Die U-Haft gegen zehn mögliche Mittäter beim Anschlag in Wien wurde verlängert. Indes steht das Verbrechensopfergesetz in der Kritik.

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Wien – Das Wiener Landesgericht für Strafsachen hat im Fall der zehn festgenommenen möglichen Mitwisser beziehungsweise Mittäter am Terroranschlag in der Innenstadt die U-Haft verlängert. Die bisherigen Haftgründe blieben aufrecht, teilte Gerichtssprecherin Christina Salzborn am Donnerstag mit.

Acht Beschuldigte haben gegen die Fortsetzung der U-Haft Beschwerde angemeldet. Ob ihre weitere Inhaftierung angemessen und verhältnismäßig ist, muss nun das Wiener Oberlandesgericht (OLG) entscheiden.

Beschuldigter beteuert Unschuld in Brief

Unterdessen bekräftigt einer der Beschuldigten in einem dreiseitigen handschriftlichen Brief, der der APA übermittelt wurde, seine Schuldlosigkeit. Er habe mit der radikalen islamistischen Szene und dem Anschlag nichts zu tun: "Ich gehöre weder zu einer terroristischen Organisation noch befürworte ich Anschläge, in denen unschuldige Menschen ihr Leben verlieren."

Mit dem Attentäter K. F. sei er weder befreundet noch gehöre er zu dessen engerem Kreis: "Es war lediglich eine äußere Bekanntschaft." Er habe den Mann kaum gesehen, versichert der 21-Jährige in dem Schreiben: "Ich sah den Terroristen dieses Jahr geschätzte maximal dreimal, und ich wusste nichts von seinem Gedankengut – noch machte er vor mir Anspielungen. Hätte ich von seinen Plänen gewusst, hätte ich ihn fürwahr aufgehalten." Er selbst habe sich "nie etwas zuschulden kommen lassen", betont der 21-Jährige, der tatsächlich bisher gerichtlich unbescholten ist.

Lücken im Verbrechensopfergesetz

Der Attentäter tötete beim Anschlag in Wien vier Menschen und verletzte zahlreiche weitere. Letzteren beziehungsweise den Hinterbliebenen der Todesopfer versprach Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) Entschädigungen nach dem Verbrechensopfergesetz. Doch offenbar greift die derzeitige Rechtslage zu kurz, um allen Betroffenen auf diesem Weg die benötigte Hilfe zukommen zu lassen, wie das Beispiel eines Wiener Ehepaars belegt.

Das Ehepaar war am Abend des 2. November in der Innenstadt unterwegs, als es in einer Gasse plötzlich in unmittelbarer Nähe Schüsse wahrnahm. Die beiden flüchteten in dieselbe Richtung, wurden vom Attentäter bemerkt und ins Visier genommen. Ein Projektil traf den Ehemann, der einen Streifschuss erlitt, aber glücklicherweise mit dem Leben davonkam. Seine Frau blieb unverletzt – wenn auch nur physisch. Das Erlebte hat ebenso wie bei ihrem Mann tiefe Kerben hinterlassen, sodass beide psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen wollen, um das erlittene Trauma bewältigen zu können.

Während die Therapiekosten für den Mann im Rahmen des Verbrechensopfergesetzes abgedeckt werden, wurde dies im Fall der Frau auf Anfrage seitens des Sozialministeriumservice (SMS) verneint. Daraufhin wandte sich das Ehepaar an die Verbrechensopferhilfe Weißer Ring. Laut dieser entspreche die Ablehnung aber geltender Judikatur. Das Beispiel des Ehepaars mache daher deutlich, dass sämtliche Personen, die sich im Nahebereich des Terroranschlags befanden, vollen Zugang zu den Leistungen aus dem Verbrechensopfergesetz – Kostenübernahme für Psychotherapie, Pauschalentschädigung für Schmerzengeld und Verdienst- und Unterhaltsentgang – erhalten müssen.

Kein Einzelfall

Die Ehefrau sei dabei kein Einzelfall. "Mittlerweile sind uns bereits weitere, ähnlich gelagerte Fälle bekannt. So betrifft die Frage die zahlreichen Menschen, die vor in ihrer unmittelbaren Nähe abgefeuerten Schüssen geflüchtet sind und sich beispielsweise in diversen Kellern in Sicherheit gebracht haben", teilte Brigitte Pongratz vom Weißen Ring mit. So musste beispielsweise ein Kellner stundenlang mit seinem angeschossenen Kollegen und Gästen in einem Lokal ausharren. Das Verbrechensopfergesetz greift in seinem Fall ebenfalls nicht.

Pongratz bekräftigte daher die Forderung, grundsätzlich alle Menschen, die sich während eines terroristischen Anschlags in unmittelbarer Nähe des Tatgeschehens befinden, hinsichtlich ihrer Opferrechte mit direkten Opfern von Gewalt gleichzustellen. Dabei vertritt der Weiße Ring die Ansicht, dass es die jetzige Rechtslage schon zuließe, das Verbrechensopfergesetz im Fall von Terroropfern anders zu interpretieren – und gar keine Gesetzesänderung nötig wäre, um diesen umfassend staatliche Hilfe zukommen zu lassen.

Darüber hinaus verlangt der Weiße Ring, dass ab sofort nicht nur in Fällen häuslicher Gewalt die Daten von Betroffenen seitens der Polizeibehörden an Gewaltschutzzentren und Interventionsstellen weitergegeben werden. In Fällen von situativer Gewalt – darunter fällt auch ein Terroranschlag – solle dies künftig auch geschehen, derzeit ist es nicht vorgesehen. In einem Brief an Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) hat der Weiße Ring darum gebeten, dass das geändert wird und die Polizei – sofern die Betroffenen zustimmen – die Daten von sich aus den Hilfseinrichtungen übermittelt. (APA, red, 19.11.2020)