Eine Wohnung kaufen, aber nicht das Grundstück, auf dem sie sich befindet: Das sogenannte Baurechtseigentum wird in Wien immer öfter praktiziert. Grundstücke für größere Wohnbauten gibt es nämlich oft nur mehr zu pachten, statt zu kaufen.

Die Kirche macht das recht häufig, zuletzt etwa mit einer Liegenschaft in Wien-Donaustadt. An der Erzherzog-Karl-Straße 176 befand sich bis zum Frühjahr eine Kirche aus den 1960er-Jahren, dann wurde sie abgerissen. Das Grundstück gehört weiterhin der Erzdiözese Wien, für 80 Jahre hat sich aber Bauträger Haring Group das Baurecht gesichert und baut dort nun bis 2023 eine Wohnanlage mit 134 Einheiten.

Wie häufig bei der Haring Group richtet sich auch dieses Projekt sowohl an Selbstnutzer als auch an Anleger. Gerade für Vorsorgewohnungskäufer sei das Baurecht ja auch "durchaus spannend", sagt EHL-Wohnungsmarktexpertin Sandra Bauernfeind (die in dieses Projekt nicht involviert ist). "Weil man nur das Gebäude kauft, aber keinen Grundstücksanteil, ist die Anschaffung gleich zu 100 Prozent absetzbar." Wer also nicht den Vermögensaufbau samt Erbschaft für die Nachkommen im Blick habe, "sondern in erster Linie den steuerlichen Vorteil", für den oder die sei das eine gute Variante. Die Haring Group hat schon mehrere Projekte umgesetzt, sie seien alle "auf sehr großes Interesse seitens der Wohnungssuchenden gestoßen", berichtet der Bauträger.

Der geplante Bau der Haring Group auf dem Grundstück der Erzdiözese Wien – bis 2023 soll hier eine Wohnanlage mit 134 Einheiten entstehen.
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Penthäuser im Baurecht

Das bisher größte Projekt mit 192 Einheiten schuf aber die Wiener Komfortwohnungen GmbH in der Jägerstraße 58 im 20. Bezirk. Das Projekt sei bis zur Fertigstellung 2018 zu 90 Prozent verkauft gewesen, "aufgrund dieser positiven Erfahrungen entwickeln wir auch künftig Projekte auf Baurechtsgrund, aktuell zum Beispiel den Gartenpark Korneuburg", teilt der Bauträger mit. Dort entstehen auf einem Grundstück der römisch-katholischen Pfarrkirche Korneuburg fünf Stadtvillen mit 260 Wohneinheiten, davon acht Penthäuser, 128 Mietwohnungen und 124 "komfortfertige" Mietwohnungen zur temporären Nutzung, außerdem ein Ärztezentrum und Gewerbeflächen. Ende 2021 soll alles fertig sein und in diesem Fall nicht an private Vorsorgewohnungskäufer, sondern an institutionelle Investoren verkauft sein. Gespräche würden laufen, sagt ein Sprecher des Entwicklers zum STANDARD. "Unser primäres Ziel ist es, einen Käufer für das Gesamtprojekt zu finden. Allerdings gibt es Interessenten, die aus ihrem individuellen Anlageprofil heraus bestimmte Assetklassen bevorzugen, deshalb schließen wir auch Teilverkäufe nicht aus." Der Baurechtsvertrag läuft bis 2117.

Den Gartenpark Korneuburg baut die Wiener Komfortwohnungen GmbH auf einem Grundstück der Kirche. Es entstehen fünf Stadtvillen mit 260 Wohnungen und 13 Pools, Investoren werden gesucht.
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Was sowohl beim Haring-Projekt als auch beim Gartenpark auffällt: Vom Baurecht ist weder auf den Projekt-Websites noch in den detaillierten Verkaufsunterlagen an prominenter Stelle die Rede. Bei Haring findet man den Hinweis erst in den Verkaufsunterlagen ganz hinten im Kleingedruckten. Sollte diese relevante Information nicht besser ausgeschildert werden?

"Der Verweis auf die jeweilige Rechtsform ist in der Preisübersicht nicht ‚versteckt‘, sondern genau dort, wo er hingehört", erklärt man bei der Haring Group. "Denn jeder Wohnungssuchende prüft zuerst einmal, ob eine Wohnung seinen Bedürfnissen entspricht." Danach führe man "mit jedem unserer Kunden persönliche und ausführliche Beratungsgespräche, dabei wird natürlich auch die konkrete rechtliche Situation, also Baurecht oder Eigengrund, besprochen und evaluiert".

Expertin Bauernfeind weist noch darauf hin, dass man als Wohnungskäufer sämtliche Vertragsunterlagen gemäß Bauträgervertragsgesetz (BTVG) ohnehin mindestens eine Woche vor der Unterschrift bekommen müsse – "da sollte man sich dann eben genau anschauen, was man unterschreibt".

Was auf den ersten Blick vielleicht manchen Interessenten wundert: Grunderwerbsteuer muss für eine Baurechtseigentumswohnung trotzdem bezahlt werden, und zwar für den Anteil am Gebäude, den man erwirbt. Den laufenden Bauzins zahlen dann aber die Wohnungseigentümer bzw. deren Mieter mit den Betriebskosten oder mit der Hauptmiete, da sei man im frei vereinbarten Bereich sehr flexibel, sagt Bauernfeind. Mit einem Euro pro Quadratmeter und Monat ist zu rechnen, eher auch schon mit mehr.

In Graz noch kein Thema

In Wien ist das Modell des (Anleger-)Baurechtseigentums also schon einigermaßen etabliert. In Graz, wo derzeit ebenfalls sehr viel für Anleger und Investoren gebaut wird, bisher noch nicht, sagt Michael Münzer von der Firma Trivalue, die gemeinsam mit EHL den Grazer Wohnungsmarktbericht herausgibt. Nur vereinzelt habe es bisher Selbstnutzerprojekte auf Baurechtsgründen gegeben, etwa auf alten Industriearealen. "Aufseiten des Anlegermarktes kennen wir aber noch keine Wohnungen mit Baurechthintergrund." Mittelfristig könne sich das aber auch hier ändern, "denn es gibt immer weniger Liegenschaften in sehr guter Lage, und die Veranlagungsalternativen sind nach wie vor nicht interessant genug." (Martin Putschögl, 21.11.2020)