Ein Meme, das gerade in mannigfaltigsten Abwandlungen durchs Internet geistert, besteht im Kern aus einem Gespräch zwischen Gott und einem Engel. Der Chef fragt seinen geflügelten Projektmanager, ob er die Katastrophen – wie es ausgemacht war – eh gut auf die 2020er verteilt habe. Der Engel bekommt den Schock seines luftigen Daseins und sagt: "2020er? Ich habe 2020 verstanden. Ups." Gott ist not amused; wie soll das die Menschheit ertragen?

Das Meme beschreibt ein Gefühl, das aktuell viele mit einem Rechner gesegnete Menschen zu teilen scheinen, da sie es besonders in den sozialen Medien häufig zum Ausdruck bringen: 2020 sei das schlimmste Jahr aller Zeiten.

2016 war auch schon richtig mies

Na, gut. Dafür lassen sich mit viel Augenzudrücken vielleicht wirklich ein paar Argumente ins Feld führen. Eine globale Pandemie ist wohl das schlagkräftigste. Doch war sich das Internet mit seiner Popkultur auch schon in den Vorjahren sicher, jeweils das schlimmste Jahr aller Zeiten zu erleben. Aktiv erinnere ich mich an 2016. David Bowie starb im Jänner, Prince im April, George Michael im Dezember. Man war sich sicher: Es ist das schlimmste Jahr ever. Es wurde 2017 und Trump Präsident. Es war das schlimmste Jahr ever. 2018 und 2019 waren sicherlich auch wegen irgendetwas die schlimmsten Jahre aller Zeiten. Man verdrängt.

Dabei fällt der Hang zu Superlativen bei gleichzeitiger Ausblendung jeglicher historischen und gesellschaftspolitischen Relation auf. Wenn Leute vom "schlimmsten Jahr aller Zeiten" reden, beziehen sie sich maximal auf die Jahre, die sie selbst erlebt haben. Dazu kommt, dass jene, die so popkulturell wertvoll mit Memes und in Posts leiden, sicherlich nicht jene sind, die die Ereignisse am härtesten treffen.

Klar haben all diese Hass- und Erschöpfungsmemes eine humoristische Komponente, trotzdem setzt sich das ewige Beschwören der jeweiligen Horrorjahre irgendwann als gefühlte Wahrheit in den Köpfen fest.

AvenueBeatVEVO

Mit dem Grant auf 2020 wird mittlerweile auch gut Geld gemacht. T-Shirts werden bedruckt, Songs, wie der auf Tiktok viral gegangene Hit F2020 (ja, das F steht für "fuck"), handeln davon. "Can we just get to 2021? Please" lautet eine Textzeile, so als würde der Jahreswechsel eine Tabula rasa bringen. Warum gerade 2021 besser werden soll? Darüber geben weder Memes noch Songs Auskunft. Warum sollten sie auch? Ihre Existenz hängt davon ab, dass sie auch 2021 glaubhaft machen können, dass dieses Jahr so richtig mistig gewesen sein wird. (Amira Ben Saoud, 20.11.2020)