Zwei Hämmer vor dem Augustus-Tempel in Pula: Metal Gurus Kunstinstallation im Rahmen der Industrie-Kunstbiennale in Istrien.

industrie Biennale Istrien

Es war im Jahre 1921, als die Minenarbeiter von Labin den Aufstand probten. Istrien gehörte seit dem Vertrag von Saint-Germain (1919) zu Italien, das arm an Kohlevorkommen war. Die Minen in Istrien lieferten den Rohstoff, auf den Italiens Industrie angewiesen war. Als die Repressionen immer größer wurden, riefen die Arbeiter die "Republik von Labin" aus. Sie währte gerade einmal zwei Wochen.

Rund hundert Jahre später bröckelt der Putz von den ehemaligen Minengebäuden, aus denen die Bergarbeiter ausgezogen und in die Kunstmenschen eingezogen sind. Die Losung "Die Kohlenmine gehört uns" haben sie übernommen und in den vergangenen Jahrzehnten aus dem ehemaligen Lampenhaus der Bergarbeiter ein Kunst- und Kulturzentrum gemacht.

Mit der Industrial Art Biennale hat das Kollektiv Labin Art Express ein Format geschaffen, das jedes zweite Jahr den Kunsttross in das mittlerweile vom Tourismus lebende Städtchen an der Ostküste Istriens holen will.

In diesem Jahr blieb er Corona-bedingt weitgehend aus, was Dean Zahtila mit Durchhalteparolen kommentiert. Der Anfang Sechzigjährige mit gefärbtem Rossschwanz ist einer der Köpfe des Kollektivs, das die dritte Ausgabe der Biennale trotz Corona-Einschränkungen und Reisewarnungen durchgezogen hat. Einige der Beiträge konnten zwar nicht realisiert werden, immerhin sind aber 66 Arbeiten zusammengekommen. Aus einer überschaubaren Veranstaltung im ehemaligen Lampenhaus (bei der Nullnummer der Biennale) ist ein Kunstevent in insgesamt sechs über ganz Istrien verteilten Städten mit drei Kuratoren und einem gemeinsamen Motto geworden.

Das ehemalige Lampenhaus der Bergarbeiter in Labin ist das Zentrum der Biennale.
Foto: Industrie-Biennale

"Ride into the Sun" lautet es und zitiert einen Song von Velvet Underground. Oder wie es einer der Kuratoren, der ehemalige Kunsthalle-Wien-Chef Gerald Matt ausdrückt (die anderen beiden sind Branka Benčić und Christian Oxenius): Beleuchtet werden soll "die Dialektik zwischen Nostalgie und Fortschritt, Angst und Hoffnung". Das ist ein weites Feld, zusammengehalten werden die einzelnen Ausstellungen aber von den starken Örtlichkeiten, in denen sie stattfinden. Die eindrucksvollste liegt ein paar Kilometer vor den Toren von Labin und ist mit der Stadt durch ein Geflecht von Tunneln verbunden. Raša liegt in einer Karst-Senke und wurde in den 1930er-Jahren auf Befehl von Mussolini aus dem Boden gestampft.

Heute ist die faschistische Architektur verwaist, die Lagerhallen und Bürogebäude stehen da wie Überbleibsel aus einer Zukunft, die nie stattgefunden hat. Aus der Direktion der Mine wurde eine Textilfabrik, bald soll hier ein Seniorenheim untergebracht werden. Ein Dokumentarfilm von Krešo Golik über das Leben von Textilarbeitern aus dem Jahr 1966 wird flankiert von einer Textilarbeit von Hana Miletić, die mit ehemaligen Angestellten über triste Perspektiven gesprochen hat. Der sozialkritische Blick auf die Verhältnisse ist verständlicherweise ein ständiges Motiv dieser Biennale. Flankiert wird er von sozialromantischen Utopien. So etwa in der Aggloville-Serie des Künstlers Bert Theis, in der Bäume und Pflanzen ganze Städte überwuchern, oder auch in der Arbeit, die die Formation Metal Guru auf dem Platz vor dem Augustustempel in Pula errichtet hat. Zwei vier Meter hohe Stahlhämmer stehen da, Besucher können in ihnen Wünsche an eine zukünftige Republik der Künste und Künstler hinterlegen.

Identitätsstiftende Kohle

Auch Dean Zahtila ist Teil von Metal Guru. Seit 1991, als er zusammen mit Krešimir Farkaš Labin Art Express gründete, arbeitet er daran, die Vergangenheit des Kohlebergbaus in der Identität der Region wieder stärker zu verankern. Mit der Realisierung des Projekts Underground City (vielleicht schon bis zur nächsten Biennale in zwei Jahren) will man einen nächsten Schritt setzen: In den Stollen der ehemaligen Kohlenmine soll eine Kunststadt entstehen, 150 Meter unter der Erde, mit Ausgängen nach Raša und ans Meer. Eine Art Kunst-Republik im Untergrund.

Noch aber bewegt man sich über der Erde, in heruntergekommenen Industriegebäuden, aufgelassenen Apotheken oder ehemaligen K&K-Marinekasinos. Ihre Geschichten komplementieren und kontrastieren viele der Kunstwerke, von denen 16 extra für die diesjährige Biennale angefertigt wurden. Eigentlich hätten es wesentlich mehr sein sollen, erzählt Zahtila, doch die Beschränkungen der vergangenen Monate verunmöglichten das. In der Franz-Lehár-Straße in Pula findet sich eine der schönsten Arbeiten. Im leeren, 1913 erbauten Offizierskasino hat die afghanisch-deutsche Künstlerin Jeanno Gaussi Bilder von den Arbeitern der vor zwei Jahren aufgelassenen Schiffswerft unter die Porträts von K&K-Marineoffizieren und Kriegsflotten-Ölschinken geschmuggelt. Die Arbeiter tragen Abzeichen, die nach ihrem Online-Browsing-Verhalten erstellt wurden.

Tücken des Tourismus

Der radikale Wandel, dem Arbeit durch die umfassende Digitalisierung unterworfen ist, ist neben den Tücken der Tourismusindustrie ein wiederkehrendes Thema. Letzteres greift Kurator Gerald Matt im 1900 errichteten Sporer-Pavillon in Opatija auf. Ein Holztisch von Erwin Wurm steht vor dem Eingang, Einblicke in die alpenländische Tourismusindustrie liefert Claudia Larcher, Paul Albert Leitner steuert Fotos seines Hotelweltenprojekts bei. Um nur einige der österreichischen Künstler zu nennen, die auf dieser Biennale vertreten sind. Toni Schmale, Ursula Mayer und Nikolaus Geyrhalter sind drei weitere.

Sie alle beschäftigen sich in unterschiedlichen Ausformungen mit der Frage, welche Disruptionen das stete ökonomische Wachstum mit sich bringt. Die Industrieruinen Istriens sind Mahnmale, welche Gefahren der Fortschritt bereithalten kann. Sie sind aber auch ästhetische Reibebäume, an denen sich die Kunst gut abarbeiten kann. Bis 21. 11.

Zwei Hämmer aus rostigem Stahl hat das Kunstkollektiv Metal Guru auf dem Platz vor dem Augustustempel in Pula errichtet: Besucher können hier Wünsche deponieren.

(Stephan Hilpold, 21.11.2020)