Wer vor dem mickrigen weißen Band in Zürs steht, wundert sich, was daran 2,7 Millionen Euro kostet.

Foto: Florian Lechner www.florianlechner.com

Der sonst mondäne Skiort Zürs am Arlberg gibt dieser Tage kein schönes Bild ab. Apere, braune Wiesen und darüber weint der graue Himmel dicke Wassertropfen. Nur ein mickriges schneeweißes Band neben der Trittkopfbahn, flankiert von riesigen silbernen Lichtmasten, sticht aus der Tristesse hervor.

Hier sollen kommende Woche die Stars des alpinen Skiweltcups – Lockdown hin oder her – mit ihrer Show Lust auf Winter machen. Eigentlich wäre das Spektakel schon für Mitte November geplant gewesen, doch da war es selbst für Kunstschnee noch zu warm.

Das weiße Band von Zürs, das eine Rennstrecke darstellen soll, erhitzt die Gemüter auch abseits des Sports. Denn die dafür nötigen Bauarbeiten wurden ohne die obligatorischen Genehmigungen gestartet. Daher sind mittlerweile drei bis fünf Anzeigen gegen das Projekt bei der Bezirkshauptmannschaft (BH) Bludenz anhängig.

Wie viele genau, ist schwer zu sagen, weil die BH gegenüber Medien jede Auskunft wegen "Amtsverschwiegenheit" verweigert. Details sind nur aus einer Anfragebeantwortung des grünen Vorarlberger Naturschutzlandesrates Johannes Rauch zu erfahren. Die Anfrage wurde von seiner Parteikollegin Nadine Kasper gestellt.

Großzügige Förderung dank ÖVP

Die Konstellation mutet seltsam an, geht aber darauf zurück, dass die Weltcup-Piste in Zürs per Beschluss der Vorarlberger Landesregierung mit 1,3 Millionen Euro plus zusätzlicher Veranstaltungsförderung in nicht genannter Höhe subventioniert wird. Die Gesamtkosten belaufen sich auf 2,7 Millionen Euro. Die Grünen, Juniorpartner der regierenden ÖVP, stimmten gegen die Förderung, auch weil diese in wirtschaftlich angespannten Pandemiezeiten unangebracht sei. Die ÖVP überstimmte sie.

Die Anfragebeantwortung Rauchs an seine Parteikollegin zeigt nun aber, dass neben der Unverhältnismäßigkeit handfeste Gesetzesverstöße vorliegen. So wurde schon im vergangenen Winter ein Schneedepot für die Weltcup-Piste angelegt – ohne Bewilligung, die dafür nötig wäre.

Das Depot wurde am 21. April beantragt, bei der Ortsaugenscheinverhandlung zur Bewilligung am 18. August habe man es aber "bereits vorgefunden", so die Behördenauskunft. Am 28. August erteilte man die Bewilligung für das Depot schließlich nachträglich, die Übertretung wurde am 29. September angezeigt.

Anzeigen erst nach Anfrage

Am 24. Juni wiederum wurde die Behörde von Journalisten und dem örtlichen Waldaufseher über Grabungsarbeiten am Zürser Hang informiert, die offenbar ohne Genehmigung stattfanden. Hintergrund: Weil ein Parallel-Riesentorlaufrennen geplant ist, bei dem zwei Skifahrer gleichzeitig starten, sollen die Strecken im Sinne der Chancengleichheit ident sein. Daher musste man den Hang umgraben und angleichen.

Die BH stoppte diese illegalen Arbeiten per Bescheid am 26. August, nur um am 28. August nachträglich die naturschutzrechtliche, wasserrechtliche und forstrechtliche Bewilligung zu erteilen. Die Übertretung wurde am 27. Oktober angezeigt – die Landtagsanfrage Kaspers wurde am 15. Oktober eingereicht, somit erfolgte die Anzeige erst danach.

Bürgermeister Jochum verteidigt den Aufwand.
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Des weiteren wurde eine ohne Bewilligung errichtete, Lkw-taugliche Zufahrt zur Baustelle nachträglich als "Viehtriebweg" beantragt – auch das wurde nach der Anfrage angezeigt. Anzeige Nummer vier betrifft die künstliche Beschneiung des Hanges, die bereits am 11. Oktober begann, obwohl sie erst ab 1. November erlaubt gewesen wäre.

Der Verstoß wurde mittels Webcam-Aufnahmen belegt. Die Webcam ist mittlerweile außer Betrieb. Seitens der Verantwortlichen heißt es, man habe die neu errichtete Beschneiungsanlage nur "ausprobieren" wollen.

Dreifachrolle für Jochum

Ein fünfter Verstoß, der noch nicht angezeigt wurde, was sich nach diesem Artikel ändern könnte, betrifft eine Hütte, die im Zielbereich des Weltcup-Hanges stand. Sie war im Weg und wurde versetzt, auf ungefähr halbe Höhe links der Piste.

Die fleißigen Mitarbeiter des Bauhofes Lech – Zürs gehört zur Gemeinde Lech am Arlberg – haben dabei mitgeholfen und das mit Foto auf ihrer Homepage dokumentiert. Allein, die Genehmigung für die Versetzung fehlte, wie auch der Lecher Bürgermeister Stefan Jochum von der Liste "Unser Dorf" auf Nachfrage einräumt.

Bürgermeister Jochum spielt in der Posse um das weiße Band von Zürs eine Dreifachrolle. Als Ortsvorsteher, Jochum beerbte in dieser Funktion im September den Langzeit-Bürgermeister Ludwig Muxel (ÖVP), als Obmann der Sektion Lech des Skiclubs Arlberg und als Geschäftsführer der Sportstätte Lech Zürs Gmbh.

Letztere wurde eigens für den Bau der Weltcup-Strecke in der "Flexenarena" gegründet, 100-Prozent-Gesellschafter ist der Skiclub Arlberg, ein mächtiger Verein mit fast 10.000 Mitgliedern, eng verbandelt mit dem Österreichischen Skiverband (ÖSV).

Den ÖSV betreffen die Anzeigen "gar nicht", wie ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel (79) dem STANDARD sagt. "So wie es die Fußballnationalmannschaft nicht betrifft, wenn Klagenfurt ein Stadion gebaut hat. Das Team spielt einfach nur dort, und wir fahren dort einfach Ski."

Landtagsabgeordnete Kasper spricht von Unverhältnismäßigkeit.
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Regeln gehören "natürlich eingehalten", und es sei "fürs Image des Skisports nicht gut, wenn dort nicht sauber gearbeitet wird". Insgesamt kann Schröcksnadel die Diskussion um die neue Strecke allerdings nicht nachvollziehen. "Wieso dort jetzt so eine große Aufregung herrscht, verstehe ich nicht."

Er kenne Zürs "wirklich gut", sei dort seit vierzig Jahren zu Gast. "Ich kann sagen, dass die Veränderung am Hang wirklich nur ein Mini-Eingriff ist. Und ob das Flutlicht permanent installiert wird oder nicht, ist eine Angelegenheit des Ortes. Ich halte es für sinnvoll, vor allem weil dann auch Kinder am Abend Ski fahren und sich im Freien bewegen können."

Trainingsstrecke für die Skiasse

Ins gleiche Horn stößt Sportminister Werner Kogler (Grüne). Er habe, sagt er dem STANDARD, "Verständnis für den Wunsch nach hochwertigen Sportstätten. In diesem Fall umso mehr, weil hier eine permanente Trainingsstrecke eingerichtet wird, die auch dem Nachwuchs zugutekommt". Klar sei aber, "dass Bau- und Umweltvorschriften dazu da sind, um eingehalten zu werden. Ohne Baubewilligung kein Bau, so einfach ist das. Egal, wie groß der Zeitdruck ist."

Für den Errichter einer alpinen Rennstrecke habe "dasselbe zu gelten wir für den kleinen Häuslbauer. Noch viel mehr eigentlich, weil Fördergelder des Landes geflossen sind."

Auch Bürgermeister Jochum spricht von Jugendförderung und der dringend benötigten Trainingsstrecke für die Skiasse des Ländles. Doch wer vor dem mickrigen weißen Band in Zürs steht, wundert sich, was hier trainiert werden soll, und noch mehr, was genau daran 2,7 Millionen Euro gekostet hat.

Nachfragen bei Experten aus der Seilbahn- und Beleuchtungbranche bringen jedoch schnell Licht ins Arlberger Dunkel und die zuvor zitierten Herrschaften in Erklärungsnot.

Temporäre Lichtmasten

Die Geländearbeiten, die an dem Hang vorgenommen wurden, sind vernachlässigbar. "Vielleicht 30.000 Euro", schätzt ein Brancheninsider. Der große Brocken sind die Lichtmasten. Sie wurden von der Vorarlberger Firma Zumtobel errichtet. Auf Nachfrage sind allerdings keine näheren Informationen dazu zu erhalten.

Dafür sprach ein Weltcup-erfahrener Mitbewerber mit dem STANDARD, er hatte für die Beleuchtung in Zürs ebenfalls ein Angebot gelegt, kam aber nicht zum Zug. Ginge es nur um die besagte Trainingsstrecke und den Nachwuchs, so wäre eine den FIS-Vorgaben entsprechende Flutlichtanlage, die auch Nachtrennen ermöglicht, bereits für 300.000 Euro zu haben gewesen.

Allerdings wollen ÖSV und FIS ein Nachtrennen, das im TV übertragen wird. Die dazu nötige Lichttechnik ist viel teurer, wie der Experte erklärt: "Eine bis eineinhalb Millionen Euro, plus je drei Hubschrauberflüge pro Mast zum Auf- und wieder zum Abbauen." Die Lichtmasten sollen nämlich nur "temporär" an der Piste stehen.

Subventionierter TV-Event

Darauf angesprochen, druckst Bürgermeister Jochum erst etwas herum und sagt, Ski Austria, sprich der ÖSV, trage die Kosten für die TV-taugliche Lichtanlage. Nur um kurz darauf einzuräumen, dass die Lichtanlage 1,3 Millionen Euro kostet und im Projektbudget von 2,7 Millionen enthalten ist. Die Hälfte der Kosten fließt also allein in die Voraussetzung für die TV-Übertragung und nicht in Nachwuchsförderung oder Trainingsmöglichkeiten.

Ein beachtlich subventionierter TV-Event, wenn man bedenkt, dass vom Gesamtbudget (2,7 Millionen Euro) allein 1,3 Millionen Fördergeld des Landes Vorarlberg sind und weitere 500.000 Euro von der Gemeinde Lech, also wieder Steuergeld, kommen.

Nun liefert so eine TV-Übertragung immerhin schöne Bilder, die Lust auf Winterurlaub machen sollen. Ob so ein Nachtrennen denselben Effekt hat, sei dahingestellt, aber die Notwendigkeit einer solchen Werbung ist im exklusiven Skiort Lech Zürs kaum gegeben, wie der Tourismusdirektor des Ortes, Hermann Fercher, einräumt.

Vorsaison ist okay

So wurde der Weltcup-Termin bewusst in den November gelegt. Während Termine in Orten wie Kitzbühel, Saalbach oder Schladming echte Wintersaisonhöhepunkte sind, würde so ein Rennen in der Lecher Hochsaison nur stören. Im Luxusort der Schönen und Reichen wären Weltcup-Fans ziemlich deplatziert. Wo Könige und Stars den Einkehrschwung üben, würden biertrinkende und kuhglockenläutende Horden nur die edle Idylle stören.

In der Vorsaison sei das Rennen in Zürs hingegen schon okay. Fercher spricht von einer "Investition in die Kernkompetenz Skifahren", wobei Lech in diesem Bereich eben eine "exklusive Nische" einnehme. Bei einer durchschnittlichen Bettenauslastung von 80 Prozent in normalen Wintern ist die Bewerbung mittels Weltcup-Rennen nicht nötig. Zudem könnte sich der durchschnittliche Skiweltcup-Fan wohl kaum ein Zimmer im Ort leisten.

Der allmächtige Skiclub

Der Wunsch, dieses Rennen und die damit verbundene Piste zu erhalten, ging vom Skiclub Arlberg aus. Man rühmt sich, die "Wiege des Skisports" zu sein. Im Hintergrund des mächtigen Vereins lenken bekannte Namen wie Olympiasieger Patrick Ortlieb die Geschicke. Große Namen des Skisports wie Hannes Schneider, Trude Jochum-Beiser, Karl Schranz, Egon Zimmermann und Mario Matt sind Aushängeschilder des Vereins. Weltcup-Rennen gelten als besonders prestigeträchtig.

Für die Grünen-Landtagsabgeordnete Nadine Kasper, die mit ihrer Anfrage die vielen Verstöße publik machte, und die Vorarlberger Naturschutzanwältin Katharina Lins, die das Projekt "klar negativ beurteilt" hatte, ist der Fall Zürs beispielhaft. "Jeder private Häuslbauer hätte mit massiven Konsequenzen zu rechnen, wenn er einfach ohne Bewilligungen baut", sagt Kasper.

Für Lins sind die niedrigen Strafhöhen – die maximale, fast nie ausgesprochene Strafe bei naturschutzrechtlichen Vergehen beträgt 16.000 Euro – Teil des Problems: "Das schreckt nicht ab und wird oft schon einkalkuliert."

Zudem bezweifelt Lins die Argumentation hinsichtlich Notwendigkeit dieser Sportanlage. Denn man habe in Lech schon 2004 eine Weltcup- und Trainingsstrecke für den Skinachwuchs errichten wollen. "Die Piste wurde, bis auf den unteren Teil, mit massiven Eingriffen am Berg gebaut." Benutzt habe man sie so gut wie gar nicht.

Man darf gespannt sein, was mit dem mickrigen weißen Band von Zürs, der Flexenarena, passiert, wenn der Weltcup-Tross wieder weitergezogen ist. Bis 2024 hat man dem Ort "einige weitere" Weltcup-Bewerbe zugesagt. Da es im November auch am Arlberg keine Schneegarantie gibt, sind diese Rennen mehr als fraglich.

Zumindest zwei Gewinner stehen aber schon vor den ersten Parallelbewerben fest: der ÖSV und die FIS, die finanziert durch Steuergeld die nötigen Voraussetzungen für eine tadellose nächtliche TV-Liveübertragung geschenkt bekommen. (Steffen Arora, Fritz Neumann, 21.11.2020)