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AfD-Abgeordnete hielten bei der Rede von Gesundheitsminister Jens Spahn Protestkärtchen hoch – offenbar schleusten sie auch Menschen in den Bundestag, um zu stören.

Foto: Reuters / FABRIZIO BENSCH

Peter Altmaier blieb ruhig. "Sie dürfen gerne demonstrieren, aber ich habe mein freies Gewissen", sagt der deutsche Wirtschaftsminister zu einer Frau, die ihn am Gang des Deutschen Bundestages beschimpft, weil er seine Zustimmung zum umstrittenen Infektionsschutzgesetz geben will. Dann steigt der CDU-Mann in den Lift und bekommt nachgekeift: "Sie sind abgehoben. Sie haben überhaupt kein Gewissen." Und: "Das ist ja ein Arschloch. Aufgeblasener kleiner Wanna-be-König."

Zu sehen ist diese Szene auf einem Video, das derzeit in den sozialen Netzwerken kursiert. Bei der "Besucherin" handelt es sich um die rechte Aktivistin Rebecca Sommer, und nun stellt sich in Berlin die große Frage: Wie kam diese Person in den Bundestag? Und wie haben es weitere Störer ins Innere des Gebäudes geschafft?

Regelung aufgehoben

Normalerweise dürfen Abgeordnete sechs Besucher mitbringen. Diese dürfen sich aber nicht frei bewegen, sondern müssen in Begleitung der Abgeordneten bleiben. Doch diese Regelung hatte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) für den Mittwoch aus Sicherheitsgründen aufgehoben, denn an diesem Tag stand nicht nur in Bundestag und Bundesrat die Abstimmung über das Infektionsschutzgesetz auf der Tagesordnung, im Regierungsviertel waren Demonstrationen gegen die Corona-Politik der Bundesregierung angemeldet.

Mehrere Abgeordnete berichteten dann jedoch, dass sie während der Sitzung im Reichstagsgebäude von unbekannten Störern angesprochen und unter Druck gesetzt worden seien. "In den #Bundestag eingeschleuste Personen haben unter anderem versucht, in Büros einzelner Abgeordneter einzudringen", twitterte die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Katja Mast. "Ich bin fassungslos. Frei gewählte Abgeordnete an Abstimmungen zu hindern und zu bedrängen ist das Allerletzte. Das Ziel: die Demokratie zersetzen."

Vorwurf gegen AfD

Auch der FDP-Abgeordnete Konstantin Kuhle erklärte, er habe die gleiche Frau getroffen, sie habe ihn gefragt, wie er abstimmen werde. Kuhle sprach auch aus, was schnell vermutet worden war: Dass die AfD die Leute ins Parlament geholt habe: "Die AfD hat Personen ins Reichstagsgebäude eingeschleust, die Abgeordnete bedrängen und ihnen die Handykamera ins Gesicht halten. Ich empfinde diese Versuche der Beeinflussung des Abstimmungsverhaltens als absolut unerhört. Das gehört unterbunden."

Der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Bernd Baumann, erklärte zwar, man habe davon keine Kenntnis. Ein solches Eindringen, "das darf gar nicht sein, davon distanzieren wir uns", sagt er. Doch später bestätigte der AfD-Abgeordnete Udo Hemmelgarn dem "Spiegel", dass er etwa den Verschwörungstheoretiker und Publizisten Thorsten Schulte und eine Fotografin eingeladen habe. Er sagte, den Gästen aber vor Zeugen erklärt zu haben, dass er keine Aufnahmen außerhalb seines Büros und keine kompromittierenden Videos wolle. Schulte selbst bestätigte auf seinem Telegram-Kanal, dass er sich im Reichstagsgebäude aufgehalten habe.

Laut ARD hat Rebecca Sommer über das Büro des AfD-Abgeordneten Petr Bystron Zugang zum Bundestag bekommen. Am Donnerstag befasste sich der Ältestenrat im Bundestag mit dem Vorfall. Konsequenzen fordert der innenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Mathias Middelberg: "Wer Personen in den Bundestag einschleust, die nicht 'besuchen', sondern agitieren sollen, muss scharfe Konsequenzen spüren", sagt er und verlangt, den betreffenden Abgeordneten den Empfang von Besuchern im Bundestag bis zum Ende der Wahlperiode zu verbieten. (Birgit Baumann aus Berlin, 19.11.2020)