Circle mit Frontmann und Bassist Jussi Lehtisalo (Dritter von links).

Foto: Circle

Heute geht es nach Finnland, ein Land, in dem auf viel Licht (Mitternachtssonne) noch mehr Schatten folgt (Polarnacht). Man sollte dort trotz dunkler Gedanken vor allem in der feucht-fröhlichen Sauna darauf achten, nicht den Humor zu verlieren. Wer einmal in einem finnischen Plattengeschäft war, hat schnell bemerkt, dass der Finne dies in der Schnittmenge beider Welten, also im Genre des Metal, alles sehr ernst nimmt. Deshalb wird das kabarettistische Element mitgedacht.

Auch der knapp 50-jährige Musiker Jussi Lehtisalo vertritt mit seinem wechselnden Musikerkollektiv Circle sowie diversen Nebenprojekten wie Ektroverte oder Pharaoh Overlord diesen Ansatz. Vor allem auch, weil zwischen Erhabenheit und Lächerlichkeit ein kathartischer Fluchtpunkt versteckt liegt. Der offenbart sich dem Betrachter nur selten. Man muss dazu auf etwas aus der Form geratene Männer blicken, die behaupten, Metalmusik ernst zu nehmen, aber gleichzeitig in lächerlichen und zu kleinen Spandexhosen stecken.

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Zu Heavy Metal kann man bekanntlich nicht gut tanzen. Circle praktizieren beides. Man kann zu Metal dafür maskulin die Faust schwingen oder sich wie King Kong auf die Brust klopfen und dabei ein wenig toxische Männlichkeit transpirieren. Man kann zu Metal sehr gut das Haupthaar schütteln und headbangen. Das ist aber nicht wahnsinnig gesund, weil dadurch die Synapsen ein wenig durcheinanderkommen und man ohne fremde Hilfe eventuell nicht mehr zurück nach Hause findet. Ja, selbstverständlich kann man auch ohne Haupthaar headbangen.

Circle bedeutet seit Anfang der 1990er-Jahre reinste Weltflucht. In deren spirituellem Zentrum stehen Nietengürtel oder besagte identitätsstiftende Spandexhosen. Die Zunge von Gene Simmons trifft auf 1980er-Jahre-Metal von Iron Maiden oder Judas Priest. Gleichzeitig wird das Genre liebevoll lächerlich gemacht: Man erinnere sich an die legendäre Mockumentary This is Spinal Tap, speziell den Song Lick My Love Pump. Jussi Lehtisalo sieht seine Kunst als Aufarbeitung peinlicher Musiken. Circle unterziehen sich Reinigungsakten.

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Der Sprung in der Schüssel rockt aber auf mittlerweile über 50 Alben auf dem hauseigenen Label Ektro nicht nur die damalige "New Wave of British Heavy Metal" in die Freiheit. Im Werkkatalog finden sich neben Hauptwerken wie Terminal von 2017 auch Versuche in cheesigen Keyboardimprovisationen, repetitiver Krautrock im Stile von Can oder Neu!, Progressive Rock oder monolithischer Spacerock von Vorbildern wie Spacemen 3 oder Loop. Zwischendurch hört man grauenhaften Formatradiorock, durchgeknallten Folk, jazziges Gedudel oder brutalen Death Metal unter dem Titel Stench of Decay.

Die spinnen, die Finnen!

Nach Anfängen im Grungerock während der 1990er-Jahre und schamanistischen Bodypaintingritualen sowie freier Bandimprovisation hält unser Spaßvogel Jussi Lehtisalo derzeit mit seiner Zweitband Pharaoh Overlord ein besonders gemeines Ass im Ärmel. Lehtisalo produziert gemeinsam mit Circle-Schlagzeuger Tomi Leppänen nach einer stilistischen Zickzackbewegung parallel zu Circle schwelgerische Synthesizermusik.

Rocket Recordings

Das Duo hat nicht nur den 1980er-Flokati-Meditationssound von Tangerine Dream entdeckt – oder die Soundtracks von John Carpenter zu dessen Filmen. Pharaoh Overlord erwähnen auch Abba in der Voulez-Vous-Scheidungsphase, Munich-Disco-Held Giorgio Moroder, Kraftwerk oder knalligen italienischen Pop als Einflüsse.

Die Sache hat nur einen Haken. Der Gesang wird von Aaron Turner beigesteuert. Der grunzt und röchelt seine Endzeit-Lyrics hauptberuflich bei US-Schwarzsehern wie Isis oder Old Man Gloom. Die Ironie dabei: Man kann zu Metal ja doch tanzen. Man muss Höllengurgler nur mit bunten Fingerfarben übergießen und in ein Autodromwagerl setzen. Das Album von Pharaoh Overlord titelt 6. Die spinnen, die Finnen! (Christian Schachinger, 20.11.2020)