Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

PRO: Fußball ist kein Turmspringen

von Philip Bauer

"Was wollen Sie von mir? Wollen Sie eine erfolgreiche Weltmeisterschaft, oder wollen Sie, dass wir mit schönem Fußball ausscheiden?" Ja, der deutsche Nationalspieler Per Mertesacker reagierte gereizt, als man ihm kurz nach dem WM-Achtelfinale 2014 gegen Algerien auf das schwerfällige Umschaltspiel ansprach. "Mir völlig wurscht". Zu Recht. Eine Woche später zerlegte Deutschland Gastgeber Brasilien mit 7:1. Weitere fünf Tage später war die Mannschaft Weltmeister.

Österreich wird nicht Weltmeister, auch nicht Europameister. Für diese Prognose muss man nicht über die Kristallkugel streicheln. Aber vielleicht, und das wäre ja etwas, gelingt bei der Europameisterschaft im kommenden Sommer ein Sieg. Es wäre der erste bei einer Endrunde seit über 30 Jahren. Unter Teamchef Franco Foda ist ein solcher Erfolg denkbar. Foda ist ein Ergebnisorientierter, ein Realist. Er hat Sturm Graz nicht mit Tiki-Taka zur Meisterschaft geführt, er will den Kontinent nicht mit Jogo Bonito verzaubern.

Es sind harte Zeiten. Und harte Zeiten erfordern dreckige Siege. A Tupferl, a Gaberl, a Scheiberl, a Goi? Fußball für die Galerie ist in einer leeren Arena genauso gefragt wie der Stadionsprecher. Man kann sich die Gustostückerln für bessere Tage aufheben.

Die Ära Foda ist nach der Europameisterschaft 2021 zu bewerten. Dort, in den Spielen gegen Nordmazedonien, die Niederlande und die Ukraine, zählt es. Dort wird abgerechnet. Das Achtelfinale ist Pflicht, das Viertelfinale Kür, das Halbfinale undenkbar.

Man kann darüber diskutieren, ob Foda 2017 die beste Wahl war. Jürgen Klopp war leider verhindert. Ihn aber jetzt, also ein halbes Jahr vor der Europameisterschaft nach gelungener Qualifikation und Gruppensieg in der Nations League, infrage zu stellen ist nicht nur unsinnig, sondern auch unfair. Unter dem Strich zählen im Fußballgeschäft Ergebnisse – und die passen. Also Augen zu und durch. Wer ein Faible für Haltungsnoten hat, kann sich dem Turmspringen widmen. Ein gehockter Auerbach ist ohnehin schöner anzusehen als ein Testspiel in Luxemburg. (Philip Bauer, 20.11.2020)

CONTRA: Es braucht neue Reize

von Sigi Lützow

Einem Fußballtrainer kann durchaus Schlimmeres passieren, als im Erfolg zu scheitern. Franco Foda kann mit Fug und Recht behaupten, der erfolgreichste Teamchef zu sein, den Österreich jemals hatte. Nach Punkten ist er es, geht es ausschließlich um Zählbares, dann war mehr als der Gruppensieg in der Nations League und der Aufstieg unter die 16 besten Nationen Europas nicht drinnen. Und es ist durchaus nicht auszuschließen, dass Österreich unter seiner Führung bei der kommenden Europameisterschaft besser abschneidet als bei der WM 1998 unter Herbert Prohaska, bei der Heim-EM 2008 unter Josef Hickersberger oder bei der EM 2016 unter Marcel Koller – es wäre kein Kunststück, könnte man sagen.

Höchst fraglich ist, ob es unter Franco Foda noch eine Entwicklung gibt, die der Qualität des ihm zur Verfügung stehenden Kaders entspricht. Selten noch hatte ein österreichischer Teamchef gleich mehrere mehr als nur brauchbare Spieler für jede Position. Selten gab es ein derart starkes Gerüst an Fußballern, die bei guten europäischen Klubs wichtige Rollen spielen. Es muss einen Grund dafür geben, dass sie im Nationalteam oft und oft weit unter ihrem Niveau bleiben.

Vermutlich noch nie war die Diskrepanz zwischen dem Möglichen und dem Gebotenen so groß wie unter Foda. Die Anhängerschaft spürt das. Eine Euphorie, wie sie die Nationalmannschaft nach Frankreich trug, lässt sich mit Vorstellungen wie im Herbst sicher nicht entfachen. Gute Spielphasen da und dort, wie sie Foda ins Treffen führt, reichen dafür nicht. Fußball als reiner Selbstzweck bereitet keine Freude, weckt keine positiven Emotionen.

Das Verständnis für die Schwierigkeit der Umstände schwindet indes mit jedem eher pampig vorgetragenen Erklärungsversuch. Werden einerseits die hohen Belastungen beklagt, denen die Spieler gegenwärtig ausgesetzt sind, aber andererseits nur zwei statt der möglichen fünf Wechsel in Anspruch genommen, erübrigt sich jede weiterführende Diskussion über die taktische Ausrichtung. Österreichs Nationalmannschaft war mit Franco Foda erfolgreich. Um auch richtig gut zu werden, braucht es neue Reize. Foda kann sie nicht setzen. (Sigi Lützow, 20.11.2020)