Nach dem Anschlag auf die Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" wurde der Zeichenstift zum Symbol gegen den Terror: Gerhard Haderers Cartoon entstand unmittelbar nach der Tat.

Gerhard Haderer, 2015

Im Oktober wurde an einer Schule eines Pariser Vororts der Pädagoge Samuel Paty von einem Islamisten ermordet. Der Geschichtslehrer hatte mit seinen Schülern über Meinungsfreiheit sprechen wollen und zu diesem Zweck Mohammed-Karikaturen der Satirezeitschrift Charlie Hebdo gezeigt. Um ihre religiösen Gefühle zu respektieren, hatte er es den Schülern freigestellt, zu bleiben oder den Raum zu verlassen. Es half nichts. Durch die Empörung eines Vaters im Netz motiviert, schritt ein Jihadist brutal zur Tat.

Das offizielle Frankreich trauert seither nicht nur, sondern will auch Stärke zeigen. Die Schulen, an denen die brennenden Themen unserer Zeit kumuliert verhandelt werden – neben Islamismus und Migration auch Geschlechterdiskurse, Fake-News oder die Klimakrise –, sollen als geschützte Orte der offenen Gesellschaft unbedingt verteidigt werden. Nun wollen die französischen Regionen ein Buch erarbeiten lassen, das religiöse und politische Karikaturen versammelt, und es in großer Zahl an Gymnasien verteilen.

Medienkompetenz stärken

Die richtige Antwort? "Auf jeden Fall!", meinen die Betreiber der Linzer Kulturinitiative Schule des Ungehorsams, kurz SchuDU. Sie müssen es wissen, denn das vom Karikaturisten Gerhard Haderer, seinem Sohn Christoph und dessen Partnerin Julia gegründete Projekt engagiert sich seit Jahren für den Einsatz von Karikatur und Satire im Bildungsbereich – bis vor kurzem mit einem Ausstellungs- und Diskursraum in der Linzer Tabakfabrik, nunmehr als örtlich ungebundenes Angebot. Mit dem Ziel, Meinungsfreiheit im In- und Ausland sowie zivilen Ungehorsam und demokratische Protestkultur zu fördern, veranstaltet die SchuDU beispielsweise Ausstellungen verfolgter Künstler wie aktuell Die Welt der Frau mit Werken der ägyptischen Karikaturistin Doaa El-Adl in Deutschland.

Der Mord an Samuel Paty macht Christoph und Julia Haderer "fast sprachlos", wie sie sagen: "Es ist traurig, dass jemand als einzige Antwort auf eine vermeintliche Kränkung mordet, anstatt, wie in freien Gesellschaften üblich, mit Argumenten gegenzuhalten." Daran sehe man aber, "wie wichtig es ist, im Unterricht das Recht auf freie Meinungsäußerung zu behandeln. Der Umgang mit Bildern fällt unter Medienkompetenz. Die wird gerade in Zeiten von Deep Fake immer wichtiger."

Workshops ohne Mohammed

Neu im Angebot haben die SchuDU-Betreiber daher einen Workshop zum Thema Karikatur, der von Schulen gebucht werden kann. Durch die Pandemie wurde das Projekt leider etwas ausgebremst, die Unterrichtsmaterialien können aber auch online eingesehen werden. Gemeinsam mit den Schülern werden unterschiedlichste Karikaturen analysiert und diskutiert, thematisch von Corona über Klimawandel bis hin zu Politik und Religion. Man versuche, die Themen herauszufiltern, die die Schüler interessieren und beschäftigen.

Mohammed-Karikaturen werden in dem Workshop keine gezeigt. "Wir thematisieren die Debatte. Allerdings haben wir bisher die konkreten Cartoons nicht gezeigt, da sie für den Prozess nicht notwendig waren und die Schüler die Zeichnungen ohnehin bereits aus Social Media kannten", sagen Christoph und Julia Haderer. Es bestehe die Gefahr, dass man einseitig punziere und auf einen Mohammed-Karikatur-Workshop reduziert werde. Die Vielfalt der Auseinandersetzung, die einem Cartoons böten, würde das untergraben.

Für die blasphemische Karikatur selbst wollen die Haderers aber dennoch eine Lanze brechen: "Charlie Hebdo setzt sich selbst nach dem Anschlag 2015 bedingungslos für Meinungsfreiheit ein und verdient großen Respekt und jede Unterstützung." Es seien nicht die Zeichnungen, die Menschenleben gefährdeten. "Zeichnungen töten nicht. Und ja, es muss sein. Provokation ist manchmal notwendig, um eine Diskussion anzuregen."

Diskussion überfällig

Wie aber ist es möglich, dass der Widerstand der katholischen Kirche gegen blasphemische Satire weitgehend verschwunden ist, während die islamische Abwehrhaltung Terror und gewalttätigen Protest gebiert?

Die SchuDU-Betreiber versuchen es mit einem Vergleich, bei dem sie auch islamische Glaubensvertreter in die Pflicht nehmen: Vor knapp 20 Jahren löste Gerhard Haderers Buch Das Leben des Jesus eine heftige Debatte aus. In Griechenland wurde er dafür in erster Instanz wegen "Störung der öffentlichen Ordnung" verurteilt und die Bücher beschlagnahmt. In Österreich kam es zu Anzeigen wegen Blasphemie und zu Morddrohungen.

"Der Unterschied besteht nun vielleicht darin, dass sich daraufhin ein Oberhaupt der katholischen Kirche bereiterklärt hat, mit Gerhard Haderer über das Buch zu diskutieren, und zwar öffentlich vor Publikum. Es ist uns bisher nicht bekannt, dass sich ein islamisches Oberhaupt mit Charlie Hebdo getroffen hat, um zum Beispiel über die Mohammed-Karikaturen zu diskutieren." (Stefan Weiss, 20.11.2020)