Das Betreuungspersonal in Pflegeheimen hat Angst, das Virus einzuschleppen.

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Die in Alten-, Pflege- und Behindertenheimen zum Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner vorgesehenen Maßnahmen dürfen "nicht unverhältnismäßig sein oder zu unzumutbaren Härtefällen führen." So steht es in der aktuellen Covid-19-Schutzmaßnahmenverordnung. Für den von der SPÖ nominierten Volksanwalt Bernhard Achitz bedeutet das: "Ein vollkommenes Besuchs- oder Ausgehverbot greift eindeutig zu stark in die Freiheitsrechte von Heimbewohnern ein."

Die Volksanwaltschaft führt, unter anderem, Kontrollbesuche an Orten durch, wo Menschen in ihrer Freiheit eingeschränkt werden, in Gefängnissen und Psychiatrien, Schubhaften, in der Kinder- und Jugendhilfe – oder eben auch Wohn- und Versorgungseinrichtungen für alte Menschen. Im ersten Lockdown wurden die Besuche und Kontrollen der Menschenrechtskommissionen ausgesetzt. Das führte zu Kritik, da dadurch genau die infolge der Pandemie eingeführten Begrenzungen im von der Öffentlichkeit Verborgenen stattfanden.

Teil der Notverordnung

Nun aber wurde die Kontrollinstanz extra in die Notverordnung aufgenommen. Die bundesweit sechs Expertinnen-Kommissionen, die die Einhaltung der Menschenrechte überprüfen, sind dezidiert von Betretungsverboten ausgenommen.

Die Kontrollteams würden sich bei ihren Besuchen streng an die Sicherheits- und Hygienemaßnahmen in den Heimen halten, sagt Reinhard Klaushofer, der Leiter der Kommission für Salzburg und Oberösterreich. "Wir machen vorher einen Antigentest, tragen während des Besuchs FFP2-Masken und halten natürlich alle Hygienebestimmungen und Abstandsregeln ein."

Bei den Besuchen im Sommer seien mit den Bewohnern auch die Erfahrungen im ersten Lockdown besprochen worden, sagt Klaushofer. Aus Angst um die eigene Gesundheit hätten viele alte oder behinderte Menschen großes Verständnis für einschränkende Maßnahmen gehabt. "Auch wenn diese nicht überall gleich gut gelungen waren", betont der Leiter der Menschenrechtskommission. Auffallend bei den Besuchen sei auch die Angst des Betreuungspersonals, das Virus einzuschleppen. "Auf psychischer Ebene beschäftigt das die Leute massiv", schildert Klaushofer die Erfahrungen aus den Gesprächen.

Verlorener Lebenswille

Der zum Schwerpunkt Alter arbeitende Soziologe Franz Kolland bestätigt das. Gerade bei hochaltrigen Menschen der Pflegestufe vier, die in den Heimen großteils leben, gehe Social Distancing aber mit zusätzlichen Risiken einher, sagt er im STANDARD-Gespräch: "Der Lebenswille kann verlorengehen." Der Umstand, dass die Ausnahmesituation jetzt nicht mehr wie am Ende des Frühjahr-Lockdowns drei, sondern inzwischen bald neun Monate andauere, erschwere die Lage beträchtlich.

Im Vergleich zum ersten Lockdown gebe es Lerneffekte, sagt Kommissionsleiter Klaushofer. Die Alten- und Pflegeheime seien in der ersten Lockdown-Verordnung überhaupt nicht bedacht gewesen, es gab nur Empfehlungen. Für die Einrichtungen habe das bedeutet, wegen der Ausgangsbeschränkungen und Besuchsverbote ständig mit einem Fuß im Kriminal gestanden, anderseits aber kritisiert worden zu sein, dass man für die Sicherheit der Bewohnerinnen und Bewohner zu wenig tue. (Irene Brickner, Stefanie Ruep, 20.11.2020)