Ulrike Almut Sandig, "Monster wie wir". 22,70 Euro / 240 Seiten. Schöffling-&-Co-Verlag, 2020

Wie macht man das Unfassbare fassbar? Wie verdeutlicht man die Folgen von Misshandlung, Gewalt und sexuellem Missbrauch? Wie findet man für diese Ungeheuerlichkeiten eine Sprache?

Ulrike Almut Sandig hat sich für ihren Debütroman einiges vorgenommen. Monster wie wir erzählt von einer Jugendfreundschaft zwischen Ruth und Viktor, die in der sächsischen Provinz nahe des Kohlebergbaus aufwachsen: "Nirgendwo einer ostdeutschen Pampa".

Das Aushöhlen der Erde, das Umgraben der Landschaft, die Zerstörung der Natur bieten den metaphorischen Raum für das, was in diesem Roman so meisterlich verhandelt wird: die Aushöhlung der Seele.

Es sind die ausgehenden Siebziger, die letzten Jahre der DDR und die Zeit nach der Wende, in denen die Geschichte spielt, die anfänglich leicht daherkommt wie ein Coming-of-Age-Roman. Was vor allem an Sandigs Können liegt, nicht mit der Tür ins Haus zu fallen, sondern das allgegenwärtige Unheil für die beiden Kinder in eine Sprache des Herantastens und spielerischen Verdrängens zu verpacken.

Kinder verstehen intuitiv, wenn ihnen etwas Grenzüberschreitendes angetan wird. Allerdings können sie es nicht benennen. Die Gewalt wird Teil des Alltags, der Sprache, wie auch das Verdrängen des Schmerzes. Es ist ein suchender Umgang mit der Unerträglichkeit dieser Situation, die man nicht wahrhaben will und ihr mit unterschiedlichen Verdrängungsstrategien begegnet. In der Geschichte sagt die junge Ruth: "Wenn man nicht darüber spricht, ist es nicht geschehen. So und nicht anders hatten wir es gelernt."

Die Gewalt hat Tradition

Die mittlerweile erwachsene und vielfach versehrte Ruth erzählt die Geschichte im Rückblick – und zwar an die Adresse ihres finnischen Freundes Voitto, der auf einer weiteren Ebene Teil des Kernthemas ist. Dennoch bleibt ihre Sprache in vielerlei Hinsicht die der damaligen Ruth, die in einem Umfeld der Gewalt und Lieblosigkeit aufwächst.

"Alles beginnt damit, eine Ohrfeige für das natürliche Ende eines Gesprächs zu halten." Ihr Vater, ein Pfarrer, schlägt seine Frau. Ruth selbst wird von ihrem Großvater missbraucht. Viktor, der Sohn eines NVA-Offiziers und einer Ukrainerin, wird vom Freund der Schwester misshandelt. Die Gewalt hat Tradition in der Umgebung der Familien.

Unterschwellig werden hier die Traumata der DDR-Gesellschaft thematisiert, die unter der staatlichen Doktrin des Antifaschismus tabuisiert wurden. Die tiefgehenden Folgen der Nazizeit und des Krieges beim Übergang in den nächsten autoritären Staat schlugen in Form von häuslicher Gewalt und Missbrauch Bahn, was auch Ines Geipel in ihren Büchern über die seelischen Verwundungen Ostdeutschlands eindrücklich beschreibt.

Klang und Rhythmus

Es ist das Ringen um eine bildhafte und klingende Sprache, die das Unfassbare bei Sandig assoziativ begreifbar macht, eine Sprache, die das Erlebte in Klang und Rhythmus transzendiert. Der Gang durch diese tönende Landschaft der Lieblosigkeit ist kein leichtes Unterfangen, weil Sinne und Emotionen über die Maßen strapaziert werden.

Dennoch bleibt die Geschichte zugänglich, was an Sandigs bildhafter Sprache und der Vielfalt der literarischen Einfälle liegt. In kindlicher Manier beschreibt sie die Gewalttäter wie den Großvater als Vampire und andere Monster, die in die Kindheit einbrechen und sie zerstören.

So sagt Ruth an anderer Stelle zu ihrem Bruder: "Weißt du eigentlich, was passiert, wenn tief unter uns was rutscht? Ich wusste es nicht, und Fly sagte: Dann gibt’s einen Wirbel. Einen kleinen, aber heftigen Wirbel. Der zieht dich in die Tiefe, bevor du überhaupt schreien kannst."

Um diesen Wirbel zu entfliehen, hängt sich Ruth ins Geigenspiel, wird Musikerin. Viktor trainiert seinen Körper. "Wer dich fürchtet, kann dich nicht ficken." Er wird zum gefürchteten Neonazi. Erst als er als Au-pair in Frankreich landet, beginnt das Umdenken. Die Gewalterfahrung begleitet die beiden Jugendfreunde weiterhin und macht ihr Schattenleben zur täglichen Tortur. (Ingo Petz, ALBUM, 21.11.2020)