Annähernd 700 Covid-19-Patienten liegen in Österreich auf Intensivstationen. Das Medikament FX06 könnte schwerste Verläufe mildern.

Foto: APA/SALK

Wien/Paris – Anfang 2000 entdeckten Mediziner um Peter Petzelbauer von der Wiener Universitäts-Hautklinik im Blutklebstoff Fibrin das Peptid B-beta15-42, eine Art kleines Protein aus 28 miteinander verketteten Aminosäuren. Das in seiner Medikamentenform FX06 genannte Eiweißfragment kann undicht gewordene Blutgefäße wieder versiegeln und erwies sich zunächst in der Behandlung von Infarktschäden und ab 2014 bei Ebola-Patienten als wirksam. Die Ebola-Ergebnisse wurden damals in der Medizin-Fachzeitschrift "The Lancet" publiziert. Neben einem antientzündlicher Effekt bekämpft FX06 darüber hinaus erfolgreich beim lebensbedrohlichen akuten Lungenversagen (ARDS) auftretende Ödeme.

Undichte Blutgefäße bei Covid-19

Im vergangenen April schließlich wurde FX06 auch für die Behandlung von Patienten, die von schweren Verlaufsformen von Covid-19 betroffen sind, erwogen. Akutes Lungenversagen, Sepsis und septischer Schock gehören zu den lebensbedrohlichen Komplikationen der Covid-19-Erkrankung. Als Reaktion auf die Infektion kommt es zu einer sehr starken, überschießenden Immunreaktion mit einem sogenannten "Zytokin-Sturm". Die Integrität der Blutgefäße wird gestört, sie werden gleichsam "undicht" (Capillary Leak).

In der Lunge entstehen dadurch Ödeme, die den Gasaustausch unmöglich machen. FX06 soll die Kapillaren wieder abdichten und den Schaden minimieren. Auch andere Organe wie Herz oder Niere und das Gehirn können betroffen sein. Weiters kommt es zu einer generalisierten Entzündungsreaktion im Körper, die vor allem kleine Blutgefäße betrifft.

Nun begann die erste klinische Studie (FX-COVID) mit insgesamt geplanten 50 Patienten. Bei der Untersuchung am Pariser Klinikzentrum Pitié Salpêtrière erfolgt die Behandlung von schwer erkrankten Covid-19-Patienten, die auf der Intensivstation mechanisch beatmet werden müssen oder sogar eine ECMO-Therapie benötigen. Dies geschieht in einer Gruppe, die drei bis sieben Tage lang das Peptid per Infusion erhält, und in einer Placebo-Gruppe. "Es besteht großer medizinischer Bedarf an Optionen in der Behandlung für die schwersten Covid-19-Fälle, und wir hoffen, dass wir in der Lage sein werden, den Nutzen für diese Patienten in dieser kontrollierten Studie zu zeigen", meint Studienleiter Nicolas Brechot.

Vielversprechende Erfahrungen

Bei den bisherigen individuellen Heilversuchen, die in "Critical Care" publiziert worden sind, wurden bei vier von sechs schwerstkranken Covid-19-Patienten eine verbesserte Lungenfunktion und reduzierte Entzündungswerte unter der Therapie mit FX06 beobachtet. Die so behandelten Patienten zeigten demnach einen bemerkenswerten Anstieg ihrer Sauerstoffversorgungs-Parameter, was als Indiz für eine Normalisierung der Gefäßwände in der Lunge spricht. Das habe sich auch in bildgebenden Untersuchungen gezeigt.

Im Mittel stieg der Grad der Sauerstoffversorgung über die Lunge nach Anwendung der Substanz bei den Behandelten auf etwa das Doppelte, hatte es in der Publikation geheißen. Während in den vergangenen Monaten einige Therapien bei leichtem bis moderatem Covid-19-Krankheitsverlauf Erfolge brachten, sind die Möglichkeiten bei Schwerkranken weiterhin begrenzt.

Ergebnisse bis Anfang des Jahres

Die nun gestartete Placebo-kontrollierte Studie wird durch den Pariser Krankenhausverbund (AP-HP) durchgeführt. "Die Wissenschafter hoffen, dass die Ergebnisse Ende dieses Jahres, Anfang kommenden Jahres vorliegen", erklärte Thomas Steiner, Geschäftsführer und Mitbegründer des Wiener Biotech-Unternehmens MChE/F4 Pharma. Parallel dazu wird an der Verwirklichung einer geplanten weiteren klinischen Studie an den Universitätskliniken in Wien, Frankfurt und Würzburg gearbeitet. Es geht auch um die Sicherstellung der Finanzierung. (tberg, red, 20.11.2020)