Die Schauspieler in "Gott": Christiane Paul (rechtliche Sachverständige Litten), Ina Weisse (Mitarbeiterin des Ethikrates Keller), Anna Maria Mühe (Augenärztin Brandt), Matthias Habich (Richard Gärtner), Ulrich Matthes (Bischof Thiel), Barbara Auer (Vorsitzende), Lars Eidinger (Rechtsanwalt), Götz Schubert (medizinischer Sachverständiger Sperling).

Foto: ARD Degeto

Lars Eidinger (rechts) als Anwalt von Richard Gärtner, gespielt von Matthias Habich.

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Im ORF gibt es keinen "Gott". Zumindest nicht das Stück Ferdinand von Schirachs über Sterbehilfe, das an diversen Theatern für Aufsehen sorgte und am Montag, 20.15 Uhr, in einer Fernsehfassung von Lars Kraume nur in ARD und SRF Premiere hat: Ein Mann will nicht mehr leben und ärztliche Erlaubnis zum Suizid. Am Ende stimmt das Publikum ab, ob er dürfen soll oder nicht. Der ORF wollte Gott erst zeitgleich mit ARD und SRF senden. Nach dem Terroranschlag in Wien wurde der Film verschoben. Lars Eidinger erfuhr von der ORF-Absage vom STANDARD. Ganz einverstanden ist der deutsche Schauspieler damit nicht.

STANDARD: Der ORF hat die Ausstrahlung am 23. November kurzfristig verschoben. Wundern Sie sich, wie schnell man Kulturveranstaltungen vorerst absagt beziehungsweise Kulturbetriebe schließt?

Eidinger: Ich erinnere mich, als die Anschläge in Hanau passierten, sollte die Eröffnungszeremonie der Berlinale abgesagt werden. Ich dachte damals, wenn es Orte gibt, an denen man sich tatsächlich mit den Menschen beschäftigt, dann findet es doch genau in so einem Format statt. Es wäre doch genau umgekehrt wichtig, damit ein Thema die Brisanz erfährt, die es hat. Unsere Zeit krankt daran, dass sie nach einfachen Slogans und Antworten verlangt, die es auf diese Fragen nicht geben kann.

STANDARD: Der ORF hat davor schon die Abstimmung abgesagt. Wie finden Sie das?

Eidinger: Ehrlich gesagt, kann ich das ein bisschen nachvollziehen. Man erliegt dem Irrtum, zu glauben, dass die Abstimmung eines Fernsehpublikums repräsentativ für die Gesellschaft ist. Ich würde behaupten, dass es eine große Menge von jungen Menschen gibt, die gar kein Fernsehen schauen. Am Ende tut man so, als hätte das Volk entschieden, aber man muss schon auch bedenken, wer die Leute sind, die anrufen. Es könnte eine politische Dimension kriegen, die es im Grunde nicht haben darf.

STANDARD: In Deutschland ist seit Februar "geschäftsmäßige" Sterbehilfe erlaubt. Der ORF argumentiert, dass in Österreich eine Entscheidung vom Verfassungsgerichtshof über eine mögliche Lockerung des Verbots bevorsteht. Finden Sie die Abstimmung problematisch?

Eidinger: Nicht problematisch, aber ich bräuchte sie nicht. Mein Problem ist, dass ich hin- und hergerissen bin als einer, der in einer Demokratie lebt und es sehr schätzt, dass die Macht vom Volk ausgeht, ich aber eben auch die Erfahrung gemacht habe, dass das Volk nicht immer die richtigen Entscheidungen trifft. Bei Donald Trump war ich zum Beispiel irritiert, dass er bei der zweiten Wahl überhaupt Stimmen bekommen hat.

STANDARD: Wie war die Stimmung am Set. Haben Sie diskutiert über die Entscheidung

Eidinger: Es gab eine Abstimmung des Publikums, der Statisten, vor denen wir drehten. Die Mehrheit hat dafür gestimmt. Aber da merkt man schon, welche Grenzüberschreitung eine Abstimmung ist: Ich stimme dafür, dass er ein Mittel bekommt, um sich zu töten. Der Mensch ist ein ambivalentes Wesen. Es gibt keine eindeutige Meinung, nicht richtig oder falsch und auch nicht gut oder böse.

STANDARD: Wie kamen Sie zu "Gott" – hat Schirach Sie gefragt?

Eidinger: Lars Kraume, mit dem ich bereits drei Filme drehen durfte, rief mich an. Lars ist ein treuer Regisseur, der oft mit denselben Leuten arbeitet, ähnlich wie David Schalko. Von Ferdinand von Schirach weiß ich, dass er mich schätzt.

STANDARD: Ihre Figur, der Anwalt Winkler, ist Schirachs Alter Ego. Leichtes Spiel oder harte Arbeit?

Eidinger: Es war sehr anstrengend, die Textmassen zu bewältigen. Ich bin ansonsten immer amüsiert, wenn Leute es bewundern, wenn man sich den Text merkt, weil ich der Meinung bin, dass es in dem Beruf größere Herausforderungen gibt. Aber in dem Fall war ich von der Masse fast erschlagen. Es gibt eine Szene zwischen mir und Bischof Thiel. Beim Film gibt es sogenannte Vorstoppzeiten, da wird die reine Dialoglänge gestoppt, und sie betrug 28 Minuten.

STANDARD: Wie gingen Sie vor?

Eidinger: Ja, Textlernen ist nicht meine große Stärke. Ich muss da schon dranbleiben, fleißig sein, mich hinsetzen und das lernen. Ich habe bisher noch keinen Trick oder keine Methode gefunden, die diesen Prozess beschleunigen würde. Bei "Gott" hat vielleicht geholfen, dass die Haltung des Biegler der meinen entspricht. Ich habe mich gefreut, diese Punkte vorzutragen und über die Figur in den Dialog mit der Kirche zu treten.

STANDARD: Als Privatperson interessiert Sie der Dialog nicht?

Eidinger: Ich glaube nicht an Gott und bin aus der Kirche ausgetreten, weil mich die Einschüchterung und das Angstmachen abschreckt, was mir übrigens immer noch begegnet. Wann immer ich sage, ich glaube nicht an Gott, habe ich die Befürchtung, jetzt für diese Aussage bestraft zu werden.

STANDARD: Wie würden Sie abstimmen

Eidinger: Ad hoc irritiert es mich natürlich, wenn jemand einfordert, sich selbst töten zu dürfen mit einem Mittel, das ihm verabreicht wird. Umgekehrt gehört mein Leben natürlich mir, und nur ich darf darüber bestimmen. Schwieriger wird es, wenn ich jemand anderen darum bitte. Die Freiheit, die ich mir nehme, schränkt mein Gegenüber ein.

STANDARD: Und wie würden Sie sich in Gärtners Fall entscheiden?

Eidinger: Ich kann es mir nicht vorstellen. Es gibt für mich keinen Grund, mich zu töten. Das hat vielleicht auch etwas mit Atheismus zu tun. Ich glaube nicht, dass nach dem Tod etwas kommt. Aus meiner Logik ist damit alles besser als nichts. Ich hänge sehr am Leben. (Doris Priesching, 22.11.2020)