Europaweit steigt wegen der wirtschaftlichen und sozialen Folgen der zweiten Welle der Corona-Pandemie der Druck. Konfrontationen nehmen an Schärfe zu, innerhalb wie außerhalb der Parlamente, in privaten Runden.

Kein Wunder: Der Zorn, die Angst der Menschen, Verzweiflung über die eigene existenzbedrohende Lage sind oft allzu berechtigt. Auch Parteien nehmen diese Emotionen auf.

Wenn Regierungen versagen, wenn Hilfe nicht oder zu spät ankommt, wenn man – so wie Türkis-Grün in Österreich – zaudert, bis da und dort nun wieder Gesundheitssysteme in die Knie gehen, bläst den Mächtigen nur zu Recht der Wind ins Gesicht. Die liberale Demokratie lebt von harter Kritik und konstruktiver Auseinandersetzung gleichermaßen. Das zu tun ist eine extrem wichtige Aufgabe jeder Opposition.

Europaweit steigt wegen der wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Pandemie der Druck.
Foto: APA/HARALD SCHNEIDER

Das ist schon in normalen Zeiten schwierig genug. Denn anders als die Regierung verfügen die Oppositionsparteien nicht über die vielfältigen Möglichkeiten und Gelder der großen staatlichen Apparate. Das oft einzige und schärfste Instrument, um sich Gehör zu verschaffen und die Bürger zu überzeugen, sind für Oppositionelle die Sprache und die besseren Ideen. Die Sprache ist es auch, die erste Hinweise gibt, ob eine Opposition in Notzeiten von Corona gute Arbeit macht. Oder ob uns nach der Viruswelle eine gefährliche Populismuswelle ins Haus steht, Kompromissfähigkeit verlorengeht.

Grundrechtseingriffe

Dafür gibt es europaweit erste Anzeichen. Beispiel Deutschland: Dort will eine große Koalition von Christ- und Sozialdemokraten, bisher moderat bei Grundrechtseingriffen, per Gesetz Infektionsschutzmaßnahmen setzen können.

Dennoch verdammte der FDP-Chef sie in Bausch und Bogen, warf ihr "reinen Aktionismus" vor. Ein Gegenkonzept blieb er schuldig. Die extrem Rechten von der AfD setzten prompt eins drauf: Sie verglichen das Gesetz mit Hitlers "Ermächtigungsgesetz" von 1933. Nicht wenige Bürger greifen die Radikalisierung rund um die Corona-Krise auf.

Als Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger das Corona-Paket mit "Kriegsrecht" verglich, blitzte diese Gefahr auch in Österreich auf. Eine kluge Opposition macht so etwas nicht. Sie sollte moderat reden, konstruktiv bleiben. Wenn der FPÖ-Klubchef die Regierung als "Verantwortungsflüchtlinge" beschimpft, ist klar, was er will: spalten und polarisieren. Wir brauchen aber breit getragene Lösungen und eine Regierung, die das will. (Thomas Mayer, 20.11.2020)