordnen wie etwa das Gesamtwerk des Thriller-Kultautors Tom Clancy.

Inszeniert ist der "Geschichtsunterricht" wie ein typischer Blockbuster.
Foto: Activision

Natürlich rekrutiert sich das Publikum der Call of Duty-Reihe auch aus Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben, die Unterwanderung der westlichen Gesellschaften durch dunkle Mächte für denkbar halten und die Grundaussage jedes Militainments akzeptieren, die Männer in den Schützengräben seien die Einzigen, die die Wahrheit kennen würden. Nicht nur in den USA, dem Hauptmarkt für große Militainment-Blockbuster, ist nicht erst seit dem Trumpismus diese Weltsicht mehrheitsfähig. Ganz geheuer dürfte Activision das Liebäugeln mit der Szene dann doch nicht sein, sonst hätte man sich nicht auf beinah komische Art und Weise bemüht, dementsprechend vorbelastete Symbole aus den Spielen der Reihe zu entfernen.

Für all jene, die es bei genauerer Überlegung doch nicht so sehen wollen, dient der Verweis darauf, dass alles hier nur Spaß sei, als ausreichendes Argument für den Kauf. "Plausible deniability", glaubhafte Abstreitbarkeit, nennt man das wohl. Und immerhin, geschenkt: Viele der Fans der Call of Duty-Reihe lassen den Single-Player-Teil und damit die Kampagne von vornherein links liegen. Die Hauptattraktion ist für sie der Multiplayer-Teil, der völlig ohne narrative Verankerung auskommt, und auch in der Single-Player-Kampagne geht es, wie auch in der STANDARD-Rezension angemerkt wird, "nicht darum, gewaltsame Auseinandersetzungen abschreckend darzustellen oder historisch akkurat zu sein, sondern in erster Linie darum, ein Feuerwerk zu inszenieren".

Die Grenzen zwischen Fiktion und Realität sind fließend.
Foto: Activision

Als Erklärung, warum dieses "Feuerwerk" aber exakt so gestaltet ist, taugt dieser Befund jedoch nicht. Ja, das ist alles Fiktion, nicht Dokumentation; ja, das ist alles nur optionale narrative Hintergrund-Deko für ein Reaktionsspiel, in dem man ganz ohne Herumgerede einfach Spaß haben kann. Aber: Es ist bewusst reaktionäre Fiktion, die reale Verschwörungstheorien der rechten und rechtsextremen Szene unkritisch und ohne Einordnung wiederholt; es ist Hintergrunddeko, die mit Absicht und großem gestalterischem Aufwand einer realen Erzählung von Rechtsextremen die vermutlich größte Popbühne aller Zeiten bietet – und sich zugleich redlich darum bemüht, Grenzen zwischen dieser Erzählung und der Realität nach Möglichkeit zu verwischen.

Dass es in dieser Welt keine "Guten" und "Bösen" gibt, ist dabei nicht nur nebensächlich, sondern im Gegenteil ein Feigenblatt, das von einem Faktum ablenkt: Call of Duty: Black Ops Cold War betreibt, ob aus Überzeugung oder nicht, die Normalisierung und Verbreitung rechter Verschwörungspropaganda in einer der größten Franchises der gegenwärtigen Popkultur. Es wäre an der Zeit, diese Tatsache nüchtern zur Kenntnis zu nehmen. (Rainer Sigl, 13.12.2020)