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Paul Celan wurde für sein Gedicht "Todesfuge" zur Ikone poetischer Kronzeugenschaft der Shoa gemacht.

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"Das Gedicht", sagte Paul Celan 1960, "behauptet sich am Rande seiner selbst; es ruft und holt sich, um bestehen zu können, unausgesetzt aus seinem Schon-nicht-mehr in sein Immer-noch zurück". Zehn Jahre später nimmt sich der Dichter wenige Monate vor seinem 50. Geburtstag in der Seine das Leben.

Der aus einer deutschsprachigen jüdischen Familie im rumänischen Czernowitz stammende Paul Celan (eigentlich Paul Antschel) hatte seine Eltern im Ghetto und KZ verloren. Er selbst kam als 14-Jähriger in ein Arbeitslager, aus dem er 1947 über Österreich nach Paris floh, wo er studierte und später die französische Staatsbürgerschaft erhielt. Aber wie viele, die das Exil oder die Todeslager überlebt hatten, blieb auch Celan lebenslang gezeichnet.

Am literarischen Leben in Deutschland und Frankreich hat er zwar teilgenommen. Aber erst nach 1952 war es möglich, dass ein Gedicht wie Celans "Todesfuge" öffentliche Resonanz fand. Im Mai ebendieses Jahres hatte Celan auf Einladung von Hans Werner Richter an der Frühjahrstagung der Gruppe 47 in Niendorf an der Ostsee teilgenommen.

Die dort versammelten, meist bereits arrivierten Autoren konnten mit der Sprache seiner Lyrik nichts anfangen. Sein Rezitationsstil war ihnen zu pathetisch. Die Stimme des jüdischen Dichters, der den Holocaust überlebt hatte, erinnerte einige sogar an die von Goebbels.

Celan tief verletzt

Der "Gruppenvater" Hans Werner Richter urteilte über Celan, "er habe in einem Singsang vorgelesen wie in der Synagoge". Es war von empörender Peinlichkeit, was sich die Dichter und Denker da gegenüber ihrem Gast leisteten. Celan war tief verletzt, auch über das Schweigen von Ingeborg Bachmann, die er in Wien kennengelernt und in die er sie verliebt hatte.

Der 31-Jährige schrieb wenige Tage später an einen Freund: "Ich war dort oben beleidigt worden … Und so etwas muß ich erleben! ... Nach der Lesung der Todesfuge." Und dennoch: Das Desaster in Niendorf war nicht das Ende. Es war auch nicht der Ausdruck eines neuen Antisemitismus, eher des Mangels an Kenntnis und Sensibilität.

Der Golem Tod, der Meister aus Deutschland, wie Celan ihn nannte, der Tod, der seine Finger tanzen lässt, mechanisch und wohlkalkuliert – für den jüdischen Dichter aus der Bukowina war ein naiver und unmittelbarer Gebrauch der "Mördersprache" nicht mehr möglich. So wurden seine Gedichte oft als "kryptisch" oder "hermetisch" bezeichnet.

Gleichwohl erkannte man ihn später, als er mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet wurde, als einen der bedeutendsten Dichter der deutschen Sprache. In seiner Dankesrede in Darmstadt bezog sich Celan ausdrücklich auf Büchners Reflexion über Substanz und Funktion der Kunst. Es war seine bis dato wichtigste theoretische Äußerung. Nirgendwo sonst hat er sich genauer, offener und ausführlicher zu seiner ästhetischen Selbstinterpretation bekannt.

Freundschaft mit Kaschnitz

Dass seine jetzt vielgerühmte "Todesfuge" über den Massenmord an den Juden ("Wir schaufeln ein Grab / in den Lüften / da liegt man nicht eng") bereits Ende der 50er-Jahre zum Unterrichtskanon an den Schulen gehörte, hat ihn für viele zu einer Ikone poetischer Kronzeugenschaft der Shoa gemacht.

Die wenigsten aber wussten, dass sein Gedicht "Todesfuge" von der Trauer um seine Eltern zeugt – und bereits 1947 in rumänischer Übersetzung erschienen war. Verstanden hat diesen Hintergrund zuerst die Lyrikerin Marie Luise Kaschnitz, die mit Celan seit 1948 befreundet war und ihn gefördert hat.

Mit tonloser Stimme hatte der Achtundzwanzigjährige ihr sein Gedicht vorgelesen. Später schreibt sie, ohne seinen Namen zu nennen, von dem "jungen Dichter aus dem Osten", den sie in Paris aufsuchte, dessen Schicksal sie nicht habe vergessen können. Dreieinhalb Jahre später schildert ihr Celan, wie die "Todesfuge" bei der Niendorfer Tagung der Gruppe 47 aufgenommen wurde.

Treffen mit Heidegger

Celans bittere Kommentare hielt sie im Tagebuch fest: "Kammer des Bösen im wohlaufgeräumten Haus des Inneren. Zerrspiegel, die Fratzen zurückgeben. Hier werden Bilder erdolcht, Schmähschriften verfaßt, Böses gewünscht, Masochistisches verübt …"

Ihrer Tochter berichtet Marie Luise Kaschnitz vom Besuch Celans: "Wenn man Celan nur ansieht, bleibt einem der Bissen im Halse stecken, und man geniert sich, daß man lebt." Der Schluss des Gedichts – "Der Tod ist ein Meister aus Deutschland" – war auch das Bekenntnis vom endgültigen Zerbrechen einer deutsch-jüdischen Symbiose.

Daran änderten auch nichts die geheimnisvoll beschwiegenen Treffen Celans mit Martin Heidegger im Sommer 1967 in Todtnauberg und in Freiburg. Da hatte Paul Celan mit Büchners "Hilfe" schon längst den Weg zum Mittelpunkt seiner Dichtungswelt erreicht: "Wer auf dem Kopf geht, der hat den Himmel als Abgrund unter sich." Celan hatte Heideggers philosophisches Werk intensiv studiert.

Er wusste auch von dessen zeitweisem Sympathisieren mit dem Nationalsozialismus und ahnte vermutlich seine antisemitische Einstellung. In dem Gedicht "Largo" spricht er von dem "heidegängerisch Nahen".

Schon 1957 wollte er Heidegger sein Gedicht "Schlieren" schicken, das dann später in dem Lyrikband "Sprachgitter" erschien. Es handelt von einem Auge, dessen Verwundung die Welt erschließt und die Erinnerung festhält, die Erinnerung an eine Wunde, die einer Verbindung im Weg steht. Gemeint war damit offenbar Heideggers Schweigen zu Auschwitz.

Die eigene Stimme

Andererseits hatte sich Heidegger schon relativ früh in den Fünfzigerjahren mit Celans Dichtung vertraut gemacht: "Ich kenne alles von ihm, weiß auch von der schweren Krise, aus der er sich selbst herausgeholt hat, soweit dies ein Mensch vermag … Es wäre heilsam, Paul Celan auch den Schwarzwald zu zeigen. "Nach ihrem letzten Treffen sagte Heidegger: "Celan ist krank – heillos."

Dem Philosoph von Todtnauberg war durchaus bekannt, dass sich der Dichter wiederholt in psychiatrischer Behandlung befand und sich von seiner Familie getrennt hatte. Seine eigene Stimme hat er über Trakl und Rilke gefunden.

Einen Einblick in seine poetologische Arbeit, seine künstlerische Entwicklung, auch in seine Einsamkeit bringt aber nicht nur die innere Verfasstheit Celans zum Ausdruck. Er war ein Meister des Abgründigen. Aber er brachte es immer wieder fertig, mit seiner Sprachkunst auszudrücken, was nicht gesagt, sondern nur angedeutet werden kann. (Wolf Scheller, 23.11.2020)