Die Schwerindustrie in den USA wird entgegen Trumps Verheißungen nicht zu alter Größe zurückfinden. Dennoch hielten ihm viele Wähler nach 2016 auch 2020 die Treue.

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Ausverkauf im Westmoreland County. Leslie Rossi, eine der führenden Republikanerinnen hier, östlich von Pittsburgh, rührt die Werbetrommel für die Restbestände in ihren Regalen: T-Shirts, Mützen und Baseballkappen, alle mit dem Namen Donald Trumps.

Manchmal klingt es unfreiwillig komisch, wenn Rossi ihre Ware anpreist. Sie habe noch drei Flaggenmotive auf Lager: "Frauen für Trump, Keep America Great, Trump auf dem Panzer." Sie sagt es in einem Ton, als wäre es selbstverständlich, den Präsidenten mit einem Sturmgewehr auf einem Panzer abzubilden.

Von einem Ausverkauf will die 47-jährige Immobilienmaklerin übrigens nicht reden – so wie sie Joe Biden nicht President-elect nennt. Für sie ist das Rennen ums Weiße Haus noch offen. Zwar haben die TV-Sender Biden am 7. November zum Sieger in Pennsylvania erklärt und damit zum Sieger der Wahl, doch in Rossis Augen bedeutet das nichts: Die Medien seien nicht die Schiedsrichter. Erst wenn das Ergebnis amtlich bestätigt werde und alle Gerichte geurteilt hätten, sei sie bereit, es zu akzeptieren. Bis dahin, sagt Rossi, orientiere sie sich am Präsidenten. "Und was hat er neulich getwittert? Wir werden siegen!"

Rein juristisch gesehen ist das Rennen in Pennsylvania tatsächlich noch nicht gelaufen. Anwälte Trumps haben mehrere Klagen eingereicht. Mal geht es um ein fehlendes Datum auf der eidesstattlichen Erklärung, die einem per Post eingesandten Stimmzettel beiliegt, mal um eine fehlende oder schwer zu entziffernde Adresse. Kein seriöser Experte glaubt, dass sich der Amtsinhaber noch zum Erfolg prozessieren kann, dazu ist der Vorsprung seines Rivalen mit über 70.000 Stimmen zu groß.

Leslie Rossi will das Wahlergebnis erst akzeptieren, wenn die Gerichte das tun.
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Nervige Hängepartie

David Shribman schildert in der Pittsburgh Post-Gazette die Stimmung ziemlich treffend: Die Hängepartie gehe den meisten nur noch auf die Nerven. "Dieses Land ist, um es mit einem Wort zu sagen, erschöpft."

Bei William Mullen stehen die Menschen Schlange. Er ist der Sheriff des Allegheny County, der die einstige Stahlmetropole Pittsburgh und einige Vororte umfasst. Mullen hat zu beurteilen, wer eine Pistole versteckt tragen darf, unter der Jacke.

Mit einer Waffe herumzulaufen, die jeder sehen kann, ist in Pennsylvania längst erlaubt. Bei Mullen geht es um einen Schein, der dazu berechtigt, sie ständig dabeizuhaben, auf alles vorbereitet zu sein, ohne gleich als Waffennarr zu gelten.

Handel mit Waffen boomt

Normalerweise, erzählt der Sheriff, hat er es pro Tag mit 80 Anträgen zu tun. Kurz vor dem Votum waren es plötzlich dreimal so viele, was er mit der Angst vor Unruhen erklärt. "Irgendwann legt sich das wieder. Ich weiß nur noch nicht, wann." Im Übrigen steige auch die Zahl der verkauften Gewehre und Revolver steil an. "Die Leute glauben, Biden will den Handel mit Schusswaffen erschweren, da decken sie sich jetzt noch richtig ein."

In Clairton stimmt es noch, das alte Bild von den rauchenden Schloten rings um Pittsburgh. In einer Flussbiegung des Monongahela River liegt die größte Kokerei Nordamerikas. Die Stimmung vor dem Imbisslokal Backstreet Burgers ist gereizt: Man möge verschwinden, mit Reportern rede hier keiner, ruft der Besitzer, dessen Basecap ihn als Fan des Boxers Saúl "Canelo" Álvarez ausweist.

Sheriff William Mullen muss für Sicherheit in seinem County sorgen.
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Die schlechte Laune hat damit zu tun, dass der Betreiber der Fabrik hier einen Sparkurs fährt. Im Mai vor einem Jahr kündigte U.S. Steel noch 1,5 Milliarden Dollar an Investitionen an, um sowohl die Kokerei als auch ein Stahlwerk in der Nähe zu modernisieren. Seit ein paar Tagen scheint klar, dass daraus so bald wohl nichts wird.

Trumps Zollpolitik

Entpuppt sich die von Trump so blumig beschworene Renaissance der Stahlindustrie nur als kurze Episode? Jedenfalls ist die Stimmung im Keller. Trump-Anhänger Karl Pitassi will dann doch reden. Will erklären, warum er einem Präsidenten nachtrauert, an dessen Abwahl er im Übrigen keinen Zweifel hat. Pitassi hält große Stücke auf Trumps Zollpolitik. "Wenn Importe teurer werden, kaufen die Leute amerikanische Waren. Nun bin ich nicht supergebildet, aber was kann daran schlecht sein? Du musst dir selbst helfen, bevor du dem Rest der Welt hilfst."

Union City ist mit 3000 Einwohnern in Wahrheit ein Dorf im Nordwestzipfel Pennsylvanias, im Erie County, politisch so hart umkämpft wie kaum ein anderer Landstrich des Bundesstaats. Die Main Street lässt an eine Geisterstadt denken. Im Wahlkampf war das anders, da skandierten Anhänger Trumps und Bidens vor den Büros beider Parteien pausenlos Slogans.

Die Schreiduelle, sagt Marylou Rose, werde sie so schnell nicht vergessen. Wochenlang Krach, und zwar direkt vor ihrem Geschäft für Haushaltswaren. Rose’ Votum für Trump war mehr eines für ihn als eines gegen Biden, den sie für zu alt hält.

Nun, da aber Biden gewann, will sie nur noch, dass der Verlierer ihm zum Sieg gratuliert. Es sei gelaufen, "gebt endlich Ruhe". So tief gespalten wie jetzt, sagt Rose noch, habe sie ihr Land noch nie erlebt. Ob der Neue im Weißen Haus die Kluft überbrücken könne? "Ich bin mir nicht sicher, ob sich diese Brücke überhaupt noch bauen lässt."

Union City, eine verschlafene Kleinstadt im Erie County im Nordwesten Pennsylvanias.
Foto: Frank Herrmann

Ein Eigentor für Trump

Im Schaufenster des demokratischen Parteibüros in Erie hängt ein Poster: "Heilt Amerika und die Welt. Wählt Trump ab." Joel Hobson, ein Installateur, hat sich für Biden entschieden, nachdem er 2016 zu Hause geblieben war. Es hat auch damit zu tun, dass Biden im Wahlkampf nach Erie kam, statt wie Hillary Clinton vor vier Jahren einen Bogen um die Stadt zu machen.

Auch Trump kam, in der dritten Oktoberwoche, ein paar Tage nach seinem Kontrahenten. Noch immer redet man in Erie von seiner Kundgebung, was allerdings eher an einem Schnitzer liegt, den er sich leistete: Vor der Corona-Krise, als er wie der sichere Sieger ausgesehen habe, rief Trump den Versammelten zu, wäre er gewiss nicht nach Erie gereist. "Aber dann traf uns die Seuche, und ich musste zurück an die Arbeit. Hallo, Erie, kann ich bitte eure Stimme bekommen?" Es gibt Beobachter, die in dem Auftritt den Grund für seine hauchdünne Niederlage hier im Erie County sehen.

"Kein klassischer Politiker"

Robert Schiffbauer ist froh, wenn er auch über andere Themen als die Wahl reden kann. Der Bürgermeister von South Union Township, ein Mann mit deutschen und italienischen Vorfahren, hat den Fußball in seine Stadt gebracht.

Robert Schiffbauer ist Demokrat und zugleich auch Trump-Wähler.
Foto: Frank Herrmann

Mit dem Stolz des Machers lädt Schiffbauer zur Besichtigung eines Radwanderwegs ein, dort, wo früher die Gleise der Pennsylvania & Reading Railroad verliefen. "Wer immer in Washington regiert, wir machen hier unser eigenes Ding", sagt er und redet dann doch noch über den anstehenden Machtwechsel in Washington.

Schiffbauer, zeitlebens Demokrat, hat Trump gewählt – so wie das Fayette County, in dem seine Gemeinde liegt, mit klarer Mehrheit für den Republikaner votierte, noch klarer als 2016. "Wer für Trump ist, der hält ihm die Treue", meint Schiffbauer. "Die Leute mögen ihn, weil er nicht dem klassischen Politikermuster entspricht. Und weil ihn die Globalisten nicht vereinnahmen konnten."

Mit den Globalisten sind Befürworter von Freihandelsabkommen gemeint, mit denen man hier den eigenen wirtschaftlichen Abstieg verbindet. Nun aber, schiebt Schiffbauer hinterher, gehe die Ära Trump zu Ende, auch wenn er das persönlich bedaure. Ohne dass bürgerkriegsähnliche Zustände drohten, wie manche es prophezeit hätten. "Gewiss, ein paar Verrückte wird es immer geben. Aber die meisten von uns sehen es so: Schluck’s runter und mach weiter in deinem Leben." (Frank Herrmann aus Erie, Pennsylvania, 21.11.2020)