Wenn ich nach "Terror Wien Täter" google, führt mich der erste Eintrag zu einer Wikipedia-Seite, die den vollen Namen des mutmaßlichen Täters nennt (auf die ich hier nicht verlinke, weil ich der Meinung bin, dass man Namen von [mutmaßlichen] Terroristen nicht nennen soll; "Oaschloch" gefällt mir hier besser).

Wenn ich nach "Terror Wien OE24" google, führt mich einer der ersten Treffer (auf den ich nicht verlinke, weil ich der Meinung bin, dass man Bilder von Terroristen nicht zeigen soll) auf einen reißerisch aufgemachten Artikel mit großem Foto des mutmaßlichen Attentäters von Wien, ausgestattet mit gezückter Pistole, Gewehr und Machete. Er ist darauf genau so abgebildet, wie ich vermute, dass er uns in Erinnerung bleiben wollte. Viele Tage nach der Diskussion über Terrorfotos im Netz.

Wenn ich (mithilfe des genannten Wikipedia-Eintrags) nach dem vollen Namen des mutmaßlichen Täters google, erzeugt das 498.000 Treffer, darunter 33.300 Videos. 33.300. Ich habe mir keines davon angesehen, bin aber fast sicher, dass es nicht lange gedauert hätte, eines zu finden, in dem man die Tötungshandlungen in Wien, bewegt und in Farbe, sehen kann - die Bildersuche zeigt unmittelbar entsprechende Standfotos an.

Wenn ich (oder meine Kinder) - aus Unachtsamkeit oder bewusst - statt auf Wikipedia auf Metapedia lande(n), lese ich dort beim Eintrag zu Hitler in einem Kapitel über "Hitler und der Weltjudaismus", Hitler habe den Holocaust nicht geplant und Kurt Tucholsky habe sich schließlich auch für Vergasungen ausgesprochen.

Sucht man, wiederum ausschließlich unter Verwendung von Google nach Martin Sellners Videokanal (auf den ich nicht verlinke, weil ich der Meinung bin, dass man mit Identitären nicht diskutieren kann), dann lande ich, nach Überspringen des ersten Treffers "Fellner TV", in dem Herr Fellner mit Herrn Sellner diskutiert, schnell bei einem Link auf einer Videoplattform (nicht [mehr]: Youtube), in dem das identitäre Weltbild in zahllosen Videos weiterhin in voller Länge gezeigt wird, als habe es "Deplatforming" nie gegeben.

Hass im Netz

Das alles ist, wer will es bestreiten, Hass im Netz. Jedoch: Kaum etwas davon wird ausgerechnet durch das Kommunikationsplattformen-Gesetz, dessen Regierungsvorlage am 18.11.2020 präsentiert wurde, und das sich gegen "Hass im Netz" richten soll, verschwinden.

Der Vorschlag definiert zwar in den Erläuterungen "Hass im Netz" denkbar ungenau als "Beleidigungen [...] Bloßstellungen, Falschinformationen, bis hin zu Gewalt- und Morddrohungen" - als wäre Hate Speech dasselbe wie Fake News -, will aber trotz dieser Unschärfen schon am Beginn jedenfalls weitreichende Verpflichtungen für "Anbieter von Kommunikationsplattformen" schaffen, die Hass im Netz nicht unterbinden.

Ist das schon Hass?
Foto: Nikolaus Forgó

Betreiber von Plattformen werden sehr schnell sicherstellen müssen, dass sie bei offensichtlicher Rechtswidrigkeit spätestens (!) binnen 24 Stunden, bei einfacher Rechtswidrigkeit spätestens (!) binnen sieben Tagen reagieren und rechtswidrige Inhalte entfernen. Sonst drohen drakonische Strafen (bis zu zehn Millionen Euro). Offensichtlich rechtswidrig ist ein Inhalt übrigens dann, wenn seine Rechtswidrigkeit "bereits für einen juristischen Laien ohne weitere Nachforschungen offenkundig" ist.

Jedenfalls Ausnahmen

Dazu ein Gedankenspiel: Welches der oben genannten Beispiele ist offensichtlich rechtswidrig, welches einfach, welches vielleicht gar nicht? Darüber entscheiden dann, nach dem Willen der Regierung, demnächst kommerziell operierende Privatunternehmen unter Zeitdruck (mit einer behördlichen nachprüfenden Kontrolle, die weitere Probleme aufwirft, die ich hier nicht behandeln kann).

Aber, eben nicht alle Plattformanbieter sollen verpflichtet sein. Voraussetzung für die Verpflichtung ist zunächst das Anbieten der Plattform "mit Gewinnerzielungsabsicht". Freizeitnazis bleiben also außen vor.

Ebenso ungeregelt bleiben kleine Plattformanbieter, solange sie nur klein genug sind, und große, nicht gewinnorientierte (von denen es zahllose im Netz gibt, die jede sofort finden kann und auf die ich aus den genannten Gründen hier trotzdem nicht verlinke), solange sie auf Registrierungen verzichten - denn weniger als 100.000 registrierte Nutzer und weniger als 500.000 Euro Vorjahresumsatz führen zur Nichtanwendbarkeit des Gesetzes. Wer dann größer wird, wird voll erfasst. Plattformrecht als Markteintrittshürde.

Und dann ist da noch § 2 Abs. 3 des Entwurfs. Der nimmt Plattformen, deren Hauptzweck in der Bereitstellung nicht gewinnorientierter Online-Enzyklopädien besteht, Bildungs- und Lernplattformen zur Wissensvermittlung und Inhalte, die von Medienunternehmen in unmittelbaren Zusammenhang mit ihren journalistisch gestalteten Inhaltsangeboten angeboten werden, jedenfalls von den Verpflichtungen nach diesem Bundesgesetz aus. Es war dem Normgeber so wichtig, beispielsweise Wikipedia, SchoolFox und das STANDARD-Forum auszunehmen, dass er diese Aussage sogar mit "jedenfalls" bestärkt hat. Außen vor bleiben damit aber (wohl) auch, zum Beispiel, Metapedia, Lernsieg und Leserforen auf OE24 oder der Aula (wenn es die noch gäbe).

Diskussion für Europa

Erwähnenswert ist auch noch § 2 Abs. 4 des Entwurfs, der sagt "Diensteanbieter von Video-Sharing-Plattformen [...]  sind [...] von den Verpflichtungen dieses Bundesgesetzes ausgenommen." Damit entfällt YouTube - und mit ihm entschlüpfen die kleineren und hässlicheren Videoplattformen aus den schmutzigen Ecken des Internet - als Normadressaten; aus Sicht der Regierung aus europarechtlichen Gründen. Nicht ausgenommen sind hingegen die (schriftlichen) Kommentare zu eben diesen Videos. Das freut vor allem die Juristinnen und Juristen, die auch hier die großen und die kleinen Unternehmen dahingehend beraten werden können (und müssen), wie denn, zum Beispiel, mit einem animierten Meme als Kommentar umzugehen ist (eher Video oder eher Text?).

Man kann über die Sinnhaftigkeit aller dieser Regeln und ihrer Ausnahmen selbstverständlich diskutieren. Jede Regel und jede Ausnahme hat dabei zwischen den unterschiedlichsten Grundrechtspositionen und Interessen sorgfältig abzuwägen. Dazu sind im Begutachtungsverfahren zum Ministerialentwurf eine Vielzahl von Stellungnahmen eingegangen, die zum Teil ganz erhebliche Bedenken - insbesondere zur Europarechtswidrigkeit und zur Schädlichkeit für innovative österreichische Unternehmen - vorgetragen haben, die in der Regierungsvorlage und ihrer Begründung nicht alle widerlegt werden.

Sicher ist das alles gut gemeint. In vielen Richtungen ist aber weiter schon strittig, was hier europarechtlich verboten und was geboten ist - mit anderen Worten: was in Österreich überhaupt geregelt werden darf. Europa muss nämlich verhindern, dass das Internet und die Regeln für Plattformanbieter im niederösterreichischen Mistelbach anders aussehen als im bayrischen Rosenheim, im französischen Rennes oder im kroatischen Opatija. Auch deshalb ist eins wichtig: Das Internet kennt keine Grenzen. Österreich ist keine Insel. Der richtige Ort dieser Debatte ist Europa. (Nikolaus Forgó, 23.11.2020)

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