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Kinder haben ein Recht auf körperliche Unversehrtheit und Schutz vor Gewalt. Nicht für jedes Kind bietet das eigene Zuhause jedoch ein geborgenes und sicheres Umfeld.

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Erste Studien, aber auch etliche Experten zeigen immer wieder auf, dass Kinder, Jugendliche und ihre Familien durch die Corona-Krise unter besonders großem Druck stehen. Viele Familien wohnen ohnehin auf beengtem Raum, die Schulschließungen haben die Situation weiter erschwert. Andere Kinder werden von wichtigen Bezugspersonen abgeschottet und sind damit psychisch kranken oder gewalttätigen Elternteilen hilflos ausgeliefert. Fakt ist: Schon vor der Corona-Krise war in Österreich jedes fünfte Kind armutsgefährdet. Die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus treffen nun aber vor allem Familien aus sozioökonomisch niederen Schichten besonders hart, und psychisch vorbelastete Familien werden nun noch stärker belastet.

Katrin Grabner, Kinderrechtsexpertin bei SOS-Kinderdorf, ist sich sogar sicher, dass in der aktuellen Situation etliche Kinderrechte verletzt werden: "Laut UN-Kinderrechtskonvention ist bei jeder öffentlichen Entscheidung das Wohl von Kindern und Jugendlichen vorrangig zu beachten. Das ist auch in der österreichischen Verfassung verankert." Konkret heißt das also, dass bei jeder Entscheidung abgewogen werden muss, was sie für junge Menschen bedeutet. In der aktuellen Corona-Krise sieht man laut Grabner aber sehr deutlich, dass dies nicht der Fall ist: "In der Politik spielen die Interessen und Rechte von Kindern eine sehr kleine Rolle, obwohl sie massiv von den aktuellen politischen Maßnahmen und Entscheidungen betroffen sind." Sie ist sich sicher, dass derzeit mehr Kinderrechte verletzt werden denn je.

Am Internationalen Tag der Kinderrechte, auch Weltkindertag genannt (20. November), hat Grabner einige Kinderrechte mit Bezug auf die Corona-Krise unter die Lupe genommen:

Recht auf Bildung

Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Bildung. Dieses wird nicht an der Schultür abgegeben, wenn die Schulen auf Distance-Learning umstellen. Auch in dieser Situation sind die Schulen verpflichtet, Schülerinnen und Schüler zu unterrichten. Diese Last darf nicht auf die Eltern abgewälzt werden. Leider ist das aber auch im zweiten Lockdown der Fall. Es scheint, als hätten die Verantwortlichen nichts aus dem ersten Lockdown gelernt. Es wurden zu wenige bis keine Vorkehrungen getroffen, in den Volk- und Mittelschulen fehlen Konzepte für den Unterricht zu Hause. Es genügt nicht, den Eltern mitzuteilen, welcher Lehrstoff zu vermitteln ist. Eltern sind keine Pädagoginnen und Pädagogen. Das ist kein Unterricht, wie er vom Gesetz vorgeschrieben ist.

Im Distance-Learning finden Kinder außerdem sehr unterschiedliche Bedingungen vor. Das wird die Ungleichheit in der Entwicklung, die sich schon nach dem ersten Lockdown abgezeichnet hat, weiter vertiefen. Besonders Kinder mit Lernschwächen, in beengten Wohnverhältnissen oder mit schlechter technischer Ausstattung werden im Lernfortschritt weiter zurückfallen – bis sie womöglich komplett den Anschluss verlieren. Auch die Vorortbetreuung an Schulen kann nur bedingt Abhilfe schaffen, wird sie doch sehr unterschiedlich gehandhabt.

Das Recht auf Bildung, insbesondere auf Chancengleichheit und Zugang zu Bildung nach Artikel 28 der Kinderrechtskonvention, ist daher für viele Kinder und Jugendliche massiv eingeschränkt oder verletzt.

Kinderrechtlich bedenklich ist auch der Umgang mit den Kindergärten: dass diese elementare Bildungseinrichtungen sind, wird einfach ignoriert. Stattdessen werden sie seit Anbeginn der Corona-Krise auf reine Betreuungsstätten reduziert.

Recht auf Spiel und Freizeit und Recht auf gesellschaftliche Teilhabe

Kinder werden derzeit oft "nur" als Schülerinnen und Schüler betrachtet. Vor allem sind sie aber Kinder. Als diese haben sie ein Recht darauf, zu spielen, gefördert zu werden und sich bestmöglich zu entfalten. Dem gegenüber steht, dass Kinder und Jugendliche derzeit bereits zum zweiten Mal dieses Jahr auf viele wichtige Orte wie Jugendzentren, Sporteinrichtungen oder Vereine verzichten müssen, die sie aber für Austausch, soziales Lernen und ihre Persönlichkeitsentwicklung dringend brauchen. Sie sehen ihre Freunde und Teile der Familie nicht und müssen mit einem neuen Alltag klarkommen. Dadurch ist das Recht auf Spiel und Freizeit massiv eingeschränkt.

Recht auf Gleichheit und bestmögliche Entwicklung

Die Krise trifft Kinder und ihre Familien unterschiedlich hart. Schon vor der Corona-Krise war in Österreich jedes fünfte Kind armutsgefährdet. Rund 20 Prozent leben in beengten Wohnverhältnissen, in denen sie zudem über keine private Freifläche wie Balkon oder Garten verfügen und oft keinen ruhigen Platz zum Lernen haben. Zahlreiche Familien müssen zudem aufgrund von Arbeitslosigkeit, Umsatzausfällen oder Kurzarbeit mit reduzierten Einkommen zurechtkommen.

Leider ist mit einer zusätzlichen Verschärfung der Lage zu rechnen, sobald kurz- und mittelfristige Maßnahmen wie die vorübergehende Aussetzung von Mieten und Delogierungen oder Hilfszahlungen auslaufen. Maßnahmen zur Erhöhung der Chancengleichheit und Bekämpfung der Kinderarmut werden daher umso wichtiger werden.

Recht auf Gesundheit

Die Beratungsgespräche bei unserem kostenlosen Notruf Rat auf Draht zeigten in den vergangenen Monaten massive Auswirkungen der Krise auf das Wohlbefinden und die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Kinder und Jugendliche äußern vielfach Ängste und Sorgen um die Gesundheit, den Arbeitsplatz der Eltern, das Familieneinkommen oder den schulischen Erfolg, fühlen sich überfordert oder haben Schlafprobleme.

Junge Menschen haben wenige Erfahrung mit der Bewältigung von Krisen. Sie stecken mitten in ihrer Entwicklung und erleben nun in der Phase ihres Lebens, in der sie die Fühler ausstrecken und sich orientieren, ein Jahr der maximalen Orientierungslosigkeit. Das belastet. Lerndefizite und Ängste um den Schulabschluss oder um Jobchancen gesellen sich zu Einsamkeit und Perspektivenlosigkeit.

Erschwerend kommt hinzu, dass Kinder und Jugendliche, die schon zuvor psychische Probleme hatten, während der Krise nur eingeschränkt Unterstützung und keine oder kaum Therapien erhalten. Entsprechend stiegen auch die Beratungen zu psychischen Erkrankungen und Suizidgedanken. Österreichweit fehlten bereits vor der Corona-Krise circa 70.000 kassenfinanzierte Therapieplätze für Kinder. In manchen Bundesländern gibt es nach wie vor keinen Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie mit Kassenvertrag. Es ist davon auszugehen, dass der Bedarf aufgrund Krise weiter steigen wird.

Recht auf Schutz vor Gewalt

Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Schutz vor Gewalt und auf eine gewaltfreie Erziehung. Doch Isolation auf engem Raum, Überforderung und Existenzängste machen aus der Corona-Krise schnell eine Familienkrise. Wenn die Luft in den eigenen vier Wänden dick wird und die Nerven blankliegen, können Auseinandersetzungen schnell eskalieren.

Wie wir aus unserer letztjährigen Studie wissen, standen 88 Prozent der Familien schon unter normalen Zeiten unter Druck. Während der Corona-Krise hat die Konflikthäufigkeit in rund einem Viertel der Familien zugenommen. Besonders betroffen sind Kinder von Alleinerziehenden sowie Familien mit mehreren Kindern, die häufiger auch in beengten Wohnverhältnissen leben. Rat auf Draht verzeichnete seit Beginn der Krise eine deutliche Zunahme der Beratungen rund um die Themen familiäre Konflikte und (insbesondere psychische, aber auch physische) Gewalt in der Familie.

Durch die Bewegungseinschränkungen und die Verminderung der sozialen Kontakte fehlen wichtige Bezugspersonen im Umfeld von Kindern und Jugendlichen, denen auffallen würde, wenn es den jungen Menschen nicht gutgeht, zum Beispiel Bezugspersonen in Kindergarten und Schule, Freunde und Verwandte. Während des ersten Lockdowns gab es weniger Gefährdungsmeldungen bei den Jugendämtern, was auf eine hohe Dunkelziffer schließen lässt. Umso wichtiger sind niederschwellige und auch digital zugängliche Beratungsstellen wie Rat auf Draht.

Schockierende Zahlen weltweit

Laut der Hilfsorganisation Save the Children wächst fast jedes fünfte Kind in unmittelbarer Nähe eines bewaffneten Konflikts auf. 426 Millionen unter 18-Jährige lebten demnach 2019 in Konfliktgebieten. "Hinter den nackten Zahlen verbergen sich schreckliche Kinderschicksale", wird Susanna Krüger zitiert, Vorstandsvorsitzende der Hilfsorganisation in Deutschland.

Dem Bericht zufolge wurden seit 2010 durchschnittlich 25 Kinder pro Tag verstümmelt oder getötet. Zu den gefährlichsten Ländern für Kinder gehörten 2019 demnach Afghanistan, der Irak und Syrien aber auch afrikanische Staaten wie der Kongo, Mali oder Nigeria. Eine Rangfolge sei aufgrund der Datengrundlage nicht möglich.

Die Gesamtzahl der in Konfliktgebieten lebenden Kinder erreichte 2019 den zweithöchsten Wert der Erhebung, hinter 2017 mit 433 Millionen. Langfristig wird ein deutlicher Zuwachs verzeichnet: 1990, im ersten Jahr der Erfassung lebten rund 249 Millionen Kinder in Konfliktgebieten.

Besonders häufig wurde Kindern 2019 laut Bericht der Zugang zu humanitärer Hilfe verweigert. Mehr als 4.400 Mal sei das der Fall gewesen – fast dreimal so häufig wie 2017 – zuvor das Jahr mit den meisten Fällen. Der starke Anstieg gehe zu weiten Teilen auf den Jemen zurück.

Die Untersuchung wurde von Friedensforschern des norwegischen Prio-Instituts durchgeführt. Sie stützt sich auf Daten von Konfliktforschern der Universität Uppsala in Schweden sowie auf Bevölkerungszahlen etwa von der UNO. (red, APA, 20.11.2020)